Wenn Spaniens Lügen blühen
Zelle von Islamisten und Neonazis in Katalonien ausgehoben. Madrid beschuldigt Unabhängigkeitsbewegung
Von André Scheer *
Am 24. Mai finden in weiten Teilen Spaniens Kommunal- und Regionalwahlen statt. Der rechtskonservativen Volkspartei (PP) des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy droht eine schwere Schlappe, denn in vielen Gemeinden dürfte die von Skandalen erschütterte Partei ihre Vorherrschaft verlieren. Das aber will sich die einst von Funktionären des Franco-Regimes gegründete Partei nicht erlauben, denn Ende des Jahres stehen allgemeine Parlamentswahlen an. Bislang regiert die PP im Madrider Parlament mit absoluter Mehrheit, doch das dürfte dann vorbei sein.
In dieser Situation greifen führende Funktionäre der Partei auf ein Muster zurück, das schon vor elf Jahren der damalige Ministerpräsident José María Aznar ausprobiert hatte. Nach den Anschlägen auf Metrozüge in Madrid am 11. März 2004, bei denen 192 Menschen getötet worden waren, hatte der Regierungschef die baskische Untergrundorganisation ETA beschuldigt. Tatsächlich waren jedoch islamistische Terroristen verantwortlich, die auf die spanische Beteiligung am Irak-Krieg reagieren wollten.
Nun versucht Spaniens Innenminister Jorge Fernández Díaz, die katalanische Unabhängigkeitsbewegung mit den Dschihadisten des »Islamischen Staats« (IS) in Verbindung zu bringen. In der vergangenen Woche gelang der katalanischen Regionalpolizei Mossos d'Esquadra ein Schlag gegen eine elf Männer starke Gruppe, die Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Katalonien geplant haben soll. Außerdem wollten die Terroristen offenbar nach dem Muster der IS-Propagandavideos einen Menschen vor laufender Kamera ermorden.
Im Rundfunk der autonomen Region griff Fernández Díaz nur Stunden nach Bekanntwerden des Fahndungserfolgs die Stiftung »Nous Catalans« (Neue Katalanen) an, die sich um die Einbeziehung der Immigranten in die Gesellschaft bemüht. Die der liberalen katalanischen Regierungspartei CDC nahestehende Organisation habe sich nicht um die Integration der Einwanderer gekümmert, so der Minister, sondern diese vielmehr »für das Unabhängigkeitsprojekt ausgebildet«. Später legte er auf einer Wahlkampfveranstaltung der PP nach. Das Projekt der Unabhängigkeitsbewegung diene nicht dem Zusammenleben, sondern der Spaltung und der Konfrontation, »und wenn man das mit bestimmten Gruppen macht, gerät man in Gefahr, Personen zu integrieren, die aus anderen Gründen hier sind«.
Die Stiftung wies alle Vorwürfe zurück. Am Dienstag erklärte ihr Vorsitzender Àngel Colom bei einer Veranstaltung, an der demonstrativ auch Barcelonas Bürgermeister Xavier Trias teilnahm: »Wir erklären uns schuldig, den neuen Katalanen den Unabhängigkeitsprozess zu erklären, denn wir wollen mit allen gemeinsam ein neues Land aufbauen.«
Tatsächlich deuten die Ermittlungen der Polizei in eine ganz andere Richtung. Offenbar handelte es sich bei der Untergrundzelle um ein Bündnis von Dschihadisten und Neonazis. Einer der in der vergangenen Woche Verhafteten ist Medienberichten zufolge ein Aktivist der neofaschistischen »Sozialen Republikanischen Bewegung« (MSR), für die er 2006 in Lleida bei Wahlen kandidierte. Diego F.A. soll dafür zuständig gewesen sein, die Waffen für einen Anschlag auf einen jüdischen Buchladen sowie für die Entführung einer Bankdirektorin zu besorgen. In seiner Wohnung fanden die Beamten Sprengstoff, Messer und Granaten. Der gemeinsame Antisemitismus von Neonazis und Dschihadisten war offenbar stärker als die in der extremen Rechten Europas sonst verbreitete Islamfeindlichkeit.
Die ultrarechte Tageszeitung La Razón behauptete dagegen, Diego F.A. habe 2011 für die Kommunistische Partei Spaniens (PCE) kandidiert. Diese reagierte darauf empört und warf dem Blatt bewusste Lügen vor. Das sei schon daran erkennbar, dass die PCE seit der Gründung der Vereinigten Linken (IU) 1986 bei Wahlen nicht mehr unter ihrem eigenen Namen angetreten sei, es also gar keine Listen der PCE gegeben habe.
* Aus: junge Welt, Freitag, 17. April 2015
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