Linksruck in Spanien
Schlappe für rechte Volkspartei und Sozialdemokraten bei Regional- und Kommunalwahlen
Von Mela Theurer, Barcelona *
Bei den Regional- und Kommunalwahlen in Spanien hat die konservative Volkspartei (PP) des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy am Sonntag starke Einbußen erlitten. Sie verlor 2,5 Millionen Stimmen und erzielte ihr schlechtestes Ergebnis bei Regionalwahlen seit mehr als 20 Jahren. Ähnlich erging es der sozialdemokratischen Sozialistischen Partei (PSOE). Sie bekam 25 Prozent der Stimmen und verlor damit etwas mehr als 700.000 Wähler. Zwar ist die PP mit 27 Prozent der Stimmen landesweit noch die stärkste Partei, hat aber außer 10,5 Prozentpunkten gegenüber 2011 auch ihre absolute Mehrheit überall verloren. Insgesamt standen am Sonntag in mehr als 8.000 spanischen Städten und Gemeinden die Bürgermeister zur Wahl, in 13 von 17 Regionen die Regierungschefs.
Die Metropolen Madrid und Barcelona könnten bei entsprechenden Koalitionsvereinbarungen künftig von linken Bürgermeisterinnen regiert werden. Manuela Carmena, pensionierte Richterin und Kandidatin der von Podemos (Wir können) unterstützten Linksallianz »Ahora Madrid«, liegt nur einen Punkt hinter der PP-Kandidatin Esperanza Aguirre. Dies könnte in der Hauptstadt das Ende einer 24 Jahre währenden PP-Bürgermeisterschaft bedeuten.
Eine knappe Mehrheit erreichte Ada Colau, ehemalige Vorsitzende der Plattform gegen Zwangsräumungen und Kandidatin des Bündnisses »Barcelona en Comú«, das u.a. von Podemos und der Vereinigten Linken getragen wird. Colau setzte sich gegen den bisherigen Bürgermeister Xavier Trias von der katalanisch-christdemokratischen CiU durch, die sich für eine Unabh
ängigkeit Kataloniens einsetzt.
Auch die PP der autonomen Gemeinschaft Valencia erlebte eine eindeutige Niederlage. Sie verlor 22 ihrer bisher 55 Sitze und muss wohl ebenfalls einem Linksbündnis weichen. Beobachtern zufolge sind die Stimmenverluste der PP vor allem eine Folge der rigiden Kürzungspolitik der Regierung sowie der zahlreichen Korruptionsskandale. So hatte José Ramon Bautzá auf den Balearischen Inseln zwar einen Korruptionsfall nach dem anderen überstanden, musste jetzt jedoch das schlechteste Resultat der Parteigeschichte hinnehmen. Die PP verlor dort 15 der bisher 35 Mandate, mit denen sie die absolute Mehrheit innehatte. Ein Pakt der Linksparteien wird die PP-Herrschaft wohl auch dort vorläufig beenden.
Außer den Linken profitierten auch die in Katalonien gegründeten konservativen und für die Einheit Spaniens stehenden Ciudadanos (Bürger) von den Stimmenverlusten der rechten PP. Sie konnten erstmals spanienweit Erfolge verbuchen und wurden drittstärkste Kraft im Land.
Der Schwenk nach links ist unterdessen eine klare Botschaft an die Zentralregierung in Madrid hinsichtlich der bevorstehenden Parlamentswahlen im Herbst. Podemos und mit ihr verbündete Parteien und Bewegungen lehnen die Kürzungs- und Reformprogramme zu Lasten der breiten Bevölkerungsschichten ab.
* Aus: junge Welt, Dienstag, 26. Mai 2015
Linksruck?
Regionalwahlen in Spanien
Von André Scheer **
Besorgte Mienen beim Börsenreporter der »Tagesschau« am Dienstag morgen: Die Aktienkurse haben als Reaktion auf den »Linksruck« in Spanien nachgegeben. »Von so etwas hält man hier nichts«, wird gejammert. Viele Spanier jubeln dagegen: Sowohl die rechte Volkspartei (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy als auch die sozialdemokratische PSOE-Opposition wurden abgestraft. Sieger sind nahezu durchweg neue Bündnislisten oder andere Kräfte, die bislang nur unter »ferner liefen« rangiert hatten.
Doch die Kommentare, die das Resultat der Regional- und Kommunalwahlen in Spanien als Linksschwenk und Erfolg für die neue Protestpartei Podemos interpretieren, greifen zu kurz. Das Ergebnis spiegelt in erster Linie die wachsende Ablehnung des nach dem Ende des Franco-Faschismus in Spanien entstandenen Parteiensystems wider. Dabei artikuliert sich der Protest nicht nur links vom bisherigen Spektrum, sondern auch über neue rechtspopulistische Kräfte.
Durch das geltende Wahlrecht war bislang quasi garantiert worden, dass sich die beiden großen Parteien beim Regieren Spaniens und der autonomen Regionen abwechseln. Dieses politische Paradigma ist am Sonntag erschüttert worden. Zwar wurden in fast allen der 13 Regionen, in denen gewählt wurde, entweder die PP oder die PSOE stärkste Kraft, doch absolute Mehrheiten erreichten sie nirgendwo. Zu den Verlierern gehörten auch etablierte Regionalparteien wie die katalanische CiU und – dort, wo sie alleine antrat – die Vereinigte Linke (IU). Dagegen konnten Linke dann feiern, wenn sie zusammen mit anderen Kräften unter neuen Namen angetreten waren, etwa in Barcelona und Madrid, wo sie künftig die Bürgermeisterinnen stellen dürften.
Die vor einigen Monaten noch als möglich erschienene Übernahme der nationalen Regierungsgewalt durch Podemos ist dagegen illusorisch geworden. In keiner Region wurde die Partei von Pablo Iglesias stärkste Kraft. Der bäckt inzwischen kleinere Brötchen: Es komme nun darauf an, zusammen mit den Sozialdemokraten die PP aus den Regierungsämtern zu verdrängen. Das aber ist etwas völlig anderes als der von seinen Anhängern erhoffte radikale Bruch mit dem etablierten System. Podemos scheint, ähnlich wie Syriza in Griechenland, von den Realitäten eingeholt worden zu sein – allerdings schon Monate vor den Parlamentswahlen.
Hinzu kommt: Nicht nur linke Bündnisse feierten Erfolge. Ein Teil der früheren PP-Wählerstimmen ging diesmal auch an die konservativen »Bürger« (Ciudadanos), die sich nun in mehreren Regionen als Mehrheitsbeschaffer der PP anbieten können. Es ist nicht auszuschließen, dass sich dieses Szenario nach den im Herbst anstehenden Parlamentswahlen wiederholt – dann könnte Rajoy trotz der Verluste seiner Partei im Amt bleiben. Das Wunschergebnis für Berlin und Brüssel.
** Aus: junge Welt, Mittwoch, 27. Mai 2015 (Kommentar)
Rajoy sieht sich als Sieger
Nach Schlappe für Regierungspartei: Spaniens Ministerpräsident zieht keine Konsequenzen. Konzerne nervös ***
Trotz der hohen Verluste seiner Volkspartei (PP) bei den Kommunal- und Regionalwahlen will der spanische Regierungschef Mariano Rajoy seinen Kurs nicht ändern. »Wir haben einen bedeutenden Stimmenverlust erlitten und können nicht zufrieden sein«, räumte der Ministerpräsident am Montag abend in Madrid ein. Aber die PP habe im ganzen immer noch die meisten Stimmen erhalten – »der Sieg ist unstrittig«.
Der Premier zeigte sich überzeugt, dass seine Partei die Parlamentswahlen Ende des Jahres gewinnen werde. Die Bevölkerung werde dann »die Anstrengungen der Regierung zur Überwindung der Krise anerkennen«, sagte er. In deren Ergebnis sind nach offiziellen Angaben 51 Prozent der unter 25 Jahre alten Spanier erwerbslos. Insgesamt beträgt die Arbeitslosenrate offiziell 23 Prozent. Hunderttausende Menschen sind von den Banken aus ihren Wohnungen vertrieben worden, viele haben nach Krankenhaus- und Praxenschließungen sowie der Privatisierung von Gesundheitseinrichtungen keinen Zugang zu ärztlicher Versorgung mehr.
Doch Rajoy zeigt sich stur und will weiter den Fokus seiner Politik auf »wirtschaftliche Erholung« legen. Eine Umbildung des Kabinetts komme nicht in Frage. Das entspricht den Vorgaben von EU und Großkonzernen. So reagierten die Energiekonzerne einem Bericht des Internetportals eldiario.es vom Dienstag zufolge nervös auf den Ausgang der Wahlen, denn unter einer von ihnen befürchteten Koalitionsregierung der sozialdemokratischen PSOE und der linken Podemos dürften für sie schwere Zeiten anbrechen. Die Wahlprogramme der beiden Parteien stimmen darin überein, dass Fracking verboten, das derzeit abgeschaltete Atomkraftwerk Garoña nicht wieder angefahren werden und das von der Regierung geplante Atommüllzwischenlager in Villar de Cañas nicht gebaut werden sollen. Auch die Ratingagentur Moody’s stellte nach den Wahlen vom Sonntag eine »wachsende Unsicherheit« fest, in welche Richtung Spanien in den kommenden Jahren politisch steuern werde.
*** Aus: junge Welt, Mittwoch, 27. Mai 2015
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