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Auf die Probe gestellt

Wahlen in Andalusien: PSOE gewinnt Regionalwahlen. Podemos profitiert von Syriza-Erfolg in Griechenland. Vereinigte Linke und konservative Volkspartei verlieren

Von André Scheer *

Die Probe ist gelaufen, und ein gutes halbes Jahr vor den allgemeinen Parlamentswahlen wird in Spanien über die Ergebnisse der Regionalwahlen in Andalusien diskutiert. Auf den ersten Blick bleibt dort alles wie gehabt: Die sozialdemokratisch orientierte Spanische Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) kann in ihrer Hochburg weiterregieren. Künftig will PSOE-Chefin Susana Díaz das alleine tun, obwohl sie mit 47 Sitzen keine absolute Mehrheit in dem 109 Abgeordnete umfassenden Parlament erreicht hat. Doch angesichts einer künftig auf fünf Parteien zersplitterten Legislative, in dem sich keine andere Mehrheit abzeichnet, kann sie darauf hoffen, regelmäßig genügend Stimmen für ihre Projekte zu gewinnen.

Díaz hatte bis Ende Januar 2015 in einer Koalition mit der Vereinigten Linken (IU) regiert, bevor sie ihren Partnern den Stuhl vor die Tür stellte und vorgezogene Neuwahlen ausrief. Zuvor hatte es immer wieder Schwierigkeiten zwischen den Partnern gegeben, die in der Öffentlichkeit jedoch zur Freude der Regierungschefin meist als Streitigkeiten innerhalb der Linken wahrgenommen wurden. Tatsächlich aber hatte die PSOE weitergehende Projekte der IU wie eine Aufklärung der unzähligen Korruptionsfälle der Vergangenheit – in die auch hochrangige Sozialdemokraten verwickelt sind – und die Einführung eines gerechteren Wirtschaftsmodells in der agrarisch geprägten Region wiederholt blockiert. Immerhin rechnete sich die IU in einer Analyse nach dem Bruch der Koalition an, in jedem Jahreshaushalt weitergehenden Sozialabbau verhindert zu haben. Doch Teile der IU, die von Anfang skeptisch die Koalition mit den Sozialdemokraten begleitet hatten, kritisierten immer lauter die Zugeständnisse, zu denen sich die IU-Mehrheit gezwungen sah.

Mit ihrer Kritik hatten sie offenbar ein Großteil der Basis auf ihrer Seite. Die IU stürzte bei den Wahlen am Sonntag auf ihr historisch schlechtestes Ergebnis ab, von zwölf Mandaten blieben ihr noch fünf – so dass sich die Linken freuen mussten, den Fraktionsstatus noch behalten zu haben. »Es ist offensichtlich, dass die Bürger den Pakt mit der PSOE als Fehler gewertet haben«, räumte IU-Spitzenkandidat Antonio Maíllo am Wahlabend ein. Man werde nun die Stimme der linken Opposition sein.

Diese Rolle wird der IU künftig aber von der neuen Partei Podemos streitig gemacht. Aus dem Stand kam diese auf 15 Prozent der Stimmen, was sich in ebensovielen Abgeordnetensitzen widerspiegelt. Die Partei von Medienstar Pablo Iglesias ist damit künftig die dritte Kraft in Andalusien hinter der PSOE und der rechten Volkspartei (PP). Deren Ergebnis, ein Absturz von 50 auf 33 Mandate, ist ein schlechter Auftakt für das Jahr, in dem die einst von den Eliten des Franco-Regimes gegründete und mit Mariano Rajoy den spanischen Ministerpräsidenten stellende Partei ihre Regierungsmacht in Madrid verteidigen will. Auf gesamtspanischer Ebene haben die Umfragen in den vergangenen Monaten eine Krise beider Traditionsparteien – PP und PSOE – vorhergesagt und Podemos sogar die Möglichkeit eingeräumt, stärkste Kraft zu werden.

Diesen hochtrabenden Hoffnungen hat das Ergebnis in Sevilla einen Dämpfer verpasst. Im Internetportal eldiario.es analysierte Ignacio Escolar, dass trotz der Niederlage der PP das Zweiparteiensystem nach wie vor intakt erscheine. Zusammen verfügen beide Parteien im andalusischen Parlament noch immer über fast 75 Prozent der Sitze. Das zeige, so Escolar, dass Podemos zwar ein grandioses, vor einem Jahr für nicht möglich gehaltenes Ergebnis erreicht hat – aber hinter den eigenen Erwartungen zurückblieb. »Mit einem solchen Prozentanteil in einer so großen autonomen Region wie Andalusien dürfte es ihr schwer fallen, in ganz Spanien zur meistgewählten Partei zu werden.«

Podemos gilt in den spanischen und europäischen Medien als Gegenstück zur griechischen Syriza, obwohl diese in Andalusien zur Wahl der IU aufgerufen hatte. Doch die Euphorie, die im Umfeld von Podemos nach dem Regierungswechsel in Athen geherrscht hatte, hat nach dem mittlerweile zu beobachtenden Schlingerkurs des Kabinetts von Alexis Tsipras merklich nachgelassen. Es könnte sich die Prognose bewahrheiten, dass Erfolg und Scheitern der neuen spanischen Partei direkt vom Schicksal der griechischen Regierung abhängt. Scheitert diese, ist damit der Reiz der neuen Linken auch auf der Iberischen Halbinsel verpufft. Kann Syriza substantielle Erfolge gegen die deutsch dominierten EU-Institutionen erkämpfen, profitiert Podemos. Doch wenn Athen auf einen Regierungswechsel in Madrid wartet – wie es in manchen Erklärungen von Tsipras und seinen Kollegen anklang –, könnte das für beide zu spät sein.

Andere Kräfte halten den Versuch, innerhalb der EU für Veränderungen zu sorgen, ohnehin für illusorisch. In Griechenland ist das vor allem die Kommunistische Partei KKE. In Spanien verfolgt die KP der Völker Spaniens (PCPE) dieselbe Linie. Bei den Wahlen in Andalusien kandidierte sie eigenständig und blieb unter 0,1 Prozent der Stimmen. Trotzdem verkündet sie selbstbewusst, gegenüber »dem Opportunismus und der neuen Sozialdemokratie« – zu denen die PCPE neben PSOE und Podemos auch die IU zählt – dürfe es keine Toleranz geben. Nötig sei allein die Stärkung der Kommunistischen Partei, die für den Bruch mit EU, Euro und NATO sowie für die Vergesellschaftung der grundlegenden Bereiche der Wirtschaft und die Macht der Arbeiterklasse eintritt.

Auf nach Madrid und Barcelona

Der nächste Stimmungstest vor den spätestens am 20. Dezember stattfindenden Parlamentswahlen steht den spanischen Parteien am 24. Mai bevor. Dann stehen landesweit die Kommunalwahlen und in 13 autonomen Regionen Parlamentswahlen sowie einige weitere Abstimmungen auf dem Plan. An diesem Datum wird sich die Aufmerksamkeit auch auf einzelne Städte wie Madrid und Barcelona richten, wo sich lokale Bündnisse gebildet haben, um die Kommunalverwaltungen zu übernehmen. So treten bei »Barcelona en comú« (Barcelona gemeinsam) die ökosozialistische Iniciativa per Catalunya Verds (Initiative für Katalonien Grüne), die kommunistisch geprägte Esquerra Unida i Alternative (Vereinigte und Alternative Linke), Podemos und andere Initiativen gemeinsam an. Umfragen zufolge könnte dieses Bündnis die Sozialdemokraten in der Stadtregierung ablösen. Komplizierter ist die Lage in der spanischen Hauptstadt, wo es um die Frage einer Unterstützung von »Ganemos Madrid« (Gewinnen wir Madrid) unter anderem zu einer Spaltung der örtlichen IU gekommen ist.

Eine weitere Unbekannte bis zur spanischen Parlamentswahl ist der Ausgang der für den 27. September angesetzten Wahl in Katalonien. Formell handelt es sich dabei nur um eine vorgezogene Entscheidung über die Zusammensetzung des Regionalparlaments, doch von den für eine Unabhängigkeit Kataloniens eintretenden Parteien wird es als Referendum über die Abtrennung von Spanien interpretiert. Sie wollen, wenn sie eine Mehrheit in der Legislative erringen, einseitig die Eigenständigkeit ausrufen. Das würde die Dynamik auch des spanischen Parlamentswahlkampfes noch einmal komplett verändern.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 24. März 2015


Marinaleda: Das Dorf bleibt rot **

Die rund 2.750 Einwohner zählende Gemeinde Marinaleda in der Provinz Sevilla ist in den vergangenen Jahren auch international als »das rote Dorf« bekannt geworden. Seit dem Ende der Franco-Diktatur und den ersten freien Wahlen in Spanien 1979 wird sie von Juan Manuel Sánchez Gordillo als Bürgermeister regiert. Der Aktivist der Vereinigten Linken (IU) und der für ihre spektakulären Aktionen bekannten Andalusischen Arbeitergewerkschaft (SAT) wurde seither immer wiedergewählt. Das Stadtbild spiegelt die Dominanz der Linken wider, es gibt nicht nur einen Salvador-Allende-Platz, sondern auch eine Ernest-Che-Guevara-Straße. Vor dem Rathaus weht nur dann die spanische Staatsflagge, wenn die hier versprengten Mitglieder rechter Gruppen sie im Rahmen einer Protestaktion dort hissen. Sonst ist im Rathaus das Banner der Spanischen Republik zu sehen. Marinaleda gehört zu einem Netzwerk von Gemeinden, die sich für die Errichtung einer neuen Republik und die Abschaffung der Monarchie ausgesprochen haben.

Bei den Wahlen am Sonntag wurde auch über die Gemeinde hinaus mit Spannung verfolgt, ob sich die Linken in Marinaleda gegenüber der Herausforderung Podemos behaupten konnten. Bürgermeister Sánchez Gordillo hatte bis zum vergangenen November der IU-Fraktion im andalusischen Parlament und damit der Regierungskoalition angehört. Dabei machte er wiederholt als kritische Stimme auf sich aufmerksam. Diesmal verzichtete er auf eine erneute Kandidatur, um sich dem Amt des Bürgermeisters zu widmen.

Trotzdem konnte sich die IU in Marinaleda wieder durchsetzen, wenn auch mit Verlusten. Von den insgesamt 1.706 abgegebenen Stimmen entfielen 43 Prozent – 719 Voten – auf die Vereinigte Linke. Vor drei Jahren hatte die IU ohne die Konkurrenz von Podemos noch 67,02 Prozent erhalten. Die neuen Herausforderer erreichten in Marinaleda den zweiten Platz. 485 Einwohner stimmten für Podemos, was 29,01 Prozent ergab. Auf die Sozialdemokraten der PSOE entfielen 262 Stimmen oder 15,67 Prozent, während die rechte PP mit 138 Stimmen und 8,25 Prozent vierte Kraft wurde. Die rechtspopulistischen Ciudadanos (Bürger) kamen auf 31 Stimmen und 1,85 Prozent. Eine einzelne Stimme gab es außerdem für die Kommunistische Partei der Völker Spaniens (PCPE).

** Aus: junge Welt, Dienstag, 24. März 2015




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