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Wende nach 300 Jahren?

Großdemonstration zum Nationalfeiertag: Katalanische Unabhängigkeitsbewegung sieht sich kurz vor dem Ziel

Von Mela Theurer, Barcelona *

Alljährlich begeht Katalonien am 11. September seine »Diada«, den Nationalfeiertag, an dem der Kapitulation Barcelonas nach einer 14 Monate dauernden Belagerung durch spanische und französische Truppen im Jahre 1714 gedacht wird. Während des Spanischen Erbfolgekrieges (1701–1714) hatten sich die Stadt und das weitgehend selbstverwaltete Katalonien gegen die Bourbonen gestellt, waren letztlich jedoch unterlegen. Im Zeichen des folgenden Zentralismus unter Philipp V. wurden alle politischen Institutionen der Region aufgelöst, der Gebrauch der katalanischen Sprache wurde verboten und die fünf Universitäten wurden geschlossen, während in der ländlichen Kleinstadt Cervera eine neue, ganz im Sinne der königlichen Herrschaft lehrende Hochschule errichtet wurde.

In diesem Jahr jährt sich der Untergang des selbstregierten Kataloniens zum 300. Mal. Doch nicht nur deshalb kommt dem Nationalfeiertag diesmal ganz besondere Bedeutung zu. Er steht auch ganz im Zeichen des für den 9. November geplanten Referendums über eine Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien. Bereits im vergangenen Jahr hatte die Katalanische Nationalversammlung (ANC), ein überparteiliches Bündnis, eine 400 Kilometer lange Menschenkette durch ganz Katalonien organisiert, an der sich rund 1,5 Millionen Menschen beteiligten (jW berichtete). Diesmal will die ANC in Barcelona ein gigantisches Menschenmosaik realisieren. Hunderttausende Menschen sollen auf den zentralen Verkehrsachsen der Metropole Barcelona ein »V« bilden, das für »Voluntat« (Wille), »Votar« (abstimmen) und »Via« (Weg) steht, und so für ihr demokratisches Recht demonstrieren, selbst über ihre Zukunft zu entscheiden.

Im Vorfeld des Tages haben die ANC und die Kulturvereinigung Òmnium Cultural nicht nur in der gesamten Region mit »lebenden Vs« für den 11. September trainiert. Auch in rund 80 Städten weltweit – unter anderem in Berlin -- gingen Unterstützer einer Eigenständigkeit Kataloniens auf die Straße. Diese Internationalisierung der Kampagne führte unter anderem dazu, daß sich die im »Forum von São Paulo« zusammengeschlossenen Linksparteien Lateinamerikas bei ihrer jüngsten Tagung im bolivianischen La Paz mit der Durchführung des Referendums in Katalonien solidarisierten und die Behörden Spaniens zum Dialog aufriefen.

Die ANC hofft, daß die Beteiligung an der Großdemonstration in Barcelona noch höher ausfallen wird als im vergangenen Jahr. Bis Dienstag hatten sich bereits mehr als 500000 Menschen im Internet als Teilnehmer registriert. Dadurch soll der Druck auf die katalanischen Parteien erhöht werden, am 9. November als Datum der Abstimmung festzuhalten. Auf dieses sowie auf die konkrete Fragestellung hatten sich Ende vergangenen Jahres die konservative Regierungsallianz CiU, die sie tolerierende Republikanische Linke (ERC), das Linksbündnis ICV-EUiA sowie die radikale Kandidatur der Volkseinheit (CUP) geeinigt. Doch Ministerpräsident Artur Mas bekommt auch Druck von der anderen Seite. Am 29. August kündigte die Vizepräsidentin der spanischen Regierung, Soraya Saénz de Santamaría, an, daß das regionale Gesetz zur Durchführung einer Volksbefragung, das Kataloniens Parlament Mitte September verabschieden will, vom spanischen Verfassungsgericht umgehend annulliert werde. Und auch in Mas’ Partei wächst die Angst vor der eigenen Courage. Seit dem Ende der Franco-Diktatur und dem Übergang zur Demokratie sind die liberal orientierte CDC und die christdemokratische UDC im Bündnis Convergència i Unió (CiU) zusammengeschlossen. Doch nun bröckelt die Einheit, denn führende Kräfte der UDC wollen das Referendum nur mittragen, wenn es von Madrid legitimiert wird. Eine einseitige Unabhängigkeitserklärung Kataloniens lehnt die UDC ebenfalls strikt ab. Ein Bruch der Allianz und damit der Regierung wird nicht mehr ausgeschlossen. Mas versucht deshalb, die traditionsreiche ERC für eine Regierungskoalition zu gewinnen. Schon jetzt ist die CiU im Parlament auf die Stimmen der ERC angewiesen – doch durch ihre Weigerung, sich direkt am Kabinett zu beteiligen, brauchen sich die Linksrepublikaner nicht für Sozialabbau und Kürzungen rechtfertigen, die die Regierung – manchmal mit den Stimmen der rechten Opposition – durch das Parlament bringt. ERC-Chef Oriol Junqueras schloß jedoch einen Regierungseintritt nicht aus, wenn nur so die Durchführung des Volksentscheids gesichert werden könnte. Einen von Mas bereits im letzten Jahr vorgestellten »Plan B«, der die Abhaltung »plebiszitärer Neuwahlen« Ende des Jahres vorsieht, falls am 9. November nicht abgestimmt werden kann, wird sowohl von der ERC als auch von der ANC entschieden abgelehnt.

Die Haltung der Linken ist bislang uneindeutig. Die ICV-EUiA, der auch die katalanischen kommunistischen Parteien PCC und PSUC-viu angehören, hat sich bislang nicht offiziell positioniert, wie sie auf ein Verbot des Referendums durch das Verfassungsgericht reagieren würde. Die links von ihr stehende CUP und das Bündnis »Guanyem Barcelona« (Gewinnen wir Barcelona), an dem unter anderem die Kampagne gegen Zwangsräumungen beteiligt ist, rufen zum zivilen Ungehorsam auf. Das Referendum solle auch ohne Genehmigung aus Madrid durchgeführt werden. Die Sozialdemokraten der PSC wollen zwar für das Gesetz zur Durchführung einer Volksbefragung votieren, das Referendum am 9. November selbst jedoch nicht unterstützen.

ANC-Präsidentin Carme Forcadell bekräftigte die Haltung ihres Bündnisses, ein Verbot durch das Verfassungsgericht nicht anzuerkennen, da es sich um eine nicht legitimierte politische Entscheidung handeln würde. Die unermüdliche Aktivistin ist zur Haßfigur der Gegner einer größeren Eigenständigkeit Kataloniens geworden. Die rechtsextreme Antikorruptionsorganisation »Saubere Hände« (Manos Limpias) hat bereits zum zweiten Male Strafanzeige gegen Forcadell gestellt. Büros der ANC sowie von Òmnium Cultural wurden mit Steinen beworfen. Auch die Neofaschisten machen mobil und rufen zu einer Gegendemonstration »Gegen die separatistische Manipulation der Geschichte« auf. Forcadell will sich jedoch nicht einschüchtern lassen. Als Motor des Prozesses für die Unabhängigkeit sei die ANC natürlich immer Angriffspunkt, um Angst zu streuen und die legitime Bewegung zu diskreditieren, erklärte sie.

* Aus: junge Welt, Donnerstag 11. September 2014


Jordi Pujol: Legende am Ende **

Jahrzehntelang war Jordi Pujol das politische Gesicht Kataloniens: Von 1980 bis 2003 war er Präsident der Generalitat de Catalunya, also Regierungs­chef. Der konservative Politiker setzte die wirtschaftliche Macht der autonomen Region ein, um der Zentralregierung in Madrid Zugeständnisse abzutrotzen. Über Jahre diente sich das von ihm geführte Parteienbündnis CiU in Madrid mal den spanischen Sozialdemokraten, mal der rechten Volkspartei als Koalitionspartner an. Zugleich präsentierte sich Pujol international wie der Repräsentant eines souveränen Staates – und sorgte in Madrid regelmäßig für Empörung, etwa als bei einer Visite in Prag die katalanische Fahne anstelle der spanischen gehißt wurde. Dabei blieb er jedoch stets Verfechter eines Verbleibs der Region im spanischen Staatsverband.

Erst in den vergangenen Monaten schwenkte Pujol auf die Linie der Befürworter einer Unabhängigkeit ein. Doch inzwischen interessiert diese Haltung kaum noch. Statt dessen muß sich Pujol mit einem handfesten Korruptionsskandal auseinandersetzen. Im Juli mußte er zugeben, daß er 34 Jahre lang dem Finanzamt Vermögenswerte in Millionenhöhe verschwiegen hatte, um keine Steuern zahlen zu müssen. Die spanische Regierung – die selbst immer wieder durch Skandale erschüttert wird – zeigte sich erwartungsgemäß empört und hoffte, durch den Skandal die Unabhängigkeitsbewegung schwächen zu können. Doch auch in Katalonien ist die Wut groß. Gemeinsam mit den linken Oppositionsparteien ICV-EUiA und CUP will auch die ERC, die derzeit das Kabinett von Pujols Parteifreund Artur Mas unterstützt, einen Ermittlungsausschuß zu den Vorgängen durchsetzen. Die Fraktionssprecherin der Republikanischen Linken im Parlament, Marta Rovira, bekräftigte, daß ihre Partei Pujol im Plenum vernehmen wolle.

»Pujol muß bezahlen, vor allem, weil er das Volk Kataloniens betrogen und hintergangen hat«, unterstützte die ERC-Abgeordnete Teresa Jordà dieses Ansinnen. »Sie alle müssen bezahlen, was sie gestohlen haben – ob sie nun Pujol, Botín oder Cristina de Borbón heißen«. Gegen Cristina von Spanien, die zweite Tochter des spanischen Ex-Königs, wird wegen Beteiligung an Unterschlagung, Korruption, Geldwäsche, Urkundenfälschung, Steuer- und Sozialversicherungsbetrug ermittelt. Emilio Botín, ein hoher Manager der spanischen Großbank Santander, war das Ziel von Ermittlungen wegen Unterschlagung und Bestechungszahlungen. Er wird nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden können – er starb am gestrigen Mittwoch. (scha)

** Aus: junge Welt, Donnerstag 11. September 2014


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