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Zivilklausel passé

Bremen: Stiftungsprofessur des Rüstungskonzerns OHB klammheimlich besetzt – nach monatelangem Widerstand dagegen

Von Sönke Hundt *

Auf Nachfrage von Radio Bremen wurde am Montag bekannt, daß die Universität Bremen in den Semesterferien Tatsachen geschaffen und die vom Rüstungsunternehmen OHB-System AG gesponserte Stiftungsprofessur mit Professor Claus Braxmaier aus Konstanz besetzt hat. Der hat im Rahmen eines Forschungsprojekts bereits mit dem Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM), einem Institut der Uni, zusammengearbeitet und leitet dort derzeit einen Bereich in der Raumfahrtforschung.

Die Stiftungsprofessur und ihre Finanzierung hatten eine monatelange Debatte über die Zivilklausel der Universität ausgelöst, die am 25. Januar 2012 jedoch vom Akademischen Senat mit großer Mehrheit und viel öffentlichem Beifall bestätigt und aktualisiert wurde (siehe jW vom 27.1.). Die Uni Bremen war 1986 die erste bundesdeutsche Hochschule gewesen, die sich eine solche Klausel gegeben hatte, in der sie den Senat verpflichtete, jede Beteiligung an »Wissenschaft und Forschung mit militärischer Nutzung bzw. Zielsetzung« abzulehnen. Im Beschluß vom Januar heißt es darüber hinaus, die Uni bleibe »dem Frieden verpflichtet« und verfolge »nur zivile Zwecke«. Dies sei »Bestandteil der Leitziele der Universität«.

Die Eigentümer von OHB hatten ursprünglich die Änderung der Klausel zur Bedingung für die Finanzierung der Stiftungsprofessur gemacht. Daß die entsprechenden Mittel auch aus Rüstungsprojekten mit der Bundeswehr stammen, wurde von der Firma nie bestritten. OHB ist Weltmarktführer für militärische Satellitentechnik.

Wilfried Müller, der nur noch bis Ende des Monats amtierende Rektor, hatte schon auf der Sitzung im Januar erklärt, die OHB-Professur verletze nach seiner Meinung gar nicht die Zivilklausel. Begründung: Der Stiftungsprofessor und sein Team würden Grundlagenarbeit im Bereich der Gravitationsforschung betreiben, weit weg von irgendwelchen Kriegsschauplätzen auf der Erde.

Daß die Zivilklausel von der Unileitung bereits seit längerem offenbar als nicht bindend betrachtet wurde, zeigte sich, als Müller im Mai auf Nachfrage von Radio Bremen bestätigen mußte, daß zwischen 2003 und 2011 mindestens zwölf Forschungsprojekte durchgeführt worden waren, die einen eindeutigen Rüstungsbezug hatten (siehe jW vom 16.5.). Auskünfte über die Auftraggeberfirmen sowie den genauen Inhalt der Projekte verweigerte die Hochschulverwaltung jedoch.

Als Konsequenz forderte der Bremer Arbeitskreis Zivilklausel in einem offenen Brief am 4. August, die OHB-Gelder endgültig abzulehnen und statt dessen eine interdisziplinäre Professur für Abrüstung, Friedensforschung und Rüstungskonversion einzurichten. Hartmut Dewes, Mitglied des Arbeitskreises und Sprecher des Bremer Friedensforums, zeigte sich am Dienstag empört vom Vorgehen der Unileitung. Es sei »erschreckend, wie leichtfertig« die Hochschule beschlossene Grundsätze verletze und sich der »Militarisierung ihrer Einrichtungen schuldig« mache, erklärte er. Kristina Vogt, wissenschaftspolitische Sprecherin der Linksfraktion in der Bürgerschaft der Hansestadt, erinnerte in einer Presseerklärung daran, daß OHB bereits in der Vergangenheit gegen die Klausel verstoßen habe und an der Uni Bremen »im Auftrag des Bundesverteidigungsministeriums an einem Datenübertragungssystem für Kampfjets« arbeiten ließ. Diese Aktivitäten förderten Zweifel, ob künftig wirklich nur Grundlagenforschung betrieben werden solle.

Für die eilige Schaffung von Tatsachen in Sachen OHB-Professur gibt es wohl auch finanzielle Gründe. Im Rahmen der »Exzellenzinitiative« für Spitzenforschung wird Bremen in den kommenden fünf Jahren nur gut 86 und nicht, wie zunächst erwartet, 100 Mil¬lionen Euro vom Bund bekommen. OHB dagegen schwimmt im Geld. Wie der Weserkurier am 10. August meldete, konnte das Unternehmen seinen Gewinn im ersten Halbjahr 2012 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von 5,9 auf 11,8 Millionen Euro verdoppeln.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 15. August 2012


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