Barcelona soll nur der Anfang sein
Aus Katalonien heraus will die neue Partei Guanyem ganz Spanien verändern
Von Carmela Negrete *
In Barcelona ist aus der Plattform der von den Hypotheken Betroffenen eine basisdemokratisch organisierte politische Kraft hervorgegangen.
»Die alte Politik steht im Dienst der Mächtigen und ist korrupt«, sagt Ada Colau bei der Vorstellung des politischen Programms ihrer Partei. Sie ist das bekannteste Gesicht des neuen Zusammenschlusses Guanyem Barcelona, was auf Katalanisch »Siegen wir in Barcelona« bedeutet. Vielen Bürgern der Stadt ist Ada Colau durch Auftritte in den Medien als Sprecherin der Plataforma de Afectados por la Hipoteca (Plattform der von den Hypotheken Betroffenen, PAH) bekannt. Die charismatische Aktivistin präsentierte voriges Jahr im spanischen Parlament eine Gesetzesinitiative, die von der PAH ausgearbeitet und von fast 1,5 Millionen Bürgern unterstützt wurde.
Sie wird nun voraussichtlich als Spitzenkandidatin ihrer Partei für das Bürgermeisteramt Barcelonas kandidieren, obgleich sie ständig betont, nur »eine unter Gleichen« zu sein. Ziel von Guanyem Barcelona ist es, die politischen Kräfte, die im Gegensatz zur herrschenden Politik Barcelonas stehen, zu bündeln und Selbstverwaltungen in den Nachbarschaften aufzubauen. Die Partei strebt die Öffnung der städtischen Institutionen für die Bürger und deren aktive Teilnahme an der politischen Willensbildung an. Dabei setzt sie auf das Prinzip der Basisdemokratie.
Mitglieder und Sympathisanten beteiligten sich über Monate hinweg an der Diskussion zum Gründungsmanifest der Partei. Darin wird ausgeführt, dass »in den letzten Jahren die Berichte vieler Bewegungen und Bürgerinitiativen aufgezeigt haben, dass die alte korrupte Elite unfähig ist, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen«. Deshalb sei es jetzt notwendig, dass sich »die Massen die Macht der Institutionen aneignen und sie zu Stätten des Gemeinwohls umformen«.
Das Manifest, von Dutzenden Wissenschaftlern, sozialen Bewegungen und Nachbarschaftsinitiativen unterzeichnet, sieht vor, Bedingungen und Freiräume zu schaffen, in denen die »Achtung der Identität des Einzelnen über der arithmetischen Summe des politischen Establishments und seiner Interessen steht, das eng mit der Finanz-, Immobilien- oder Tourismuslobby verbunden ist«. Eine nachhaltige Sozialwirtschaft sollte stattdessen geschaffen werden.
Die Bewegung sieht sich in ihrem Wirken nicht auf Spaniens zweitgrößte Stadt beschränkt: »Ein demokratischer Aufstand in Barcelona wäre kein rein lokales Phänomen und würde dazu beitragen, gemeinsam mit anderen Initiativen das alte politische und wirtschaftliche System in Katalonien, in ganz Spanien und in Europa abzulösen.«
Tatsächlich könnte sich 2015 alles ändern. Es wird für die Spanier ein Superwahljahr. Neben den Wahlen zu den regionalen und lokalen Parlamenten wird das spanische Parlament gewählt, in dem die regierende Partido Popular (Volkspartei) unter Ministerpräsident Mariano Rajoy die absolute Mehrheit der Sitze hält. Die Europawahl hat eine deutliche Verschiebung im Wahlverhalten der Spanier aufgezeigt. Über Nacht hat die neue politische Kraft Podemos (Wir können), die nun mit fünf Abgeordneten im EU-Parlament vertreten ist, das Ende des klassischen Zweiparteien-Systems eingeläutet und die alte Machtelite in helle Aufregung versetzt.
Beide Formationen, Podemos und Ganyem Barcelona, weisen Gemeinsamkeiten in der Organisationsstruktur auf. Sie setzen auf basisdemokratische Partizipation und Entscheidungsfindung in Asambleas. Sie beziehen Position gegen die Austeritätspolitik und können auf die selben politischen Wurzeln verweisen. Beide sind aus der Bewegung der Empörten hervorgegangen, die im Mai 2011 Hunderttausende auf die Straßen und Plätze Spaniens mobilisierte.
Auch andere politische linke Kräfte, die katalanischen Wahlformationen aus ICV-EUiA, CUP, Partido X und Procés Constituent stehen der neuen politischen Kraft erst einmal positiv gegenüber, obgleich noch keine offiziellen Positionen vorliegen. Daher bleibt die Möglichkeit eines gemeinsamen Wahlbündnisses offen. Allerdings strebt Ganyem Barcelona nicht ausschließlich eine Koalition von Parteien an, sondern »eine breite Bürgerbewegung«.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag 3. Juli 2014
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