Spaniens Konservative siegessicher
Wahlkampf-Auftakt sieht abgewirtschaftete Sozialisten in hoffnungsloser Position
Von Ralf Streck, San Sebastián *
Fast fünf Millionen Menschen sind in
Spanien arbeitslos, und angesichts
der wirtschaftlichen Entwicklung
muss man kein Prophet sein, um vorhersagen
zu können, dass bis zum
Jahresende Tausende weitere Menschen
ihren Job verlieren werden. In
diesem Klima fand gestern der Wahlkampf-
Auftakt statt.
Traditionell haben die Parteien in
Spanien in der Nacht zu Freitag
den Wahlkampf mit dem Kleben
der Plakate gestartet. Zwei Wochen
nun wird bis zum 20. November
intensiv um die Wählergunst
geworben. Die Prognosen
zeigen, dass es der konservative
Oppositionsführer Mariano Rajoy
im dritten Anlauf zum Ministerpräsident
schaffen dürfte. Der Abstand
seiner Volkspartei (PP) zu
den Sozialisten (PSOE) ist so groß,
dass sich die PP erneut eine absolute
Mehrheit erhofft. Diese komfortable
Situation hatte sie schon
in den Jahren 2000 bis 2004 unter
José María Aznar.
Der Wahlkampf in Spanien
wird von der wirtschaftlichen Misere
bestimmt. Ein deutlicher
Ausdruck davon waren die Horrorzahlen
vom Arbeitsmarkt, die
das Arbeitsministerium am Donnerstag
vorgelegt hat. Erneut haben
134 128 Menschen ihren Job
verloren. Da Ende der vergangenen
Woche die Nationale Statistikbehörde
ermittelt hatte, dass
schon im dritten Quartal fast fünf
Millionen Menschen real ohne
Stelle waren, wurde diese magische
Grenze deutlich überschritten.
»Wir müssen ihnen keine auf
die Mütze geben, das machen sie
ganz alleine«, kommentierte Rajoy
siegessicher die Tatsache, dass
Spanien einsamer EU-Rekordhalter
bei der Arbeitslosigkeit ist. Rajoy
beging den Wahlauftakt erstmals
in Katalonien. Hier und in
Andalusien muss er das PP-Ergebnis
verbessern, um die absolute
Mehrheit zu erhalten. Die
Spanier wüssten, dass man nicht
denen die Macht geben dürfe, die
dieses »Desaster« angerichtet hätten,
so Rajoy.
Die Arbeitsmarktdaten haben
die Wahltaktik der PSOE zunichte
gemacht. Ministerpräsident José
Luis Rodríguez Zapatero hatte die
Wahlen auf den 20. November
vorgezogen. Die PSOE hoffte, dass
sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt
im Sommer in dem Urlaubsland
entspannen werde. Mit
dem positiven Eindruck wollte sie
in den Wahlkampf gehen, bevor
die Arbeitslosigkeit im Winter
wieder steigt.
Ex-Innenminister Alfredo Pérez
Rubalcaba kämpft nun mit dem
Rücken zur Wand. Er hat die Spitzenkandidatur
der PSOE übernommen,
denn Zapatero tritt nach
den fatalen Ergebnissen bei den
Kommunal- und Regionalwahlen
für die Sozialisten im Mai nicht
mehr an. Rubalcaba warnt vor
harten Einschnitten ins Sozialsystem
unter der PP – um so härter,
je mehr Macht sie hat. Er weist dabei
darauf hin, dass die PP die
Schere schon am Bildungs- und
Gesundheitswesen in den Regionen
angesetzt hat, in denen sie regiert.
Rajoy sei nicht glaubwürdig,
wenn er beschwört, weder Einschnitte
bei Bildung, Gesundheit
oder den Renten vorzunehmen.
Schwer haben es kleinere Parteien
wie die Vereinte Linke (IU),
sich überhaupt Gehör zu verschaffen.
Sie beklagt, dass sich PP
und PSOE in den wesentlichen
Fragen einig und letztlich gemeinsam
für die Krise verantwortlich
sind. Noch schwieriger
hat es die neue grüne Partei.
»EQUO« darf nicht einmal im öffentlich-
rechtlichen Fernsehen
Wahlspots senden. Nach Ansicht
der Wahlbehörde trete sie nicht in
75 Prozent des Landes an. Herausgerechnet
hat sie die Gebiete,
in denen die Partei in Koalition mit
anderen antritt.
EQUO setzt auf einen demokratischen
»Neustart« und hofft
auf Stimmen aus der Empörtenbewegung.
Aushängeschilder der
Partei sind der spanische Ex-
Greenpeace-Chef und ein Ex-Führungsmitglied
der IU. Juan López
de Uralde und Inés Sabanés wollen
nun zeigen, dass man auch von
unten die Bevölkerung erreichen
kann. Die Aktivitäten der »Indignados
« werden in diesen Tagen
ebenfalls stärker werden. Auch
wenn die Wahlbehörde in Madrid
Versammlungen der Empörten auf
dem zentralen Platz untersagt hat,
wollen die sich mit zivilem Ungehorsam
dem Verbot widersetzen.
Für den gestrigen Abend (4. Nov.) wurde für
eine Versammlung mobilisiert,
und es gibt viele Stimmen, die den
Platz erneut besetzen wollen.
* Aus: neues deutschland, 5. November 2011
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