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In Barcelona tobt der Kampf um die soziale Zukunft

Seit dem Aus für das Zentrum Can Vies bestimmen Massenproteste die politische Auseinandersetzung in der spanischen Region Katalonien

Von Ralf Streck, San Sebastián *

Nach der Räumung eines Sozialzentrums in Barcelonas Stadtteil Sants gibt es dort Demonstrationen und Straßenkämpfe.

Auch in der Nacht zu Freitag kam es in der katalanischen Metropole Barcelona wieder zu Straßenschlachten zwischen Demonstranten und Polizei, obwohl nun Verhandlungen die Lage entschärfen sollen. Seit der Räumung des seit 1997 besetzten Stadtteilzentrums Can Vies am Montag sind Teile der Stadt im Ausnahmezustand. Es kommt immer wieder zu Demonstrationen in Barcelona, in Katalonien und anderen Regionen.

Bisher wurden etliche Menschen verletzt, Mobiliar zerstört, Scheiben von Banken eingeworfen und etwa 50 Personen festgenommen. Doch auch starke Polizeipräsenz konnte die Proteste bisher nicht verhindern, die auch am Wochenende weitergehen sollen.

Juristen, Intellektuelle und Aktivisten bezeichnen die Räumung als »schwerwiegenden Fehler«. Can Vies habe sich in den 17 Jahren seit der Besetzung nicht nur zu einer Referenz im Stadtteil Sants entwickelt, sondern sei bedeutsam für ganz Barcelona. Mehr als 50 Organisationen, Kulturgruppen und alternative Medien haben es genutzt und für ein breites politisches, kulturelles und soziales Angebot gesorgt; es bot zudem Wohnraum. Im Stadtteil verankert, steht es auch als Fels in der Brandung einer Umstrukturierung, die um das Zentrum Barcelonas herum vorangetrieben wird. Gemma Galdón kann sich nicht erklären, warum ein Konflikt losgetreten wurde, dessen Tragweite nicht absehbar ist. Die Politikprofessorin der Universität Barcelona erklärt: »Es war für alle klar, dass man auf Granit stoßen würde.« Zuvor waren Verhandlungen zwischen Stadtverwaltung und Besetzern gescheitert.

Der enorme Widerstand lässt nun den konservativen Bürgermeister Xavier Trias zurückrudern, der die Räumung offiziell aus Sicherheitsgründen angeordnet hatte. Unter Vermittlung der radikal-linken Partei CUP soll eine Verhandlungslösung gesucht werden. Trias will den Abriss stoppen und denkt über ein Ersatzangebot nach. CUP-Chef David Fernández hat sich als Vermittler angeboten. Er hatte Trias vorgeworfen, mit der Räumung eine »Konfliktspirale« ausgelöst zu haben. Die Räumung sei »absolut unnötig, unnütz und unverständlich« gewesen. Er betonte aber auch, dass »alle Konflikte gelöst werden können«.

Sants soll kein zweites Gamonal werden. Bürger dieses Stadtteils der nordspanischen Stadt Burgos hatten sich wochenlang vehement gewehrt, um ein teures Umstrukturierungsprojekt zu verhindern. Auch mit Gewalt wurde dort verhindert, dass die konservative Stadtregierung eine einfache Straße für viel Geld in einen eleganten Boulevard umwandelt, während überall gespart wird. Der Plan wurde aufgegeben und am Mittwoch ging Gamonal aus Solidarität mit Barcelona auf die Straße.

Can Vies ist ein Punkt, an dem sich aufgestauter Unmut Luft macht. Das sind Skandale in Politik und Polizei, deren Chef das erste politische Opfer der Proteste um das Zentrum wurde. Am Mittwoch trat Manel Prat zurück. Er hatte immer wieder Gewalt gegen friedliche Demonstranten befohlen und für Eskalation gesorgt. Vergessen ist weder die brutale Räumung des Empörten-Protestcamps noch das Vorgehen beim Generalstreik 2013. Dabei wurde der streikenden Ester Quintanilla ein Auge mit einem Gummigeschoss zerstört.

Gamonal und Barcelona zeigen die explosive Stimmung nach sechs Jahren Kürzungs- und Sparprogrammen. Deutlich wird, dass sich die Proteste zunehmend radikalisieren und von immer breiteren Schichten unterstützt werden. Bei den Wahlen am vergangenen Sonntag manifestierte sich das darin, dass linke und linksradikale Parteien deutlich gestärkt wurden, besonders in Katalonien.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 31. Mai 2014


Hoffnung im Baskenland

Linkes Wahlbündnis mit Sitz im Europaparlament. Sozialdemokraten und Rechtskonservative abgestraft

Von Uschi Grandel **


Die Beteiligung an der Europawahl blieb im Baskenland mit 45 Prozent gering. Viele Basken stehen dem neoliberalen Kurs der Europäischen Union ablehnend gegenüber. Dem linken Unabhängigkeitsbündnis EH Bildu (Das Baskenland versammeln) gelang es jedoch, einen Sitz im Europaparlament zu gewinnen. EH Bildu war im Wahlbündnis »Los Pueblos Deciden« (Die Völker entscheiden) gemeinsam mit dem galizischen Bloque Nacionalista Galego (BNG, Patriotischer galizischer Block) und kleineren Parteien aus Asturien, den Kanaren und Aragon angetreten. Josu Juaristi, ehemaliger Direktor der baskischen Zeitung GARA, wird für das Wahlbündnis ins Europaparlament einziehen. »Für uns ist das eine Möglichkeit, Netzwerke zu bilden, um für andere soziale Verhältnisse, für das Recht auf Selbstbestimmung und für den Friedensprozeß im Baskenland zu arbeiten«, erklärte EH Bildu in ihrer Wahlanalyse.

Unterstützung erhofft sich die baskische Linke vor allem für die Überwindung der Blockadehaltung Madrids im Friedensprozeß. Die war auch deshalb möglich, weil die spanische Sozialdemokratie (PSOE) den Kurs der regierenden rechten Partido Popular (PP) unterstützte. Nach dem landesweiten Absturz der beiden großen Parteien – die PP fiel bei der Europawahl von 43 Prozent (2009) auf 26, die PSOE von 39 auf 23 Prozent – ergibt sich für das Baskenland eine neue Situation. Die beiden Parteien repräsentieren dort mit jeweils knapp 14 Prozent der Stimmen eine immer kleiner werdende Bevölkerungsgruppe. Die baskische Regionalpartei der PSOE kam sowohl in Nafarroa (Navarra) als auch in den drei Provinzen der Baskischen Autonomen Gemeinschaft (CAV) lediglich auf 13 bis 15 Prozent. Die PP stürzte in Nafarroa von 38 auf 25 Prozent und kam in der Provinz Gipuzkoa, in der EH Bildu mit mehr als 31 Prozent stärkste Partei wurde, gerade noch auf sieben Prozent.

Im gesamten Baskenland wurde EH Bildu zum ersten Mal mit 23 Prozent knapp vor der baskischen konservativen PNV (Partido Nacionalista Vasca, 22 Prozent) stärkste Partei. Vom massiven Einbruch der PSOE profitierten zudem die beiden linken Parteien Izquierda Unida (IU, Vereinigte Linke) und Podemos (Wir können es). Das könnte positive Auswirkungen auf den Friedensprozeß haben. Im Interview mit GARA erklärte der Podemus-Spitzenkandidat Pablo Iglesias, er respektiere das Recht auf Selbstbestimmung. Die Hand seiner Partei sei »ausgestreckt für eine Zukunft des Friedens und des Dialogs«.

** Aus: junge Welt, Samstag, 31. Mai 2014


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