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Spanische Rechte in Feierlaune

Die Volkspartei lässt den Champagner schon kaltstellen, die Rechnung für die sozialen Einschnitte zahlen die anderen

Von Ralf Streck, San Sebastián *

Die spanische Volkspartei wird am Sonntag (20. Nov.) allen Umfragen zufolge zur stärksten Partei gewählt werden und kehrt damit nach elf Jahren wieder an die Macht zurück. Offen bleibt, ob es zu einer absoluten Mehrheit reicht. Im Wahlkampf hielt sich die PP mit der Ankündigung von sozialen Grausamkeiten zurück. Das wird nicht so bleiben.

Die spanische Volkspartei (PP) befindet sich schon im Siegesrausch. Während die Sozialisten (PSOE) ihren Wahlkampf in den letzten Stunden vor den Wahlen am Sonntag noch einmal intensivieren, um ein aussichtslos erscheinendes Rennen noch zu drehen, erklärte ein PP-Führungsmitglied: »Ich erwarte euch am Sonntagabend mit Champagner und Frauen.« Der PP-Provinzpräsident in der südspanischen Region Valencia, Alfonso Rus, lässt aber durchblicken, dass harte Einschnitte geplant sind. Rus bediente sich auf der Versammlung der Worte der PP-Generalsekretärin Maria Dolores de Cospedal, die »schon am 25. November Demonstrationen der Gewerkschaften« erwartet.

Der Spitzenkandidat Mariano Rajoy hält sich weiter bedeckt. Der lispelnde 56-Jährige aus der nordwestspanischen Region Galicien gibt sich bei seinem dritten Anlauf betont staatsmännisch. Er versucht nun, hohe Erwartungen zu dämpfen. »Wenn wir die Wahlen gewinnen, wird das extrem schwierig.« Er lässt weiter im Unklaren, was er vorhat: »Wenn die Regierung die Bedingungen und ein wenig Vertrauen schafft, wird man in den ersten beiden Jahren eine Verbesserung feststellen.« Zuvor machte er oft populistische Versprechen, wonach er die Schere nicht am Renten-, Bildungs-, oder Gesundheitssystem ansetzen will. In Kastilien-La Mancha zum Beispiel, wo seine Generalsekretärin seit Mai regiert, geschieht das aber längst.

Da der PSOE-Spitzenkandidat Alfredo Pérez Rubalcaba ihm das immer wieder vorhält, relativiert Rajoy nun. Er erklärt: »Über Bildung und Gesundheit bestimmen die Autonomen Regionen«, deren Status mit dem von Bundesländern in Deutschland vergleichbar ist. Allerdings will er die »Kaufkraft der Rentner erhalten«. Dass er das neue Renteneintrittsalter, das gegen seinen Willen auf 67 angehoben wurde, wieder abschafft, verspricht er nicht.

Rajoy weiß, dass ihm alle Prognosen nur deshalb einen klaren Sieg vorhersagen, weil viele Wähler von den Sozialdemokraten, die sich Sozialisten nennen, schwer enttäuscht sind und keine Alternative sehen. Sogar die große Tageszeitung »El País« hat ermittelt, dass die PP mit gut 45 Prozent der Stimmen und bis zu 196 Sitzen eine absolute Mehrheit erhalten soll. Die Zeitung, die der PSOE nahe steht, sagt ihr den Absturz auf knapp 31 Prozent voraus. Von 169 Sitzen blieben Ihr demnach höchstens 113.

Der PSOE fällt ihre miserable Politik in der tiefen Wirtschaftskrise auf die Füße. Ein Ausdruck dessen ist die extreme Arbeitslosigkeit. Im Oktober haben erneut 134 128 Menschen ihren Job verloren. Da zuvor die Nationale Statistikbehörde (INE) ermittelte, dass schon Ende September fast fünf Millionen Menschen real ohne Stelle waren, liegt die Quote nun bei etwa 23 Prozent. Schon die Hälfte aller jungen Menschen ist arbeitslos.

Der 60-jährige Rubalcaba, der aus der rechten Hochburg Kantabrien im Nordwesten stammt, versucht vehement das Ruder herumzureißen. Er übernahm die Kandidatur, weil Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero nach fatalen Ergebnissen bei den Kommunal- und Regionalwahlen im Mai nicht mehr antritt. Er versucht vor allem, eine PP-Alleinregierung zu verhindern. Er warnt, dass die »Rechte umso härtere Einschnitte vornimmt, umso mehr Macht sie hat«. Das verfängt aber kaum, wie das TV-Duell gezeigt hat. Seine Vorschläge, wie er das Land aus Krise führen will, konnte Rajoy leicht kontern. Er fragte ihn, warum Rubalcaba das nicht in sieben Jahren umgesetzt hat, in denen er als Innenminister, Vizeregierungschef und Regierungssprecher neben Zapatero zentrale Verantwortung für die PSOE-Politik getragen hatte.

Rajoy verweist darauf, dass in dieser Zeit die tiefsten Einschnitte ins Sozialsystem seit dem Ende der Diktatur 1975 vorgenommen wurden. Während die Mehrwertsteuer und viele andere Steuern erhöht wurden, hat die PSOE zu Beginn der Krise die Vermögenssteuer abgeschafft. Anstatt Reiche an den Kosten der Krise zu beteiligen, wurden Löhne und Renten gesenkt und der Kündigungsschutz geschleift. Die versprochene Beschäftigungswirkung blieb erwartungsgemäß aus. Rubalcaba hätte sich deutlich vom neoliberalen Kurs Zapateros distanzieren müssen, um glaubwürdig wirken zu können. Diese Quadratur des Kreises konnte ihm nicht gelingen. Die Quittung erhält die PSOE und Rubalcaba dafür am Sonntag.

* Aus: neues deutschland, 18. November 2011


Rückenwind für kleine und linke Parteien

Von der Enttäuschung über die Sozialisten könnten die Vereinigte Linke und andere kleinere Parteien profitieren

Von Ralf Streck, San Sebastián **
Die Prognosen zu den spanischen Parlamentswahlen sagen voraus, dass Linksparteien vom Absturz der regierenden Sozialisten (PSOE) profitieren werden.

Die Wirtschaftskrise in Spanien ist tief und dauert seit Jahren an. Eine Wende zum Besseren ist nicht in Sicht. Dafür wird die seit 2004 regierende sozialistische PSOE bei den Wahlen sicher abgestraft. Dagegen kann die Vereinte Linke (IU) laut Umfragen den Unmut über die von der PSOE vorgenommenen Einschnitte ins Sozialsystem in Stimmen umwandeln. Statt mit knapp fünf Prozent wie 2008 auf zwei Sitze zu kommen, soll sie mit knapp neun Prozent wieder elf Sitze erhalten. So wäre ihr Absturz beendet, den der damalige Parteichef Gaspar Llamazares mit seinem Schmusekurs zur PSOE eingeleitet hatte.

Noch 2009 konnte die IU bei den Europaparlamentswahlen nicht vom Unmut und von der Krise profitieren und stürzte sogar auf vier Prozent ab. Unter Chef Cayo Lara kann sie wieder an Zeiten anknüpfen, als sie mit dem charismatischen Julio Anguita 1996 sogar 21 Sitze holte. Sie wird nun von der größten Gewerkschaft CCOO unterstützt und profitiert von enttäuschten PSOE-Wählern. Sogar PSOE-Stadträte haben der kommunistisch dominierten Formation öffentlich ihre Stimme versprochen. Sie kehren ihrer Partei den Rücken, weil sie mit den Konservativen ausschließlich die einfache Bevölkerung für die Krise und Bankenrettung zur Kasse bittet. Lara erklärt, die PSOE habe sich als linke Kraft endgültig diskreditiert, als sie mit der rechten Volkspartei (PP) eilig sogar die Verfassung für eine Schuldenbremse geändert hat.

Während die linksnationalistischen Parteien in Katalonien (ERC) und Galicien (BNG) sich mit drei und zwei Sitzen behaupten sollen, zeichnet sich in Valencia eine Neuerung ab. Erstmals soll in der konservativen Hochburg die Koalition Compromís mit Joan Baldoví ins Parlament einziehen. Die Linksnationalisten treten in der Region gemeinsam mit der neuen grünen Partei Equo an.

Nachdem die baskische Untergrundorganisation ETA das Niederlegen ihrer Waffen verkündet hat, stehen dem Einzug der baskischen Linken in den Madrider Kongress keine juristischen Winkelzüge gegen baskische Parteien mehr im Wege. Die Koalition Amaiur, in der die gesamte linke Unabhängigkeitsbewegung antritt, könnte laut Prognosen auf Anhieb stärkste Kraft im Baskenland werden und die konservativ-nationalistische PNV überflügeln. Amaiur will das Selbstbestimmungsrecht auf die Tagesordnung setzen und der neoliberalen Politik von PSOE, PP, PNV und der konservativ-nationalistischen CiU aus Katalonien nun auch in Madrid begegnen. Denn auch die CiU hat, wie die PNV, die Einschnitte der PSOE ins Sozialsystem unterstützt. Dennoch liegt die CiU in den Prognosen überraschend gut und soll mit 14 Sitzen zur drittstärksten Kraft aufsteigen. Ihr Spitzenkandidat Josep Antoni Duran Lleida, fordert die Wähler auf, »eine von der Idee einer absoluten Mehrheit besessene PP zu stoppen«. Er hofft, als Mehrheitsbeschaffer der PP eine eigene Finanzierung für das unterfinanzierte Katalonien zu erreichen.

Gespannt darf man auf das Abschneiden von Equo sein, denn die Grünen dürften von den Indignados (Empörten) profitieren, die auch als Bewegung des 15. Mai, dem Tag des Protestbeginns, bezeichnet werden. Sie wollen nicht ungültig wählen und informieren darüber, was eine Wahlabstinenz bedeutet. Eine Empfehlung geben sie mangels Konsens nicht ab. Sie bevorzugen aber Formationen wie Equo, IU, ERC, BNG oder Amaiur. Gewarnt wird, dass Stimmen verloren gingen, wenn eine Partei zu klein ist und keine drei Prozent erreicht. Anders als Umfragen suggerieren, ist die absolute PP-Mehrheit nicht ausgemacht, wenn die Wahlbeteiligung hoch ist. Die Empörten, die im Oktober mehrere Millionen im Land mobilisiert haben, könnten am Sonntag für Überraschungen sorgen, die in Spanien nicht selten sind.

** Aus: neues deutschland, 18. November 2011

Chronik: Von Franco bis Rajoy

1936 Putsch gegen die Republik durch Francisco Franco und andere Generäle

1936-39 Bürgerkrieg, Franco gewinnt mit Hilfe von Hitler und Mussolini

1939-1975 Diktatur Francos, Franco stirbt am 20. November. Als Nachfolger wird Prinz Juan Carlos als König vereidigt

1975 Beginn der Übergangsperiode von Diktatur zur Demokratie, die sogenannte transición

1977 Erste freie Parlamentswahl seit 1936 (Beteiligung: 78,8 Prozent; Wahlsieg der Zentrumspartei (UCD) von Ministerpräsident Adolfo Suárez vor den Sozialisten (PSOE) und den Kommunisten (PCE); vorautonome Regierungen in Katalonien und Baskenland

1978 Volksabstimmung über neue Verfassung (88,5 Prozent Zustimmung bei einer Beteiligung von 67,1 Prozent), Autonomierechte für Regionen, Ende der »transición«

1979 Parlamentwahlen, UCD gewinnt knapp

1981 Rücktritt von Premier Suárez am 29. Januar, Nachfolger wird Leopoldo Calvo Sotelo

1981 Putschversuch am 23. Februar von Oberstleutnant Antonio Tejeros scheitert, König Juan Carlos verweigert Unterstützung

1982 PSOE gewinnt absolute Mehrheit bei Parlamentswahl: Ministerpräsident wird Felipe González,

1986 Spanien erhält die Vollmitgliedschaft in der EG

1986 PSOE gewinnt bei vorgezogenen Parlamentswahlen trotz Verlusten wieder absolute Mehrheit; González tritt zweite Amtszeit an

1988 Größter Generalstreik in der Geschichte Spaniens gegen die Regierungspolitik am 14. Dezember mit 7 Millionen Streikenden

1989 PSOE verfehlt bei vorgezogenen Parlamentswahlen absolute Mehrheit um ein Mandat; González kann dennoch dritte Regierung bilden

1993 PSOE bleibt stärkste Partei bei Parlamentswahlen; starke Gewinne für Partido Popular (PP); González tritt mit Minderheitsregierung seine vierte Amtszeit an

1996 PP wird bei vorgezogenen Parlamentswahlen mit 38,8 Prozent stärkste Partei vor der PSOE mit 37,6 Prozent, José María Aznar bildet PP-Minderheitsregierung

2000 PP erzielt absolute Mandatsmehrheit bei den Parlamentswahlen, zweite Amtszeit von Aznar

2003 Spanien beteiligt sich am Irak-Krieg

2004 11. März: Terroranschläge in Madrid mit 191 Toten und 1841 Verletzten; Regierung Aznar versucht, das Verbrechen der ETA anzulasten, obwohl die Indizien auf radikale Muslime deuten

2004 14. März: Die PSOE gewinnt entgegen den Umfragen die Parlamentswahlen mit 43,3 Prozent vor der PP mit 38,3 Prozent. José Luis Rodríguez Zapatero wird Ministerpräsident

2008 PSOE siegt bei Parlamentswahlen. Zapatero bildet Minderheitsregierung

2011 vorgezogene Parlamentswahlen am Todestag von Diktator Franco. Favorit ist Mariano Rajoy von der PP nd




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