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Spaniens Rechte herrscht absolut

Debakel der Sozialisten bei Parlamentswahl im Zeichen der Krise / Linke mit Stimmgewinnen

Von Ralf Streck, San Sebastian *

Bei den vorgezogenen spanischen Parlamentswahlen erlebten die Sozialisten ein Desaster. Die konservative Volkspartei dagegen erreichte die absolute Mehrheit. Doch der künftige Regierungschef Rajoy warnt vor übertriebenen Hoffnungen.

Schlimmer hätte das Debakel für die spanischen Sozialisten (PSOE) bei den Wahlen am Sonntag kaum ausgehen können. Nach sieben Jahren unter der Führung von Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero fuhr die PSOE das schlechteste Ergebnis seit dem Ende der Diktatur 1975 ein. Von fast 44 Prozent stürzte die PSOE auf unter 29 Prozent. Von 169 Sitzen bleiben ihr im Kongress nur noch 110. Der Wahlgewinner ist eindeutig der bisherige Oppositionsführer Mariano Rajoy. Der Chef der konservativen Volkspartei (PP) erreichte fast 45 Prozent und mit 186 Sitzen eine komfortable absolute Mehrheit. Die Wahlbeteiligung lag mit 71,7 Prozent knapp zwei Prozentpunkte unter der von 2008.

Dass etwas am Wahlsystem faul sein muss, zeigt sich schon an der Tatsache, dass die Konservativen mit nur einem Prozentpunkt mehr als damals die Sozialisten nun diese klare Mehrheit haben. Für die PSOE reichte es 2008 nur zu einer Minderheitsregierung. Deutlicher noch wird das bei der Betrachtung kleiner Parteien. Die Vereinte Linke (IU) hat mit fast sieben Prozent ein sehr gutes Ergebnis erzielt und wird statt zwei nun wieder elf Sitze im Parlament einnehmen. Sie hat von der PSOE immer gefordert, das Wahlrecht zu reformieren, das gerade kleine Parteien benachteiligt. Brauchte die PP nur gut 58 000 Stimmen für ein Mandat, benötigte die IU schon fast 153 000. Noch krasser zeigt sich Missverhältnis bei der UPyD, die vor allem aus Abtrünnigen von PSOE und PP besteht. Sie verfehlte mit 4,7 Prozent der Stimmen zwar knapp eine eigene Fraktion, konnte sich aber von einem Sitz auf fünf verbessern. Nur brauchte sie fast 230 000 Stimmen für ein Mandat.

Zapatero war nicht mehr angetreten und hinterlässt ein Land, das mit mehr als fünf Millionen Arbeitslosen in der Wirtschaftskrise versinkt, und eine führungslose PSOE. Sein Ex-Innenminister und Vizeministerpräsident Alfredo Pérez Rubalcaba wurde im Wahlkampf verschlissen und kann die Partei nach diesem fatalen Ergebnis nicht in der Opposition führen. Glaubwürdig konnte er schon deshalb nicht sein, weil er den Schlingerkurs von Zapatero mitgetragen und sich nicht vom neoliberalen Sparkurs mit tiefen Einschnitten ins Sozialsystem distanziert hat.

Erneut zeigte sich die Besonderheit spanischer Wahlen in Katalonien und im Baskenland. Statt der PP gewannen in Katalonien erstmals bei einer Parlamentswahl die konservativen Nationalisten der CiU, die von zehn auf 16 Sitze zulegten und nun die drittstärkste Kraft im Madrider Parlament sind. Die PP blieb hier selbst hinter der PSOE zurück.

Im Baskenland büßte sie sogar Stimmen ein. Hier hat erwartungsgemäß die Linkskoalition Amaiur abgeräumt. Sie ist nun im Parlament mit sieben Abgeordneten vertreten. Die baskische Linke hat damit die große Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) verdrängt, die gemeinsam mit Geroa Bai in der Provinz Navarra auf sechs Sitze kommt. Die Koalition aus PP und der rechten Regionalpartei UPN verlor dort gegen den Landestrend Stimmen. In der Provinz Gipuzkoa hat Amaiur mit 35 Prozent die PNV (gut 22 Prozent) sogar deklassiert. Die Sozialisten, die die Provinz nach dem Verbot der baskischen Linken 2008 noch gewonnen hatten, kamen nur noch auf 21 Prozent.

Im Baskenland fragt man sich nun, wie wohl der Friedensprozess unter der PP weitergeht, nachdem die Untergrundorganisation ETA kürzlich die Einstellung des bewaffneten Kampfs erklärte. Rajoy hielt sich bisher alle Türen offen. Er forderte seine Parteifreunde auf, angesichts der Situation »bedachtsam« vorzugehen. Überhaupt fiel auf, wie er sich in der Wahlnacht geäußert hat. »Für mich wird es keine Feinde geben, außer der Arbeitslosigkeit, dem Defizit, der exzessiven Verschuldung, dem wirtschaftlichen Stillstand und allem anderen, das unser Land in diesen kritischen Umständen hält.«

Der designierte Ministerpräsident rückt die wirtschaftliche Lage in den Vordergrund. Er schwor die spanische Bevölkerung auf Entbehrungen ein: »Schwere Zeiten stehen bevor.« Rajoy, der 2004 und 2008 gegen Zapatero verloren hatte, will dem Land ein drastisches Sparprogramm verordnen.

* Aus: neues deutschland, 22. November 2011


Kein Wunder

Von Olaf Standke **

Ob Portugal, Irland, Italien, Griechenland oder jetzt Spanien - die Schuldenberge in der Euro-Zone begraben immer mehr Regierungen unter sich. Auch wenn es in Madrid noch nicht wie andernorts ein Mega-Haushaltsdefizit von mehr als 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ist, die extrem hohe Verschuldung der spanischen Unternehmen und privaten Haushalte, der Zusammenbruch des Immobilienmarktes, sinkende Gehälter und Renten, die mit 21,5 Prozent höchste Arbeitslosenrate aller EU-Staaten, die inzwischen fast jeden zweiten Jugendlichen trifft - all das ließ die sozialdemokratische Regierung mit dem schlechtesten Wahlergebnis seit Ende der Franco-Diktatur vor 36 Jahren schwer abstürzen. Denn sie hatte nur neoliberale Grausamkeiten als Antwort auf die schwere Krise des Landes anzubieten.

Und der Wahlsieger Mariano Rajoy? Auch der Konservative, der Probleme eigentlich am liebsten aussitzt, will den Rotstift schwingen und kündigte ein drastisches Sparprogramm an, dessen soziale Verträglichkeit beim vorläufigen Schutz der Renten endet. Während die Unternehmens- wie die Kapitalertragssteuer schrumpfen sollen, droht mit der geplanten Veränderung bei den Tarifverhandlungen die Gefahr weiterer Lohnsenkungen. Wachsende Risikoaufschläge für spanische Staatsanleihen konnte er mit seinen Ankündigungen jedoch nicht verhindern. »Wir werden keine Wunder vollbringen«, baute Rajoy noch am Wahlabend vor. Doch das dürfte nicht nur den »Empörten« auf den Plätzen und Straßen Spaniens zu wenig sein.

** Aus: neues deutschland, 22. November 2011 (Kommentar)


Wie ein Bumerang

Baskisches Linksbündnis Amaiur feiert Erfolg bei spanischen Parlamentswahlen

Von Uschi Grandel ***


Auch im Baskenland bescherte der Wahlsonntag der sozialdemokratischen PSOE des bisherigen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero dramatische Verluste. Das Ergebnis ihrer baskischen Regionalgruppe PSE fiel um 16 Prozentpunkte auf unter 22 Prozent. Aber im Gegensatz zum Spanientrend, der der rechten Partido Popular (PP) die absolute Mehrheit einbrachte, mußte die PP im Baskenland sogar leichte Stimmenverluste hinnehmen kann nur fünf Abgeordnete von hier aus nach Madrid schicken.

Die Sensation in den vier Provinzen ist der Wahlsieg des baskischen Linksbündnisses Amaiur, das über 22 Prozent der Stimmen gewann und sieben Abgeordnete entsenden wird. Amaiur ist damit die größte baskische Gruppe in Madrid und liegt vor den bislang dominierenden Kräften im Baskenland, der derzeit noch regierenden PSE und der baskischen konservativen PNV, die beide je fünf Parlamentarier in die Cortes Generales schicken.

Die baskische Linke hatte ihr Bündnis im Vergleich zu den Kommunalwahlen vom Mai 2011 verbreitert und konnte deren hervorragendes Ergebnis noch überbieten. Der Unterschied zu den letzten spanischen Parlamentswahlen könnte nicht größer sein. Im Jahr 2008 waren sämtliche Gruppierungen der abertzalen (baskischen) Linken verboten worden. Heute ist diese illegalisierte Unabhängigkeitsbewegung im Wahlbündnis Amaiur stärkste Kraft, dort allerdings nicht mit ihrer neuen Partei Sortu vertreten. Um deren Zulassung kämpft sie noch vor dem spanischen Verfassungsgericht.

Amaiur hatte mit Nachdruck auf die Bedeutung dieser Wahl hingewiesen. Nach dem Ende des bewaffneten Kampfes der Organisation ETA (Euskadi Ta Askatasuna, Baskenland und Freiheit) gehe es um die neue Bestimmung des Kräfteverhältnisses zwischen den vier großen Parteien im Baskenland. Auf der einen Seite stehen Amaiur und PNV, die für die vier Provinzen das Recht fordern, selbst zu entscheiden. Auf der anderen Seite stehen die Regionalgruppen der großen Parteien PP und PSE, für die der spanisch verwaltete Teil des Baskenlands, die Baskische Autonome Gemeinschaft und Nafarroa (spanisch: Navarra), einfach zwei Regionen des Königreichs sind.

Als nächste Aufgabe stehe an, die spanische Regierung dazu zu bewegen, ihren Teil zur Lösung des Konflikts beizutragen. »Sehen Sie sich die Ergebnisse im Baskenland an und agieren Sie mit Weitsicht«, fordert Iñaki Antigüedad, einer der neuen Abgeordneten Amaiurs, noch in der Wahlnacht den künftigen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy auf.

Die Wahl zum spanischen Parlament werde wie ein Bumerang wirken, hatte Antigüedad vor der Abstimmung erklärt. Zuerst werde damit das Kräfteverhältnis der Parteien im Baskenland für die anstehende politische Auseinandersetzung mit Madrid bestimmt. Wenn die Linke weiter so konsequent wie bisher ihren dadurch gewachsenen Handlungsspielraum nutze und den Konfliktlösungsprozeß führe, werde sie an Stärke zulegen, was sich dann in den nächsten Wahlen im Baskenland widerspiegeln werde. Der Bumerang fliege dann zurück.

*** Aus: junge Welt, 22. November 2011


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