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Keine Forschung für globale Kriegsführungsfähigkeit

Erklärung des BdWi-Vorstandes zur Kooperation deutscher Wissenschaftseinrichtungen mit dem Pentagon

Recherchen des Norddeutschen Rundfunks (NDR) und der Süddeutschen Zeitung (SZ) deckten auf, dass vom US-Verteidigungsministerium in den letzten 13 Jahren für etwa 10 Millionen Dollar Forschungsprojekte an deutschen Hochschulen und für etwa 1 Millionen Dollar an hochschulfreien, staatlich finanzierten Forschungseinrichtungen wie die Max Planck Gesellschaft oder das Frauenhofer-Institut für Kurzzeitdynamik gefördert wurden. Vier der geförderten Hochschulen haben sich mit einer Zivilklausel in der Grundordnung zu einer Forschung ausschließlich für zivile Zwecke verpflichtet. Die Palette der Vorhaben setzt sich zusammen aus direkter Wehrforschung (etwa an Munition und Sprengstoffen), aus Projekten, die in einem zivil-militärischen Graubereich (›dual use‹) stattfinden und solchen, die – offenkundig mit dem Zweck der Verharmlosung – als ›reine Grundlagenforschung‹ (Universität Bremen, Universität des Saarlandes) deklariert werden. Diese Enthüllungen bekräftigen politische Bestrebungen zu einer flächendeckenden Einführung von Zivilklauseln, die der BdWi* aktiv unterstützt. An der aktuellen Situation ist einiges bemerkenswert:
  1. Es bedarf offenbar aufwendiger journalistischer Recherchen von außen, damit die BürgerInnen dieses Landes erfahren, was an öffentlich finanzierten Wissenschaftseinrichtungen eigentlich passiert. Die Hochschulen müssen nachdrücklicher verpflichtet werden, sämtliche Projekte, Kooperationen und entsprechende Verträge offen zu legen.
  2. Der Hinweis auf angebliche Grundlagenforschung als Entlastungsargument. Die Wissenschaftsforschung weist seit langem darauf hin, dass Grundlagen- und Anwendungsbezug immer enger verzahnt sind und die Weichen für praktische Nutzung von Ergebnissen häufig schon im Grundlagenbereich gestellt werden. Niemand wird sich wohl den Bären aufbinden lassen, dass ausgerechnet das Pentagon als selbstloser Förderer zweckfreier Erkenntnis um ihrer selbst willen in Erscheinung tritt. Auch wenn die geförderten Projekte vordergründig harmlos wirken, dienen solche Anschubfinanzierungen auch immer der Anbahnung langfristiger Kooperationen. Das Interesse dabei ist allemal ein militärisches. Daher ist auch der Hinweis auf die Geringfügigkeit der Fördersummen (bei jährlich über 5 Mrd. Euro Drittmittel insgesamt) nicht beruhigend.
  3. Schließlich die Instrumentalisierung des ›dual-use‹-Argumentes (zivile und militärische Nutzbarkeit von Forschungsergebnissen), um Warnungen vor militärischem Missbrauch der Wissenschaft abzufedern oder gar Zivilklauseln für überflüssig und wirkungslos zu erklären. Erstens fördern wie in den aktuell enthüllten Fällen militärische Institutionen Wissenschaft immer in einem militärischen Interesse. Folglich ist auch der Anwendungsbezug der Ergebnisse nicht offen, nicht neutral und nicht verhandelbar. Zweitens ist die ›dual-use‹-Problematik gerade ein starkes Argument für Zivilklauseln, auch weil sich die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft ebenso auf die gesellschaftliche Anwendung ihrer Ergebnisse erstreckt. Zivilklauseln fördern gerade die öffentliche Reflexion von Forschungsinhalten, ggf. die Darstellung ihrer Ambivalenz und die Warnung vor militärischem Missbrauch ihrer Ergebnisse.
Der BdWi setzt sich folglich auch weiterhin für die Einführung von Zivilklauseln an Hochschulen ein und dafür, dass dieser Prozess zusätzlich durch landesgesetzliche Regelungen unterstützt wird.. 14 Hochschulen haben bereits eine Zivilklausel eingeführt. Das ist zwar eine Aufwärtsdynamik, aber es müssen noch mehr werden. Die Zivilklausel hat nicht nur eine negative (Verhinderungs-) Komponente, sondern bedeutet in letzter Konsequenz die Selbstverpflichtung für eine Forschung, die zu humanen Lösungen globaler Krisen und Konflikte und zu einer gerechten globalen Verteilung von Lebenschancen und Ressourcen beiträgt, kurz: Frieden fördert. Last not least weisen die aktuellen Ereignisse auf die Notwendigkeit hin, dass an den einzelnen Hochschulen zwischen den akademischen Gruppen stärker Regeln und Verfahrensweisen der Handhabung von Zivilklauseln vereinbart werden, damit diese nicht nur ein pathetisch-symbolisches Etikett bleiben.

Schließlich ist die Forderung der GEW zu unterstützen, dass die Enthüllungen der Pentagon-Kooperationen auch ein Anlass sein sollten, grundsätzlicher über die dominanten Muster einer ›wettbewerblichen‹ Hochschulfinanzierung entsprechend dem Leitbild der „unternehmerischen Hochschule“ zu diskutieren, in der angesichts einer seit drei Jahrzehnten eingefrorenen Grundfinanzierung um jeden Preis Drittmittel – egal woher – eingeworben werden müssen allein um den laufenden Betrieb abzusichern. Dies fördert gerade eine strukturelle Gleichgültigkeit gegenüber der Verantwortung, den Zielen und Zwecken der Wissenschaft.

* Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (BdWi)

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