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Organisierter Widerstand

Spaniens Gewerkschaften rufen zum landesweiten Streik gegen Regierungskurs

Von Ralf Streck, San Sebastian *

Recht auf Verteidigung: Die spanische Bevölkerung will am heutigen Donnerstag ihre Ablehnung der Arbeitsmarktreform demonstrieren - mit dem sechsten landesweiten Ausstand seit Ende der Franco-Herrschaft 1975.

In Spanien haben sich am Mittwoch (28. März) Gewerkschaften, Bevölkerung und Politik auf den heutigen Generalstreik vorbereitet. Schon am Vorabend des sechsten landesweiten Ausstands seit dem Ende der Franco-Diktatur 1975 kam es zu großen Demonstrationen, unter anderem in der Hauptstadt Madrid. Erstmals streiken nun alle Gewerkschaften im Land gemeinsam. Die beiden großen spanischen Arbeitnehmervertretungen hatten sich vor drei Wochen einem entsprechenden Aufruf der Basken und Galicier angeschlossen. Sie hatten sofort ihre Anhänger mobilisiert, nachdem die konservative Regierung von Mariano Rajoy Anfang Februar eine Arbeitsmarktreform per Dekret verfügte, die selbst Wirtschaftsminister Luis de Guindos als »sehr agg-ressiv« bezeichnete.

Wollen die spanischen Arbeiterkommissionen (CCOO) und die Arbeiterunion (UGT) die Regierung nur zu Verhandlungen über die Reform zwingen, so lehnen kämpferische Regionalgewerkschaften aus dem Baskenland, aus Galicien, Katalonien und von den Kanarischen Inseln die Sozialpaktgespräche kategorisch ab. Denn bei diesen Verhandlungen stimmen die CCOO und UGT immer wieder massiven Einschnitten in die Sozialpolitik zu, beispielsweise der Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Es gehe vielmehr darum, die Bevölkerung gegen das »herrschende neoliberale Dogma« und die »Angriffe auf den Wohlstand der einfachen Menschen« zu organisieren, heißt es im Aufruf der zehn Gewerkschaften.

Der UGT-Generalsekretär Cándido Méndez erklärte dagegen, man wolle die Regierung dazu zwingen, jene Teile der Reform rückgängig zu machen, die im Sozialpakt ausgehandelte Maßnahmen aushebeln. Etwas weiter geht der CCOO-Chef Ignacio Fernández Toxo, der vom »Recht auf Selbstverteidigung« spricht. »Die Regierung konzentriert sich nur auf die Haushaltkonsolidierung, vergisst aber völlig die Arbeitslosigkeit.« Bei einer Quote von mehr als 23 Prozent - bei jungen Menschen über 50 Prozent - drängt sich dieser Eindruck auf. Toxo erinnert Ministerpräsident Rajoy an seine Prognose, wonach 2012 weitere 630 000 Stellen wegfallen werden. Die Regierung erwartet, dass die Wirtschaft erneut um 1,7 Prozent schrumpfen wird. In einem Land, das nur die Hälfte der deutschen Bevölkerungsgröße hat, wären dann sechs Millionen Menschen arbeitslos. Da somit Sozialausgaben steigen und Steuern einbrechen, glaubt Toxo nicht, dass sich der Staatshaushalt sanieren lässt.

Die Arbeitsmarktreform wird nicht zuletzt als Angriff auf das Tarif- und Mitbestimmungssystem gesehen - unter anderem wird der Kündigungsschutz beseitigt. So lässt eine spezielle Regelung zu, Arbeitnehmer jederzeit und ohne Abfindung zu entlassen. Allgemein besteht ein schwacher Schutz vor Entlassung ohnehin nur durch Abfindungen, deren vorgegebene Höhe aber abgesenkt wurde. Firmen können sich nun billig von altgedienten Mitarbeitern trennen, selbst wenn die Unternehmen Gewinne machen. Bei einer »ungerechtfertigten Kündigung« musste früher pro gearbeitetes Jahr eine Abfindung gezahlt werden, die dem Lohn von 45 Arbeitstagen entsprach. Nun liegt der Satz bei 30 Tagen für höchstens zwölf Jahre. Und wenn in einer Firma über drei Quartale die Umsätze fallen, gilt eine Kündigung bereits als »gerechtfertigt« - es werden nur noch 20 Tagessätze gezahlt.

Relativ hohe Abfindungen hatten in Spanien lange Zeit die Funktion, den Entlassenen eine finanzielle Basis zu schaffen. Denn in vielen Regionen gibt es keine Sozialhilfe. Nach längstens 24 Monaten Arbeitslosengeld und sechs Monaten Sozialgeld besteht keine Absicherung mehr. Hunderttausende Menschen erhalten längst kein Geld mehr und verlieren damit oft auch ihre Wohnung.

Auch die Mitbestimmung der Betriebsräte und die mit den Gewerkschaften ausgehandelten Tarifverträge werden mit der Arbeitsmarktreform ausgehebelt. Löhne können nun problemlos gekürzt, Zwangsurlaub angeordnet, Arbeitszeiten geändert und Arbeitnehmer versetzt werden, wenn es die »Wettbewerbsfähigkeit und die Produktivität« erfordern. Firmen können sich aus dem Tarifvertrag ausklinken, wenn die Umsätze über sechs Monate fallen. Über die inzwischen vier Krisenjahre können das fast alle Firmen nachweisen.

Angesichts der schweren Eingriffe und der tiefen Einschnitte der Regierung ins Sozialsystem gehen auch die Unternehmer von großer Streikbereitschaft aus, der sie mit Einschüchterung zu begegnen versuchen. Der Arbeitgeberverband wies seine Mitglieder am Mittwoch an, die Beschäftigten zu befragen, ob sie streiken werden - eine solche Befragung ist illegal. Und angekündigt ist, Streikposten zu filmen, womit unterschwellig den Aktivisten die Kündigung angedroht wird.

* Aus: neues deutschland, 29. März 2012


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