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Aufräumen für den Papst

Spaniens Polizei besetzt die Innenstadt von Madrid. Bewegung der "Empörten" soll vor dem katholischen "Weltjugendtag" zerschlagen werden

Von André Scheer *

In Madrid haben die spanischen Sicherheitskräfte am Donnerstag erneut das Zentrum der Hauptstadt abgeriegelt, um Kundgebungen der »Empörten« zu verhindern. Die Proteste richteten sich gegen das Vorgehen der Polizei, die am Dienstag ein Zeltlager an der Puerta del Sol und einen Informationsstand der Bewegung geräumt hatte. Dort sollen sich Medienberichten zufolge zuletzt noch etwa 20 Menschen aufgehalten haben, nachdem die Mehrheit der Besetzer Anfang Juni beschlossen hatte, ihr im Mai errichtetes Protestcamp aufzulösen. Statt dessen wurden die Aktionen der Bewegung in die Stadtviertel der spanischen Hauptstadt verlagert, wo die Aktivisten unter anderem durch die Verhinderung von Zwangsräumungen weiter von sich reden machten.

Der Zeitpunkt der Räumung dürfte kein Zufall gewesen sein. Am 16. August soll in Madrid der »Weltjugendtag« der katholischen Kirche eröffnet werden, zu dem auch Papst Benedikt XVI. erwartet wird. Die Plattform »Wirkliche Demokratie jetzt« wirft den Behörden deshalb vor, ihre Grundrechte zu verletzen, damit sich Madrid dem Kirchenoberhaupt hübsch sauber präsentieren kann. Die Maßnahmen hätten jedoch nur den Effekt gehabt, »daß sie uns Sol genommen und wir viele weitere Plätze besetzt haben«.

Tatsächlich hat das Vorgehen der Polizei in Madrid im ganzen Land zu einem neuen Aufschwung der Bewegung geführt. In mehreren Städten wurde als Reaktion auf die Räumung zur Wiedererrichtung der Protestcamps und zu Kundgebungen aufgerufen. In Barcelona besetzten am Mittwoch abend Demonstranten die Räume einer medizinischen Nothilfeeinrichtung, die nach dem Willen der Regionalregierung in den Sommermonaten jeweils um 20 Uhr geschlossen werden soll. Am Vorabend war dort eine junge Frau bewußtlos zusammengebrochen, nachdem sie an der Tür der Praxis abgewiesen worden war.

Die Polizisten beschwerten sich unterdessen, daß sie nicht einfach auf die Protestierenden einprügeln dürfen. In einem offiziellen Kommuniqué kritisiert die Vereinigte Polizeigewerkschaft (SUP), die Regierung habe den Beamten verboten, Demonstranten festzunehmen und »Material zur Bekämpfung von Unruhen« einzusetzen. Das sei »schlimmer als zu Zeiten Francos«. Vertreter der »Empörten« bezweifelten die Existenz einer solchen Anweisung. So seien während der Einsätze Fotografen festgenommen worden, die das Vorgehen der Polizei dokumentieren wollten. Überhaupt sei »die Liste der Übergriffe auf friedliche Bürger« seit Beginn der Aktionen »gigantisch«.

Während die Organisatoren des »Weltjugendtages«, zu dem mehrere hunderttausend Menschen erwartet werden, jede Verantwortung für die Räumungsaktion bestreiten, verweigern das spanische Innenministerium und die Polizei bislang offizielle Stellungnahmen. Der Rundfunksender SER zitierte jedoch »Quellen« in der Regierung, die von Druck der Stadtverwaltung Madrids sprechen, rechtzeitig vor dem Papstbesuch für Ruhe und Ordnung zu sorgen. »Die Macht« habe verstanden, daß sie im Papst »einen Verbündeten« gefunden habe, kommentiert dies der baskische Linkspolitiker und Publizist Javier Madrazo. Auf der einen Seite stünden diejenigen, die für demokratische Rechte kämpfen, auf der anderen »eine Kirchenhierarchie, die sich zu Komplizen des Kapitalismus gemacht« habe.

* Aus: junge Welt, 5. August 2011


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