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Die Katalanen und die Krim

Spaniens Regierung nutzt Lage in der Ukraine zur Stimmungsmache gegen Unabhängigkeit Kataloniens

Von Carles Solà/Mela Theurer, Barcelona *

Was bedeutet das Referendum der Krim vom vergangenen Sonntag für die Pläne der Katalanen, im November über ihre eigene Zukunft abzustimmen? Die Regierung in Madrid sieht sich in ihrer Kampagne gegen den geplanten Volksentscheid über eine Unabhängigkeit Kataloniens im Aufwind. Während das Kabinett von Ministerpräsident Mariano Rajoy ebenso wie das Regime in Kiew erklärt, die Durchführung des Referendums widerspreche hier wie dort der geltenden Verfassung, bemühen sich die politisch führenden Kräfte in Barcelona, jeden Zusammenhang zwischen der Krim und Katalonien zu leugnen. So distanzierte sich der Präsident der Generalitat, Artur Mas, in einem Interview von den Ereignissen auf der Krim, weil der Prozeß in Katalonien demokratisch und vom Volk getragen sei, während es in Simferopol keine legitime Regierung gebe. Auch sein Koalitionspartner, die Republikanische Linke Kataloniens (ERC), sieht keine Parallelen. Als einzige Partei, die sich überhaupt öffentlich zum Referendum auf der Krim positioniert, erklärte sie, daß deren Bevölkerung zwar prinzipiell das Recht habe, über ihre Zukunft zu entscheiden. Allerdings lasse der derzeitige Kontext einer »russischen Besatzung« und der »Präsenz paramilitärischer Kräfte auf den Straßen« keine freie und transparente Abstimmung zu.

Unterstützung erhielten die Katalanen für diese Sichtweise in der vergangenen Woche von der New York Times. Die Unabhängigkeitsbewegungen in Quebec, Schottland oder Katalonien hätten gezeigt, daß es »legitime Gründe und Wege« gebe, das Recht auf Eigenständigkeit einzufordern. Allerdings, so der Kommentator des US-Blattes, treffe dies auf die Krim derzeit nicht zu. Die Durchführung des Referendums sei eine Staatsinitiative gewesen und nicht von einer Volksbewegung ausgegangen.

In erster Linie setzt Madrid jedoch auf eine Angstkampagne, um die Katalanen von ihrem Referendum und einer möglichen Entscheidung für die Trennung von Spanien abzuhalten. So warnte Außenminister José Manuel García-Margallos, die Aussichten für eine unabhängige Wirtschaft Kataloniens seien katastrophal. Der Bevölkerung drohe immense Verarmung, da sich die internationalen Konzerne abwenden würden, es keine Investitionen mehr gäbe und die Touristen ausblieben. Gerichtet an die Botschafter Spaniens im Ausland legte Margallo einen Lagebericht vor, in dem er Argumente gegen eine Unabhängigkeit Kataloniens auflistet. Die Region werde im Falle einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung »dazu verurteilt sein, sich im luftleeren Raum zu bewegen und für immer und ewig von der EU ausgeschlossen zu bleiben«. Die Chefin des katalanischen Arms der in Madrid regierenden Volkspartei (PP), Alicia Sánchez-Camacho, erklärte, die Region werde außenpolitisch im Abseits bleiben.

Im katalanischen Parlament bekräftigte dagegen Mas, daß er die Durchführung der Volksbefragung am 9. November garantiere. Die parteiunabhängige Katalanische Nationalversammlung (ANC) veröffentlichte vor einigen Tagen ihren aktuellen Forderungskatalog. Demnach soll die Unabhängigkeit Kataloniens am 23. April 2015 ausgerufen werden. An diesem Datum, der »Diada de Sant Jordi«, feiert die Region ihren Schutzpatron, den Heiligen Georg.

Die PP reagierte prompt mit Drohungen auf den Fahrplan der ANC, die auch die 400 Kilometer lange Menschenkette im vergangenen September organisiert hatte. Sánchez-Camacho wetterte, der Staat werde »mit Härte und Entschlossenheit« gegen alle vorgehen, »die das Zusammenleben zwischen Spanien und Katalonien zerstören wollen«. Die rechte Tageszeitung ABC forderte gar die Auflösung der ANC und die strafrechtliche Verfolgung von deren Präsidentin Carme Forcadell wegen »Aufruf zur Rebellion«. Spaniens Vizeregierungschefin Soraya Sáenz de Santamaría kündigte an, die Gemeinden juristisch zur Verantwortung zu ziehen, die finanziell die »Vereinigung der Gemeinden für die Unabhängigkeit« (AMI) unterstützen. Der AMI gehören 685 der über 900 Gemeinden Kataloniens an.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 19. März 2014


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