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Basken im Windschatten von Schotten und Katalanen

Doch Spaniens Zentralregierung versucht den Friedensprozess durch neue Verbote und Verhaftungen zu blockieren

Von Ralf Streck, San Sebastian *

Das Ende der baskischen Untergrundorganisation ETA bedeutet längst nicht, dass die Basken ihre Unabhängigkeitswünsche begraben. Das Gegenteil könnte der Fall sein.

Es fehlt nur noch, dass die Untergrundorganisation ETA ihre Waffen vernichtet. Dann wäre der Weg frei, damit sich die Basken wie Schotten und Katalanen frei für oder gegen Unabhängigkeit entscheiden könnten. Schottland und Katalonien lassen im Herbst ihre Bevölkerung über die Loslösung von Großbritannien beziehungsweise Spanien abstimmen. Der baskische Regierungschef Iñigo Urkullu erwartet deshalb, dass die ETA »in den nächsten sechs Monaten« die Waffen abgibt. Einen »Plan für den Frieden und das Zusammenleben« hat seine Regierung kürzlich verabschiedet. Als ersten Schritt sieht er Entwaffnung und Auflösung der ETA vor. »Hinter den Kulissen« werde längst gearbeitet.

Anders als in der linken Unabhängigkeitsbewegung macht der Chef der großen Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) in der konservativen spanischen Regierung jedoch »besorgniserregende Rückschritte« aus. Dabei hat er auch die Festnahme von Anwälten und die Durchsuchung ihrer Kanzleien in den letzten Tagen im Blick. Spaniens Innenminister Jorge Fernández Díaz hatte behauptet, die Anwälte hätten für die ETA deren inhaftierte Mitglieder »kontrolliert, ihrer Tyrannei unterworfen« und verhindert, dass sie »individuelle Hafterleichterungen« nach dem Strafrecht erhalten.

»Der Innenminister tut so, als habe sich nichts verändert«, sagte Urkullu am Freitag im Interview mit Radio Euskadi. Unerklärlich finde er überdies, warum die jährliche Demonstration zur Unterstützung der Gefangenen, die für den heutigen Sonnabend in Bilbao geplant war, verboten wurde. Selbst in den Jahren tödlicher Auseinandersetzungen hätten Zehntausende stets friedlich für die Rechte der Gefangenen demonstrieren können. Die ETA hatte im Oktober 2011 das »definitive Ende bewaffneter Aktivitäten« ohne Vorbedingungen verkündet. So hatten es baskische Parteien und Gewerkschaften unter Vermittlung des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan und mehrerer Friedensnobelpreisträger auf einer Friedenskonferenz kurz zuvor gefordert. Trotz dieser Veränderungen wende Spanien weiter eine »Ausnahmegesetzgebung« an, kritisierte Urkullu.

Als »wichtigen Schritt« betrachtet der Chef der baskischen Autonomieregierung die Erklärung von 600 ETA-Gefangenen, die sich zum Jahreswechsel hinter den Friedensprozess des baskischen Linken gestellt und den im Untergrund Verbliebenen den Weg zur Entwaffnung geöffnet hatten. Die Erklärung wurde am vergangenen Sonnabend auch von etwa 100 ehemaligen Gefangenen unterstützt, die nach einem Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs kürzlich freigelassen werden mussten. Sie übernahmen die »volle Verantwortung« für die Gewalt der Vergangenheit und bedauerten »mit aller Aufrichtigkeit das hervorgerufene Leid«. Dies alles zeigt laut Urkullu, dass der »Friedensprozess unumkehrbar ist«.

Die internationale Vermittlergruppe hat inzwischen eine Entwaffnungskommission gebildet, der unter anderen Jonathan Powell angehört, ehemals Chefunterhändler des britischen Premiers Tony Blair im Nordirland-Konflikt. Spanien fordert zwar stets die Entwaffnung der ETA, weigert sich aber, mit ihr darüber sprechen, wie es die »Roadmap« der Friedenskonferenz vorsieht.

Weil Madrid den Prozess offensichtlich durch neue Verbote und Verhaftungen blockieren will, könnten Verhandlungen über die ETA-Entwaffnung einfach übersprungen werden. Urkullu jedenfalls ließ verlauten, auch die baskische Polizei Ertzaintza könne an der Überprüfung der Waffenabgabe teilnehmen, wenn Spanien weiter bremst. Die baskische Linke, die wieder offen auftreten kann, nachdem die Verfassungsrichter verschiedene Parteiverbote aufgehoben haben, fordern von der ETA neue einseitige Schritte.

Millionen Katalanen hatten am vergangenen 11. September eine Menschenkette quer durchs Land gezogen, um der Forderung nach Unabhängigkeit Nachdruck zu verleihen. Die katalanische Schwesterpartei von Urkullus PNV hat sich an die Spitze dieser Bewegung gestellt. Während sie das Beispiel des bevorstehenden schottischen Referendums nutzt, nehmen die Basken im Windschatten der Katalanen Schwung für die Durchsetzung ihrer Forderungen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 11, Januar 2014


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