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Tödliche Privatisierung

Spanien: Kürzungen im Gesundheitswesen fordern Menschenleben

Von Carmela Negrete *

In Madrid ist eine 74jährige Frau gestorben, nachdem sie tagelang in einem Flur der Notaufnahmestation des örtlichen Severo-Ochoa-Krankenhauses »geparkt« worden war. Der Vorfall ereignete sich bereits Anfang Januar, wurde aber erst in der vorigen Woche durch Medienberichte bekannt. Die Patientin, die sich einige Zeit zuvor einer Herzoperation hatte unterziehen müssen, war von ihrer Tochter kurz nach Weihnachten in das Hospital gebracht worden, weil sie an einer Erkältung und Herzrhythmusstörungen litt. Dort jedoch wurde sie vier Tage lang, nur mit einem dünnen Laken zugedeckt, in den Gängen der Station stehengelassen. Es gab für sie keinen Platz, denn aufgrund von Mittelkürzungen hat das Krankenhaus mehrere Flügel geschlossen. Betten und Platz für die Patienten hätte es ausreichend gegeben, jedoch nicht genügend Personal und Material, um die Kranken zu betreuen. Die Tochter der alten Damen dokumentierte die Zustände in der Klinik mit ihrem Handy auf einem Video, das vom Internetportal ­eldiario.es veröffentlicht wurde. Zu sehen ist, wie die Gänge des Krankenhauses mit Betten vollgestellt sind, in denen Kranke liegen.

Schon im März 2013 hatte die Patientin offiziell Beschwerde eingereicht, weil sie sieben Tage lang auf der Notaufnahmestation ausharren mußte, bevor sie durch das Krankenhaus aufgenommen wurde. Die Klinikleitung wies die Klage mit der Begründung ab, zu diesem Zeitpunkt hätten weitere 49 Patienten ebenfalls auf ihre Aufnahme gewartet. Auch für den Tod der Frau Anfang Januar will das Krankenhaus nicht verantwortlich sein. Die Überlastung sei auf einen »für die Jahreszeit typischen Anstieg von Erkrankungen« zurückzuführen.

Doch es war offensichtlich kein Einzelfall. Ebenfalls vergangene Woche berichtete die Tageszeitung El País, eine 92jährige Patientin habe sieben Tage lang zusammen mit zehn anderen Pflegebedürftigen in einem fensterlosen Übergangszimmer verbringen müssen, weil keine Plätze im La-Paz-Krankenhaus verfügbar waren. Zwischen den Betten gab es nur 50 Zentimeter Abstand, alle mußten sich eine einzige Toilette teilen.

Die Beschäftigten des Hospitals Severo Ochoa hatten schon 2013 gegen die Kürzungen demonstriert und vor dramatischen Folgen für die Patienten gewarnt. Die von der Regierung verordneten Sparmaßnahmen hatten allein in dieser Einrichtung zur Entlassung von 130 Beschäftigten und in der Folge zur Schließung ganzer Abteilungen geführt. Auch die Pfleger des La-Paz-Krankenhauses hatten schriftlich Protest eingelegt. Sie beschrieben, wie Patienten mit ansteckenden Krankheiten über mehrere Tage zusammen mit anderen ausharren mußten, deren Immunsystem geschwächt war.

Mitte März wurde der Fall von Isabel Martínez bekannt, die im katalanischen Tarragona an der Hüfte operiert werden mußte. Das Krankenhaus El Vendrell hat eine lange Warteliste für solche Operationen. 14 Monate hätte Martínez weiter starke Schmerzen erleiden müssen. Sie bezahlte 9300 Euro im voraus, um im selben Krankenhaus von denselben Ärzten ohne jede Wartezeit operiert zu werden. Das Geld waren die gesamten Ersparnisse ihrer Kinder. Allein in Katalonien arbeiten inzwischen 60 Krankenhäuser auf diese Weise: Sie werden fast vollständig von der Generalitat, der Regionalregierung, finanziert, befinden sich jedoch in Privatbesitz und führen Eingriffe wie in einer Privatklinik durch. Sie haben durchaus Interesse an den langen Wartelisten, kritisiert die »Kampagne gegen die Privatisierung des Gesundheitswesens« in Madrid, denn so können sie immer mehr »günstige« Behandlungen auf private Rechnung durchführen. Zugleich zahlt der Staat den Unternehmen eine Pauschale für jeden potentiellen Patienten – unabhängig davon, ob dieser deren Dienste überhaupt in Anspruch nimmt. An Privatpatienten verdienen sie also sogar doppelt. Ein sicheres Geschäft für die Konzerne, deren Konzessionen Laufzeiten von 30 bis 60 Jahren haben.

* Aus: junge Welt, Montag, 7. April 2014


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