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Die bösen USA - das gute Europa?

Friedensforschungsinstitute legen "Friedensgutachten 2008" vor - und verkennen die Realität

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
  • EU-Staaten hoch gerüstet
  • EU-Reformvertrag schreibt Aufrüstung vor
  • Bundesrepublik steigert Verteidigungsausgaben
  • EU- und NATO-Staaten mit Interventionsarmeen
  • Friedensbewegung begrüßt Abrüstungsforderungen der Forschungsinstitute
Kassel/Hamburg, 4. Juni 2008 - Auf Zustimmung und Kritik ist das diesjährige Friedensgutachten der fünf großen Friedensforschungsinstitute in den Reihen der Friedensbewegung gestoßen. Lühr Henken und Dr. Peter Strutynski nehmen in einer ersten Erklärung zum rüstungs- und abrüstungspolitischen Teil des Gutachtens Stellung:

Wer die Verantwortung für die Militarisierung der Weltpolitik der US-Regierung unter George W. Bush anlastet und die Europäische Union dabei weitgehend ungeschoren lässt, beschreibt nur die halbe Wahrheit. Gewiss: Der größte Teil der Hochrüstung der letzten Jahre geht auf das Konto der westlichen Führungsmacht: Ihr Anteil an den Weltmilitärausgaben stieg auf über 50 Prozent. Gleichzeitig stieg aber auch der Anteil der NATO an den weltweiten jährlichen Rüstungs- und Militärausgaben auf rund 70 Prozent. Hierin eingeschlossen sind fast alle EU-Staaten. Sie haben - in konstanten Preisen - von 2001 bis 2006 ihre Rüstungsanstrengungen um vier Prozent gesteigert. Das ist wenig, verglichen mit den Steigerungsraten der USA, Russlands und Chinas. Aber es ist viel, wenn man bedenkt, dass die Europäische Union erstens von niemandem bedroht wird und zweitens ohnehin schon über so viel Militär und Waffen verfügt wie der Rest der Welt (ohne USA, Russland und China).

Hinzu kommt etwas, was das "Friedensgutachten" völlig unerwähnt lässt: Die Europäische Union verpflichtet sich sowohl in ihrer "Europäischen Sicherheitsstrategie" als auch im Lissaboner "Reformvertrag", ihre "militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern" (Art. 28c), das heißt weiter aufzurüsten. Und die Zeichen in Deutschland stehen ebenfalls auf weitere Hochrüstung. Im erst vor kurzem vorgelegte Jahresbericht des Bonner Konversionszentrums BICC wird von einer "Trendwende" in der deutschen Rüstungspolitik gesprochen: Seit 2006 steigen die Militärausgaben wieder - zunächst von 27,87 Milliarden Euro 2006 auf 28,4 Milliarden Euro 2007. Das neue Haushaltsgesetz, welches am 30. November 2007 vom Bundestag beschlossen wurde, sieht für das Jahr 2008 im "Einzelplan 14" einen Verteidigungsetat von 29,45 Milliarden Euro vor. Die schrittweise Erhöhung der deutschen Rüstungsausgaben soll laut BICC auch in der künftigen Finanzplanung fortgesetzt werden und bis zum Jahr 2010 die 30-Milliarden-Marke überschreiten.

Damit gibt zwar die Bundesrepublik immer noch weniger Geld für Rüstung und Krieg aus als auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges Ende der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Damals existierten aber auch noch die DDR und die anderen Staaten des Warschauer Pakts. Erstere ist im größeren Deutschland aufgegangen, letztere sind zum Teil selbst Mitglied der NATO geworden. Darüber hinaus ist Deutschland hinter den USA und Russland der drittgrößte Rüstungsexporteur der Welt.

Nicht vergessen werden darf auch die politisch-militärische Zielrichtung der Rüstungsanstrengungen von Bundesregierung, EU und NATO: Unter dem Label "Transformation" sollen die Streitkräfte der Mitgliedstaaten aus Verteidigungsarmeen in jederzeit und weltweit einsetzbare Interventionstruppen umgewandelt werden. Dazu dienen in der NATO z.B. die Rapid Reaction Forces und in der EU die Battlegroups, die bis zum Jahr 2010 nach dem Headline Goal auch über die entsprechende offensive Bewaffnung verfügen sollen.

Das Friedensgutachten verschließt auch die Augen davor, dass die Staaten der EU an vielfältigen militärischen Abenteuern der USA direkt beteiligt sind - ob unter dem Schirm der NATO (wie in Afghanistan) oder im Rahmen einer von den USA geführten Koalition der Willigen (wie im Irak). Darüber hinaus unternahm die EU selbst Militäreinsätze im rohstoffreichen Kongo (Frankreich und Deutschland) und im strategisch günstig gelegenen Tschad (v.a. Frankreich). Die EU hat den "Krieg gegen den Terror" im engen Schulterschluss mit den USA zu ihrem eigenen gemacht - anstatt Terroristen und ihre Netzwerke als Schwerverbrecherorganisationen mit allen rechtsstaatlichen Mitteln (Polizei, zivile Ermittlungsbehörden, Justiz) wirkungsvoll zu bekämpfen. Dies verlangen nicht zuletzt alle Resolutionen der Vereinten Nationen, die in den letzten 40 Jahren zum Thema Internationaler Terrorismus verabschiedet wurden.

Auch die Ablehnung der geplanten US-Raketenabwehr in Osteuropa (Polen und Tschechien) fällt einäugig aus. Muss denn nicht auch daran erinnert werden, dass auf dem letzten NATO-Gipfel in Bukarest auch alle europäischen NATO-Staaten zu dieser Maßnahme ihren Segen gegeben haben? Und warum fehlt in dem "Friedensgutachten" der Hinweis darauf, dass auch die Aufnahme der Ukraine und Georgiens von den Europäern nur zeitlich hinausgezögert, nicht aber verhindert wurde. Eine "soft power", eine Zivil- und Friedensmacht EU bzw. die EU-Staaten, die gleichzeitig in der NATO sind, hätten ganz andere Zeichen setzen können, wenn sie denn gewollt hätten.

Vollkommen einverstanden ist der Bundesausschuss Friedensratschlagt mit den im "Friedensgutachten" formulierten abrüstungspolitischen Forderungen - ob es um die atomare Abrüstung, den Widerstand gegen den US-Raketenschild, das vollständige Verbot von Streubomben oder um die Beendigung des Rüstungswettlaufs im Weltall geht. Simples Bush-Bashing ist aber zu wenig. Die Militarisierung der EU, die Transformation von Bundeswehr und NATO sowie die Teilnahme der EU am weltweiten "Krieg gegen den Terror" sind europäische Projekte. Deren Akteure müssen beim Namen benannt und genauso entschieden kritisiert werden. Nicht nur die US-Außenpolitik, auch die Außen- und Sicherheitspolitik der EU muss "zivilisiert" werden. Damit der Krieg nicht wieder, wie die Forschungsinstitute zu Recht befürchten, zum "Mittel der Politik" wird.

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken (Hamburg)
Peter Strutynski (Kassel)




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