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Zapateros Erbe

Privatisierungen, Pensionskürzungen, Privilegiensicherung: Spaniens PSOE setzt die Politik um, die das konservative Europa fordert – und wird daher am Sonntag die Wahlen verlieren

Von Georg Pichler *

No nos falles – Enttäusch’ uns nicht« – mit diesem Ruf feierten am Abend des 14. März 2004 die meist jungen Sympathisanten von José Luis Rodríguez Zapatero den unerwarteten Wahlsieg der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens (PSOE). Und nahmen den 43jährigen Überraschungssieger zugleich auch in die Pflicht. Nach acht Jahren der Herrschaft des konservativen Partido Popular (PP), der Volkspartei von José María Aznar, hatte eine Hälfte Spaniens genug von dessen Politik. Aznar hatte als Vorreiter einer radikalen Liberalisierung der Wirtschaft die wichtigsten Staatsbetriebe privatisiert und der Bauwirtschaft zu Rekordumsätzen verholfen. Fünf Millionen Immigranten kamen in diesen Jahren ins Land, das international als neoliberaler Musterschüler gefeiert wurde. Aznar hatte sich zudem der »atlantischen Achse« verschrieben und eine Politik in die Wege geleitet, die sich den USA der Bush-Ära annäherte und den Irak-Krieg aktiv unterstützte: Spanien schrieb Geschichte in Sachen Weltpolitik. Doch die falsche, sagten sich Millionen von Spaniern, die gegen diesen Krieg demonstrierten. Ebenso falsch wie das Verhalten der Partei nach dem Bombenanschlag auf Vorstadtzüge vom 11. März 2004 in Madrid, drei Tage vor der Wahl: Während in den internationalen Medien bereits feststand, daß die Attentäter aus islamistischen Kreisen kamen, sprach die Regierung beharrlich von einem Attentat der ETA, um so Stimmen zu gewinnen. Der Sieg Zapateros war vor allem auf die seit langem vom Parteiensystem enttäuschten linken Wähler zurückzuführen, die eine neuerliche PP-Regierung verhindern wollten und diesmal widerwillig zur Wahl gingen.

Truppenabzug aus dem Irak

Zapateros erste Tat als Ministerpräsident war denn auch der Abzug der spanischen Truppen aus dem Irak. Wie überhaupt die ersten sechs Jahre seiner Regierungszeit von moderat fortschrittlichen Gesten und Gesetzen gekennzeichnet waren: Die Regierung erhöhte das Mindestgehalt von 460 auf 600 Euro, »legalisierte« die Millionen Immigranten, die unter der Volkspartei nach Spanien gekommen waren, setzte die Ehe für Homosexuelle durch und führte eine Art Fristenlösung für die bis dahin halblegal praktizierte Abtreibung ein. Und es ist der Politik Zapateros und seines Innenministers, des jetzigen Präsidentschaftskandidaten Alfredo Pérez Rubalcaba, zu verdanken, daß die baskische ETA im vergangenen Monat nach mehr als 40 Jahren das Ende ihres »bewaffneten Kampfes« und ihrer Anschläge verkündete.

In den ersten Jahren des wirtschaftlichen Wohlstandes hatte die Regierung drei erbitterte Gegner: den PP, die sehr mächtige konservative Medienwelt und die katholische Kirche. Der Partido Popular konnte es Zapatero nicht verzeihen, ihm aufgrund der Attentate des 11. März die Macht »geraubt« zu haben. Im Zusammenspiel mit den Medien wurden die wildesten Verschwörungstheorien in Umlauf gesetzt, die auch dann nicht verschwanden, als im Frühjahr 2007 die Attentäter rechtskräftig verurteilt wurden. »Das Problem des PP besteht darin, daß es keine größere Partei rechts von ihm gibt. So muß er diese Klientel mitbedienen und ist selbst sehr weit rechts«, meint der Philosoph Reyes Mate. Dieser Hegemonieanspruch auf die Macht des konservativen Spaniens gründet im Franquismus, reicht aber tief in die Vergangenheit zurück. Die Aggressivität des politischen Tons zeigt immer noch Reste des »soziologischen Franquismus«: Nicht von ungefähr war der Gründer der Partei, Manuel Fraga, franquistischer Minister, viele der Parteikader stammen aus Familien, die unter der Diktatur bestens lebten.

So setzte denn auch eine brutale Kampagne gegen Zapatero ein, der PP blockierte zahlreiche Regierungsmaßnahmen, holte den Terrorismus als Wahlkampfmittel hervor, organisierte immerhin acht Demonstrationen gegen die »Antiterrorpolitik« des PSOE, schreckte aber auch vor tiefgreifenden persönlichen Beleidigungen des Präsidenten nicht zurück.

Ebenso hart wie die größte Oppositionspartei zog die katholische Kirche Spaniens gegen den Ministerpräsidenten ins Feld, sei es wegen der Homosexuellenehe oder der Abtreibung. Statt aber der erzkonservativen, von Opus Dei und anderen Organisationen durchsetzten Kirche ihre Privilegien zu nehmen, weitete die Regierung diese noch aus, in einem sinnlosen Versuch, es allen recht machen zu wollen. Die Kirche dankte es Zapatero mit konstanten Attacken auf seine Politik, seine antiklerikalen Wähler hingegen verziehen ihm diesen Kniefall nicht.

Zapateros größter Fehler war es jedoch, dem Wirtschaftserbe des PP zu vertrauen und die immense »Immobilienblase« nicht rechtzeitig platzen zu lassen. Bis zum Beginn der Krise im Jahr 2008 hätte dies ohne allzu dramatische Folgen geschehen können. Als die Blase dann im Zuge der internationalen Finanzkrise von selbst platzte, war es zu spät. Plötzlich stieg die Arbeitslosigkeit, eines der größten Strukturprobleme Spaniens, rapide und unaufhaltsam an, von acht Prozent im Jahr 2007 bis auf 21,5 Prozent im vergangenen Oktober: beinahe fünf Millionen Arbeitslose, die vor allem aus der Bauwirtschaft kamen.

Aufstand der »Empörten«

Der Tag, an dem Zapatero seine Wähler endgültig enttäuschte, war der 12. Mai 2010. Zwei Tage zuvor war er nach Brüssel gefahren, um dort über Maßnahmen gegen die Krise zu verhandeln. Nach seiner Rückkehr kündigte ein sichtlich geschockter Zapatero umfangreiche Reformen an, die seinem sozialen Credo widersprachen und die gängigsten liberalen Rezepte umsetzten: Einsparungen von Sozialausgaben ohne gleichzeitige Steuererhöhungen für Reiche, Privatisierungen, Kürzungen bei Pensionen und Beamten, Förderung der Banken statt der verschuldeten Bürger, kein Antasten der Privilegien von Banken und multinationalen Firmen, kurzum: weniger Staat und mehr Privat. Nun führte Zapatero genau die Politik aus, die das konservative Europa von ihm forderte, vielleicht etwas weniger brutal als es die Volkspartei getan hätte, aber mit allen Konsequenzen. Die umfassendste Antwort auf diese Politik war die Bewegung der »indignados«, der Empörten des 15. Mai 2011, die genau eine Woche vor den Regional- und Kommunalwahlen entstand. Wahlen, die dem PP einen der mächtigsten Siege einbrachten, die es je in Spanien gegeben hat, und dazu führten, daß die meisten Parlamente der Autonomen Regionen ebenso wie die wichtigsten Städte konservativ regiert werden. Und die zur Folge haben werden, daß der PP nach dem zu erwartenden Triumph bei den Wahlen am Sonntag über eine bis dahin unbekannte Macht in allen öffentlichen Bereichen verfügen wird.

Nach der spektakulären Niederlage im Mai blieb Zapatero nur noch übrig, Neuwahlen auszurufen und sich einen möglichst unscheinbaren Abgang zu verschaffen. Denn lange schon hat Zapatero dasselbe Problem wie Gorbatschow: Im Ausland ist sein Image weitaus besser als zu Hause. Im Wahlkampf wird er nun von der eigenen Partei totgeschwiegen, und viele derjenigen, die ihn im März 2004 so freudig begrüßten, fanden sich wohl im Mai und Oktober 2011 auf der Puerta del Sol in Madrid wieder, bei den Demonstrationen der »indignados«, wo sie gegen die Parteienwirtschaft des »PSOE« protestierten.

Zapatero hat mit ziemlicher Sicherheit die meisten Wähler des Jahres 2004 zutiefst enttäuscht. Sein zweifelsohne vorhandener sozialer Wille beugte sich einer kapitalfreundlichen Wirtschaftspolitik, sein Weg aus der Krise führte in seinem unbeholfenen Zickzackkurs nur noch tiefer in diese hinein.

Was kommt nach dem 20. November? Mariano Rajoy, der 2004 von Aznar inthronisierte Nachfolger, der zwei Wahlen gegen Zapatero verloren hat und sieben Jahre lang nicht viel mehr tat, als eine äußerst destruktive Opposition zu betreiben, deren Hauptziel der Verschleiß der Regierung war, wird allen Umfragen nach die Wahlen haushoch gewinnen. Um potentielle Wähler nicht abzuschrecken, ist das Wahlprogramm der PP so allgemein gehalten, daß es nichts Konkretes über die tatsächlichen Absichten der Partei aussagt. Sieht man sich aber die von der Volkspartei regierten Regionen an, so kann man ahnen, was auf Spanien zukommt: Abbau des öffentlichen Gesundheits- und Schulwesens zugunsten von privaten Krankenhäusern und – meist katholischen – Privatschulen, eine Wirtschaftspolitik, die von den mächtigen Unternehmerverbänden bestimmt wird, Privatisierungen zuhauf, Liberalismus in Reinkultur. Und all dies viel umfassender, als es bereits unter dem PSOE geschehen ist. Immer deutlicher verkünden Vertreter des PP, daß sie Spanien retten werden, wie es Aznar im Jahr 1996 getan hatte – durch eben die Wirtschaftsrezepte, die das Land an den Rand des Abgrundes getrieben haben. Keine besonders rosigen Aussichten.

* Georg Pichler ist Professor für Deutsche Sprache und Literatur an der Universität Alcalá in Madrid.

Aus: junge Welt, 19. November 2011



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