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Reaktionärer Thinktank

Hintergrund. "Forschung" als Dienst am Kapitalismus im Ganzen. Über das Brandenburgische Institut für Gesellschaft und Sicherheit (BIGS)

Von Peer Heinelt *

Für die Bourgeoisie ist die Krise Fluch und Segen zugleich – ein Segen, weil sie durch die Vernichtung von Kapital dafür sorgt, daß dieses stets von neuem auf steigender Stufenleiter akkumuliert werden kann; ein Fluch, weil sie zumindest die Potenz besitzt, den zur Lohnarbeit Gezwungenen zu verdeutlichen, daß die herrschende Klasse »unfähig ist, ihrem Sklaven die Existenz selbst innerhalb seiner Sklaverei zu sichern«, wie Karl Marx und Friedrich Engels formulierten (MEW 4, S. 473). Während der stellvertretende griechische Ministerpräsident Theodoros Pangalos vor einer Situation warnt, in der das Militär die Banken »mit Panzern schützen« muß, da »die Polizeikräfte nicht mehr ausreichen«, sieht Paul Welfens von der Bergischen Universität Wuppertal für Griechenland und Spanien bereits die Gefahr einer »Facebook-Revolution« nach dem Vorbild Nordafrikas.

Geäußert hat Welfens seine Befürchtungen anläßlich einer Konferenz des in Potsdam beheimateten Brandenburgischen Instituts für Gesellschaft und Sicherheit (BIGS), wo man sich bereits seit längerem Gedanken über die gesellschafts- und militärpolitischen Konsequenzen der EU-Schuldenkrise macht. Insbesondere der geschäftsführende Direktor des Instituts, Tim Stuchtey, und sein »Fellow« Chase Gummer, ein vormaliger Manager der DaimlerChrysler AG, befassen sich hier mit den Auswirkungen »ökonomischer Ungleichgewichte« auf die »europäische Sicherheit«. Untersucht wurde zunächst, welche »Gefahren für den sozialen Frieden« sich aus der Spaltung der EU in »Defizit- und Überschußländer« ergeben, um in einem nächsten Schritt dann die den »Defizitländern« wie Griechenland oktroyierten Austeritätsprogramme zu analysieren, die großangelegte Privatisierungen nebst drastischen Kürzungen von Staatsausgaben und Löhnen vorsehen. Zwar handele es sich hierbei um einen »unvermeidbare (n) Anpassungsprozeß«, jedoch führe dieser wiederum zu »Macht- und Einkommensverschiebungen mit zum Teil erheblichen sicherheitspolitischen Konsequenzen«, hieß es, und: »Ein Blick in die neuere Geschichte zeigt, welche Konflikte innerhalb und zwischen Staaten durch solche Anpassungsprozesse ausgelöst werden.«

Gefahren der Krise

Bei einer Veranstaltung des BIGS und des American Institute for Contemporary German Studies (AICGS) im April dieses Jahres wurden die diagnostizierten »makroökonomischen Ungleichgewichte« schließlich im Weltmaßstab diskutiert und explizit als »Frage der nationalen Sicherheit« betrachtet. Das Bundeswirtschaftsministerium sorgte für die Finanzierung; die Tagung selbst fand in den Berliner Räumlichkeiten der Deutschen Bank statt. Sowohl das Geldinstitut als auch das Ministerium stellten Referenten – ebenso wie das Auswärtige Amt. Erörtert wurde insbesondere, welche »Gefahren« sich daraus ergeben könnten, daß Gesellschaften »fiskalisch instabil« werden und das globale Wirtschafts- und Finanzsystem »ins Stocken gerät« – wenn nicht sogar vollständig zusammenbricht.

Die Teilnehmer der Konferenz verwiesen in diesem Zusammenhang mehrfach auf die ihrer Ansicht nach zentralen Unterschiede zwischen Deutschland und den USA. Während Deutschland problemlos in der Lage sei, der »europäischen Peripherie« die als notwendig erachteten Austeritätsprogramme »aufzuzwingen«, komme dies für die USA nicht in Frage: »Weder kann China den USA Anpassungsprozesse oktroyieren noch können die USA solche gegenüber China durchsetzen.« Gleichzeitig sorge die »Stärke der EU-Institutionen« dafür, daß sich aus den ökonomischen »Ungleichgewichten« innerhalb Europas noch keine allzu gravierenden »Sicherheitsprobleme« ergäben, was einen weiteren Unterschied zu den Vereinigten Staaten ausmache: »Der Mangel an Koordination zwischen China und den USA könnte zu einem ernsthaften Konflikt in Form einer Finanzkrise oder eines Handelskrieges führen.« Zudem sahen die Teilnehmer der BIGS-Konferenz die vermeintliche Gefahr, daß die USA aufgrund ihrer außerordentlich angespannten Haushaltslage in Zukunft von größeren Militäroperationen im Ausland Abstand nehmen könnten. So drehe sich etwa die in Washington geführte öffentliche Diskussion über die Gewaltmaßnahmen gegen Libyen in erster Linie um den »Kostenausgleich für diesen Krieg«. Daraus abgeleitet wurde die Befürchtung, Washington könnte immer »isolationistischer« agieren, was wiederum Konfliktpotential in sich berge: »Spannungen zwischen den USA und der Weltgemeinschaft werden aller Wahrscheinlichkeit nach die Folge sein.«

BIGS-Direktor Tim Stuchtey geht noch einen Schritt weiter; in einem aktuellen Aufsatz verallgemeinert er den in bezug auf die USA diagnostizierten »Isolationismus« zu einer auch für Europa gültigen »Tendenz der nationalen Insichkehrung«: »Die Obama-Regierung begründet den Afghanistan-Abzug damit, sich stärker dem nationalen Wiederaufbau der Wirtschaft und öffentlichen Infrastruktur widmen zu wollen. Die deutsche Öffentlichkeit sehnt sich zurück nach der Deutschen Mark und wehrt sich gegen einen de facto europäischen Länderfinanzausgleich. Während in den Überschußstaaten der EU nationalistische Parteien oder Ideen mehr Unterstützung finden, wehren sich die Menschen in Griechenland, Spanien und anderen Defizitländern gegen die als Imperialismus empfundene Einmischung der EU in die eigene Wirtschafts- und Fiskalpolitik.«

Ganz ähnlich äußerte sich der Chefökonom der Deutschen Bank, Thomas Mayer, anläßlich einer vom BIGS im Juni dieses Jahres in Frankfurt am Main veranstalteten Konferenz. Mayer zufolge führen sowohl die den »insolventen Ländern« innerhalb der EU aufgezwungenen Austeritätsprogramme als auch die »kontinuierlichen Zahlungen« seitens der »solventen« EU-Staaten zu »öffentlichem Widerstand«; ein »Auseinanderbrechen« der Europäischen Währungsunion werde somit »immer wahrscheinlicher«. Optimistisch betrachtet, so Mayer, stehe der EU bestenfalls eine Zukunft in Form eines »großen Italiens« bevor – mit einem »starken Zentrum« (Deutschland), einer »schwachen Peripherie« (Griechenland, Spanien, Portugal, Irland) und einer zwischen diesen Polen angesiedelten »mittleren Zone« (Frankreich).

Aufstandsbekämpfung

Laut BIGS-Direktor Stuchtey stellen in der EU jedoch nicht nur nationalistische Parteien und revoltierende Bewohner der »Peripherie« ein Sicherheitsrisiko dar, sondern ebenso die verarmten Massen des globalen Südens. Dabei ist dem Wissenschaftler und Politikberater durchaus klar, warum die in »Entwicklungs- und Schwellenländern« lebenden Menschen gegen die herrschende Ordnung aufbegehren – schließlich sind sie die ersten Opfer einer Weltwirtschaftskrise, die dazu führt, daß Kapitalisten auf der Jagd nach profitablen Anlagesphären nunmehr primär in sogenannte sichere Sachwerte wie Nahrungsmittel und Rohstoffe investieren, was wiederum gravierende Preissteigerungen in den genannten Sektoren zur Folge hat: »Die Unzufriedenheit mit den sich verschlechternden Lebensbedingungen aufgrund von höheren Nahrungsmittel- und Energiepreisen bei stagnierenden Löhnen war ein wesentlicher Auslöser der Revolutionen und Aufstände in Nordafrika. Die Motive der protestierenden Menschen waren nicht nur geprägt von ihrem Drang nach Freiheit und Demokratie, sondern ebenfalls von der einfachen Notwendigkeit, ihre Familien zu ernähren. Die mangelnden finanziellen Möglichkeiten ihrer Regierungen, die steigenden Lebensmittel- und Energiepreise durch erhöhte Subventionen abzumildern, haben die Unzufriedenheit mit der Regierung und der gesellschaftlichen Gesamtsituation genährt.«

Genau an dieser Stelle setzt ein Aufsatz der Institutsmitarbeiterin Kristin Kruse an, die eigenen Angaben zufolge für einen »reibungslos-harmonischen« Alltag am BIGS sorgt und parallel dazu den maßgeblich von der Bundeswehr gestalteten Masterstudiengang »Military Studies« der Universität Potsdam frequentiert (siehe jW-Thema vom 17.2.2010). Sie stellt sich die Frage, was zu tun ist, wenn die »Frustration über die eigene Armut« erst zu »verstärkten Aggressionen«, dann zur »Radikalisierung der Bevölkerung« und schließlich zur Bildung »terroristischer Organisationen« in den Staaten der sogenannten Dritten Welt führt. Unter Berufung auf den Militärexperten Stephen Biddle, der für den einflußreichen US-amerikanischen Thinktank »Council on Foreign Relations« tätig ist, präsentiert Kruse ein mehrstufiges Aufstandsbekämpfungsprogramm: Um die »Rekrutierung« neuer Mitglieder durch eine »Terrororganisation« zu erschweren, sei es zunächst notwendig, die jeweilige militante Gruppe zu »infiltrieren«. Diese stehe dann vor dem Problem, daß »jeder neue Rekrut« ein »Spion« sein könne: »In der Konsequenz werden neue Rekruten schlechter ausgebildet, da sie keinen Zugang zum inneren Zirkel der Organisation erhalten.« In einem nächsten Schritt, so Kruse, müßten dann der »Terrororganisation« systematisch die »sicheren Zufluchtsorte« entzogen werden: »Dies kann zwar durch einen Einmarsch des Militärs erfolgen, das ist aber aufwendig und nicht notwendigerweise effektiv. Verhältnismäßiger wäre es, sich auf Spionage und präzise Luftangriffe zu konzentrieren. (…) Dies erfordert aber einen entsprechenden politischen Willen, denn zumindest in der medialen Wahrnehmung ist die Zahl der zivilen Opfer bei Luftangriffen relativ hoch.« Dennoch, so Kruse, scheine die auf diese Weise mögliche »gezielte Bekämpfung terroristischer Aktivitäten« gegenüber einer Militärinvasion die »aussichtsreichere Strategie« zu sein.

Nachdem die BIGS-Mitarbeiterin somit öffentlich Massaker an der Zivilbevölkerung gerechtfertigt hat, präsentiert sie abschließend noch ein Horrorszenario, das von den Aufstandsbekämpfungsexperten der westlichen Metropolen immer wieder gerne aufgetischt wird – die Beschaffung nuklearer Massenvernichtungswaffen durch »terroristische Gruppen«. Daß ein über Atomwaffen verfügender Staat diese weitergibt, erscheint der Autorin dabei allerdings »eher unwahrscheinlich«, würde sich ein solcher Staat doch »der Gefahr aussetzen, durch die westlichen Alliierten ökonomisch sowie militärisch bestraft zu werden«. Das »realistischere Bedrohungsszenario« besteht demgegenüber Kruse zufolge darin, »daß ein fragiler Staat, der Nuklearwaffen besitzt, kollabiert und im Zuge eines Zusammenbruchs spaltbares Material auf den Schwarzmarkt gelangt«. Durchaus »denkbar« sei dies etwa im Falle Pakistans, sollte das Land zum Schauplatz eines »Bürgerkriegs« und letztlich zu einem sogenannten Failing State werden. Vor dem Hintergrund dieser Vorstellung erscheinen die westlichen Kriegsoperationen in Afghanistan schließlich nicht mehr nur legitim, sondern geradezu moralisch geboten: »Würden die Taliban wieder die Kontrolle über den afghanischen Staat erlangen, hätten sie die staatlichen Ressourcen, um die fragile und säkulare Führung Pakistans zu destabilisieren. Das Risiko eines Kollaps’ in Pakistan würde somit ansteigen. Auch deshalb ist es von elementarer Bedeutung, daß der internationale Einsatz in Afghanistan erfolgreich ist.«

Die »Scheu« überwunden

Bezahlt werden die am BIGS tätigen »Sicherheitsexperten« und Ideologen von der Universität Potsdam, dem Land Brandenburg und drei führenden europäischen Rüstungskonzernen – EADS, Rolls Royce Deutschland und IABG (Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft). Die genannten Waffenschmieden haben sich maßgeblichen Einfluß auf die Politik des Instituts gesichert; im Verwaltungsrat der akademischen Einrichtung, dem einer Selbstdarstellung zufolge die »strategische Steuerung« aller Forschungsarbeiten obliegt, sitzen ihre Manager neben einem Vertreter der brandenburgischen Staatskanzlei und dem Inhaber des Lehrstuhls für »Organisation und Personalwesen« an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam, Dieter Wagner. Warum die Repräsentanten der Rüstungsindustrie just Potsdam als Standort für das BIGS gewählt haben, ließ die brandenburgische Landesregierung unter Mat­thias Platzeck (SPD) anläßlich der Gründung des Instituts Anfang September 2009 in einer Pressemitteilung wissen: Aus Sicht der »beteiligten Unternehmen« sei der »Standort Potsdam mit dem Einsatzführungskommando der Bundeswehr und der Nähe zur Bundespolitik ideal für die Diskussion mit Multiplikatoren aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung, Medien und Wissenschaft«.

Über die Aufgaben und Zielsetzungen des BIGS gibt eine von der akademischen Einrichtung im Juli 2010 veröffentlichte Konzeption Auskunft. Darin wird zunächst eine von »asymmetrischen Bedrohungen« durch »Terroristen« geprägte »Ausgangslage« beschrieben: »Die Bedrohungen stellen die Sicherheitsbehörden vor immer größere Herausforderungen. Zugleich wachsen die Fähigkeitslücken der Sicherheitsbehörden und die Verwundbarkeit unserer Gesellschaften. Die Ressourcen, die zum frühzeitigen Erkennen und Abwenden komplexer Gefahren oder zur Schadensbegrenzung erforderlich sind, müssen effektiver und effizient eingesetzt werden.« Die Voraussetzung für einen entsprechenden »Ressourceneinsatz« aber sei es, so heißt es weiter, der Bevölkerung erst einmal zu vermitteln, daß sie überhaupt bedroht ist: » (Es ist) erforderlich, die Gesellschaften und ihre Menschen auf dem Weg zu mehr Sicherheit aufzuklären und zu sensibilisieren. Die Tatsache, daß in der Bundesrepublik Deutschland relativ stabile wirtschaftliche und soziale Verhältnisse vorliegen, sie über einen langen Zeitraum nicht in militärische Konflikte einbezogen war und mit Ausnahme des RAF-Terrorismus auch von terroristischen Anschlägen verschont blieb, hat zu einer Art ›Versicherungsgesellschaft‹ geführt. (…) Die Einsicht, daß jeder einzelne viel für die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft tun kann, ist eher geschrumpft. Zudem besteht in Teilen der Bevölkerung eine Diskrepanz zwischen gefühlten und tatsächlichen Risiken.«

Um das gewünschte Bedrohungsgefühl zu erzeugen, will das BIGS nach eigener Darstellung eng mit »Behörden und politischen Institutionen« kooperieren. Diese, so heißt es, ermöglichten durch die Schaffung entsprechender »rechtlicher Rahmenbedingungen« erst den Einsatz von »Sicherheitsprodukten und -dienstleistungen« und seien außerdem hervorragend dafür geeignet, eine »öffentliche Debatte zu Sicherheitsthemen anzustoßen, um den gesellschaftlichen Diskurs über Sicherheitsstrategien in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen«. An dieser Stelle treten die Sozialwissenschaften auf den Plan, die den Autoren der BIGS-Konzeption zufolge zumindest in Potsdam bereits die ihnen sonst eigene »Scheu« überwunden haben, sich mit der Ausgestaltung von Repression, Überwachung und Kontrolle zu befassen: »Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät verbindet in Deutschland einzigartig die Betriebs- und Volkswirtschaftslehre sowie die Wirtschaftsinformatik mit Politik-, Sozial- und Verwaltungswissenschaften. Damit deckt sie alle in den Gesellschaftswissenschaften notwendigen Gebiete ab, um die unterschiedlichen Aspekte der zivilen Sicherheit zu bearbeiten. Gerade im Bereich der Politik- und Verwaltungswissenschaften kann mit dem Profilbereich »Public Policy and Management« auf bestehende Forschungsexzellenz sowie auf eine auf Praxisnähe ausgerichtete Lehre aufgebaut werden. Hinzu kommt das gemeinsam mit Kollegen aus der Juristischen Fakultät betriebene Kommunalwissenschaftliche Institut, das sich beispielsweise mit Fragestellungen der kommunalen Sicherheit beschäftigt.«

Die Forschungsprojekte des BIGS selbst orientieren sich eigenen Angaben zufolge am sogenannten multi- und interdisziplinären Diversity-Ansatz; dieser sieht vor, die »Wirkungsweise von Sicherheitskonzepten« und »demokratiegefährdende Entwicklungen« dadurch zu erfassen, daß die Bevölkerung differenziert nach »Religionszugehörigkeit«, »Ethnie«, »Geschlecht« und »sozioökonomischem Status« betrachtet wird. Die daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen für die Repressionsbehörden finden sich unter anderem in den Veröffentlichungen des Institutsmitarbeiters Alexander Ritzmann (FDP), der nach eigener Aussage die »Erstellung von Risikoanalysen und Lösungskonzepten in den Bereichen Extremismus, Terrorismus und Nationale Sicherheit« zu seinen zentralen Aufgaben zählt. In einem unlängst erschienenen Aufsatz für die Zeitschrift Internationale Politik etwa fordert Ritzmann die Entwicklung von »Entradikalisierungsprogrammen« für in deutschen Gefängnissen einsitzende »politische Extremisten«. Um diesen »Wege zur Rückkehr in die Gesellschaft zu ebnen«, ist es seiner Ansicht nach notwendig, im Strafvollzug »Ausbildungs- und Berufsfragen« ebenso zu thematisieren wie die »persönliche und emotionale Konfliktlage des Inhaftierten«. Da die politisch-ökonomischen Ursachen widerständigen Verhaltens für den Wissenschaftler grundsätzlich nicht zur Disposition stehen, soll ideologische Umerziehung an die Seite der Repression treten: »Darauf zu vertrauen, daß allein der Justizvollzug aus Terroristen wieder rechtstreue Bürger macht, wird nicht ausreichen.«

»Optimale Balance«

Parallel dazu will das BIGS eigenen Angaben zufolge der deutschen Rüstungsindustrie Möglichkeiten aufzeigen, auf dem durch »erhebliche Wachstumsraten« gekennzeichneten »Markt für Sicherheitstechnologien und -dienstleistungen« weiter zu expandieren. So soll etwa im Rahmen eines aktuellen Forschungsprojekts untersucht werden, inwieweit abgesehen von militärischen Anwendungsbereichen »wenig präsente« Unmanned Aerial Vehicles (UAV) respektive Drohnen für »zivile Aufgaben« genutzt werden können. Gedacht ist dabei, wie es heißt, sowohl an Einsätze im »Katastrophenmanagement« wie im »Heimatschutz«. Als vorbildhaft dürften den Projektverantwortlichen in diesem Zusammenhang Unternehmen wie AirRobot (Arnsberg) und Microdrones (Siegen) gelten, die mit zunehmendem Erfolg sogenannte Minidrohnen produzieren. Diese werden als hervorragend geeignet für »Überwachungs- und Inspektionsaufgaben« aller Art angepriesen und nicht nur »Grenzschutz, Polizei, Sondereinheiten, Armee« anempfohlen, sondern ebenso Feuerwehren, Rettungsdiensten und Technischem Hilfswerk (THW).

Hieraus nun den Schluß zu ziehen, das BIGS betreibe einseitig Lobbyarbeit für deutsche Waffenschmieden, greift allerdings zu kurz. Abgesehen davon, daß man, wie deutlich geworden sein dürfte, um die Sicherheit der kapitalistischen Ökonomie insgesamt bemüht ist, kümmert man sich außerdem um die Entwicklung einer »Ökonomie der Sicherheit«. Was damit genau gemeint ist, erklärte der vom BIGS bestallte Referent Tilman Brück der Berliner Zeitung. Damit sich »Antiterrormaßnahmen« wie aufwendige Personen- und Frachtgutkontrollen an Flughäfen nicht als »Sand im Getriebe der Volkswirtschaft« erwiesen, sei es notwendig, so Brück, die »optimale Balance« zwischen »größtmöglicher Sicherheit und geringstmöglicher Behinderung des freien Waren- und Personenverkehrs« zu ermitteln: » (W)ir müssen versuchen, Sicherheitsbedürfnis und Wachstumsstreben in Einklang zu bringen.« Analog seinen Empfehlungen zur Aufstandsbekämpfung im In- und Ausland nimmt das BIGS auch in dieser Frage selbstverständlich den Standpunkt des »ideellen Gesamtkapitalisten« ein.

* Peer Heinelt ist Politologe und lebt als freier Autor in Frankfurt/Main

Aus: junge Welt, 6. August 2011



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