Ein Europa, zwei Welten
Katalanisches Parlament verabschiedet Gesetz für Unabhängigkeitsreferendum
Von Mela Theurer, Barcelona *
Einen Tag nach dem Unabhängigkeitsvotum in Schottland hat das katalanische Regionalparlament in Barcelona am Freitag ein Gesetz zur Volksbefragung verabschiedet. Mit deutlicher Mehrheit ebneten die Abgeordneten so den Weg für eine Volksbefragung zur angestrebten Abspaltung von Spanien. Parteiübergreifend stimmten aus den Reihen der konservativen Regierungsallianz Convergència i Unió, der sozialdemokratischen Partit dels Socialistes de Catalunya (PSC), der Republikanischen Linken (ERC), aus dem Linksbündnis ICV-EuiA und der linken Candidatura d’Unitat Popular (CUP) insgesamt 106 Parlamentarier für das Befragungsgesetz. Lediglich 28 Abgeordnete der prospanischen Ciutadans (Bürger) und der rechten Volkspartei (PP) votierten dagegen. Die PP-Zentralregierung in Madrid will das Referendum jedoch verhindern.
Mit Ausnahme der Sozialdemokraten haben alle Parteien, die für das Befragungsgesetz stimmten, auch bereits einen Termin für die Volksbefragung angesetzt: den 9. November dieses Jahres. Anders als in Schottland ist die Stimmungslage in Katalonien eindeutig. Erst am 11. September, dem katalanischen Nationalfeiertag, waren in Barcelona 1,8 Millionen Menschen für die Unabhängigkeit auf die Straße gegangen. Das Gesetz zur Volksbefragung ist jedoch weitaus mehr als ein Instrument für die Enscheidung über die Unabhängigkeit. Es ist ein Schritt hin zu basisdemokratischer Mitbestimmung, da in Zukunft auch auf Gemeindeebene über politische Alternativen direkt abgestimmt werden könnte. Wahlberechtigt sind Jugendliche ab 16 Jahren, Menschen aus EU-Staaten, die seit einem Jahr oder länger in Katalonien leben, alle anderen Ausländer, wenn sie seit mindestens drei Jahren dort ihren Wohnsitz haben, sowie alle Katalanen im Ausland.
Ob die Katalanen tatsächlich über ihre Unabhängigkeit entscheiden dürfen, will Madrid nun allerdings zu einem Fall für die Gerichte machen. Spaniens rechtskonservative Zentralregierung hat bereits angekündigt, Beschwerde vor dem Verfassungsgericht einzulegen, sobald der katalanische Ministerpräsident Artur Mas das Gesetz sowie das Dekret zur Abhaltung der Volksbefragung unterzeichnet. Das von konservativen Richtern dominierte Gericht hatte bereits 2006 die in einem Referendum beschlossenen Änderungen des Autonomiestatuts Kataloniens so beschnitten, daß von seiner ursprünglichen Fassung kaum noch etwas übrigblieb. Auch damals war es einem Einspruch der PP gefolgt. Die spanische Regierung setzt derweil auf Verweigerung und Repression. Am vergangenen Dienstag erklärte Außenminister José Manuel García-Margallo, daß er eine Aussetzung des Autonomiestatuts nicht ausschließen könne. So will er die Volksbefragung aufhalten.
Kataloniens Ministerpräsident Mas zeigte sich dagegen weiterhin standhaft. Vor Hunderten Unabhängigkeitsbefürwortern, die am Freitag während der Abstimmung vor dem Parlament lautstark ihr Recht auf die Abhaltung einer Volksbefragung einforderten, erklärte er: »Wir beabsichtigen, am 9. November zu wählen«. Mas und der linke Oppositionschef Oriol Junqueras (ERC) bekundeten in der vergangenen Woche im Parlament, die Wahlen demokratisch durchzuführen. Falls das Verfassungsgericht erwartungsgemäß den legalen Rahmen dafür aufhebt, bliebe die Möglichkeit, diese Entscheidung zu ignorieren und trotzdem abstimmen zu lassen. Dazu hatte Junqueras bereits am 9. September aufgerufen, und auch Mas schloß die Option am vergangenen Donnerstag nicht aus. Im Parlament blieb die CUP mit einer Resolution, die zu zivilem Ungehorsam aufrief, jedoch allein. Die ERC-Generalsekretärin Marta Rovira begründete den Entschluß, gegen die Resolution zu stimmen, damit, daß ein solcher Aufruf in der Bevölkerung als zu radikal eingeschätzt werden könnte. Ob am 9. November gewählt wird, oder Plan B zum Einsatz kommt, der Ende des Jahres Neuwahlen vorsieht, bleibt abzuwarten.
* Aus: junge Welt, Montag 22. September 2014
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