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"Für viele von ihnen ist es lebensgefährlich"

Spanische Enklaven in Nordafrika: Polizei zwingt Flüchtlinge, nach Marokko zurückzuschwimmen. Gespräch mit José Palazón *


José Palazón Osma ist Vorsitzender der spanischen Vereinigung für die Rechte der Kinder (PRODEIN), die 2007 von der deutschen Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl mit dem Menschenrechtspreis ausgezeichnet wurde.


Ihre Vereinigung für die Rechte der Kinder (­PRODEIN) hat jetzt ein Video ins Internet gestellt, das unmenschliche Praktiken der spanischen Polizei an der Grenze zu Marokko zeigt. Was sagen die Gesetze dazu?

Wenn Bootsflüchtlinge in Strandnähe sind, haben die Behörden die Pflicht, sie an Land zu holen. Das geschieht auch hin und wieder, aber leider zu selten. Statt dessen wird das Boot meistens aus den spanischen Hoheitsgewässern hinaus eskortiert und im internationalen Seeraum einem marokkanischen Patrouillenboot übergeben. Das ist illegal.

Das Gesetz schreibt vor, daß diese Flüchtlinge in Obhut der Guardia Civil – der Polizei also – bleiben müssen, die dann formell die weiteren Schritte einleitet. Auf jeden Fall ist es unzulässig, sie direkt nach Marokko abzuschieben. Es muß zunächst einmal geklärt werden, wer diese Personen eigentlich sind und ob sie einen Anspruch auf Asyl haben.

Es gibt aber auch viele Flüchtlinge, die nicht nicht per Boot kommen, sondern – bei den spanischen Enklaven in Nordafrika – schwimmend versuchen, den Strand zu erreichen. Auf unserem Video ist eine solche Szene zu sehen: Polizisten greifen die Schwimmer im freien Wasser auf, holen sie aber nicht an Bord, damit sie nicht hinterher sagen könnten, sie hätten spanisches Territorium betreten. Sie werden vielmehr per Hand festgehalten und neben dem Boot her vom Strand weggeschleppt. Ich habe auch Videos, auf denen zu sehen ist, daß der Flüchtling an einer Schleppleine hing.

Das sind doch sicher nur bizarre Ausnahmen ...

Nein, es ist leider die übliche Praxis. Sie werden bis vor den marokkanischen Hafen geschleppt, die letzten zehn oder 15 Meter müssen sie aus eigener Kraft zurücklegen. Sie werden nicht etwa der marokkanischen Polizei übergeben, sie werden einfach ihrem Schicksal überlassen. Für viele ist es lebensgefährlich, weil sie meist schon völlig erschöpft vor dem spanischen Strand aufgegriffen werden. Die Guardia Civil nennt diese Prozedur zynischerweise »Rettung aus Seenot«.

Von der marokkanischen Grenze bis zum Hafen der Enklave Melilla läuft man normalerweise etwa 20 Minuten. Schwimmend brauchen die Flüchtlinge allerdings gute drei Stunden – sie müssen sich vorsichtig im Wasser bewegen, weil sie nicht von der Guardia Civil entdeckt werden wollen.

Wäre es denn vorzuziehen, daß sich die marokkanische Polizei ihrer annimmt?

Wenn sie in die Hände der Polizei oder der Armee geraten, werden sie verprügelt und in die Wüste zur algerischen Grenze deportiert, wo man sie ohne jede Versorgung aussetzt. Es gibt Flüchtlinge, die gesetzeswidrig von Spanien nach Marokko abgeschoben wurden, von dort ebenso gesetzeswidrig nach Algerien. Und die algerische Polizei schickt sie wieder zurück nach Marokko. Das alles kann sich viele Monate hinziehen.

Kann man nicht juristisch gegen die Behörden sich vorgehen?

Es hat mehrere Anzeigen gegeben, geschehen ist nichts. In der Enklave Ceuta, wo bei derartigen Praktiken Flüchtlinge ums Leben kamen, hatte der Bürgerbeauftragte eine entsprechende Klage eingereicht.

Diese Prozedur ist von vorne bis hinten gesetzeswidrig: Schwimmende Flüchtlinge müssen aufgegriffen und als erstes zur Untersuchung in ein Krankenhaus geschafft werden. Statt dessen werden sie, so erschöpft wie sie sind, nach Marokko zurückgeschickt, wo sie im Lager ohne ausreichende Ernährung und ohne jede medizinische Betreuung vor sich hin vegetieren. Schwangere Frauen sind darunter, die Kinder schlafen vielfach nachts unter freiem Himmel. Was den Umgang mit Flüchtlingen angeht, darin steht die Guardia Civil den übelsten Menschenhändlern in nichts nach.

Welche Organisationen können den Flüchtlingen in den marokkanischen Lagern denn helfen?

In Ceuta gibt es außer unserer ­PRODEIN die Vereinigung für Menschenrechte und viele Einzelpersonen, die helfen. Hin und wieder wird Flüchtlingen auch ein Zimmer in einer Privatwohnung eingeräumt. Auf marokkanischer Seite ist es die Erzdiözese von Tanger. Sie setzt die Arbeit der »Ärzte ohne Grenzen« fort, nachdem deren Leitung beschlossen hatte, ihre medizinische Hilfe auf andere Krisengebiete zu konzentrieren.

Interview: Carmela Negrete

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 12. Februar 2014


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