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Spanien wieder in Not

Höhere Zinsen, Kapitalflucht, massenhaft ungenutzte Immobilien und ein angeschlagenes Bankensystem: Die Euro-Krise geht in die nächste Runde

Von Rainer Rupp *

Nachdem sie zuletzt fast vergessen schien, ist die Krise zurück. Die internationalen Finanzmärkte sind seit Ostern wieder in Aufregung, nun geht die Angst vor einem Auseinanderbrechen der Euro-Zone und deren Folgen für das gesamte Finanzsystem um.

Die Währungsgemeinschaft werde zwangsläufig zerstört, wenn die einschneidenden Maßnahmen (die den »Problemstaaten« von Brüssel und Berlin aufgezwungen wurden) nicht durchgesetzt würden, sagte Jens Nordvig, Direktor im japanischen Finanzkonzern Nomura am Dienstag dem US-Wirtschaftsportal Bloomberg. Der Analyst zweifelte zugleich am politischen Willen in Westeuropa, die Fiskalunion umzusetzen. Dies werde das Euro-Projekt zwangsläufig in seiner Existenz gefährden.

Einen Ratschlag hatte auch Stephen King, Chefökonom der britischen Megabank HSBC, parat. Der empfahl Griechenland diese Woche in der australischen IB-Times, auf den Euro zu verzichten und zur alten Währung zurückzukehren. Nach einigen Monaten chaotischer Zustände werde sich die hellenische Wirtschaft dank einer starken Abwertung der Drachme dann schnell erholen. Ansonsten drohe über viele weitere Jahre ein Dahinvegetieren zwischen Stagnation und Niedergang. Und wofür, wenn am Ende der Euro doch kaputtginge, so die rhetorische Frage.

Die Mehrzahl der Finanzanalysten geht inzwischen davon aus, daß Griechenland und Portugal nicht mehr zu helfen ist. Außerdem würden die Chancen, Irland, Spanien und Italien rechtzeitig vor dem Abgrund zurückzuziehen, immer kleiner. Dies gilt aktuell insbesondere für Spanien, das erneut steigende Zinsen für seine Staatsanleihen zahlen muß. Die Angst vor einem Auseinanderbrechen der Euro-Zone hat zu heftiger Kapitalflucht aus Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien (»PIIGS«-Länder) in die wenigen noch verbliebenen stabilen Staaten der Euro-Zone geführt.

Nach Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ, das Baseler Institut fungiert faktisch als Zentralbank der Zentralbanken), sind im Jahre 2011 Gelder von privaten Konten aus Portugal, Griechenland und Irland in Höhe von 60 Milliarden Euro abgeflossen. Im Fall von Spanien und Italien waren es zusammen über 120 Milliarden Euro, und auch aus Belgien und Frankreich sind allein im letzten Quartal 2011 über 60 Milliarden Euro abgezogen worden. Zu den Gewinnern zählten im gleichen Währungsraum die deutschen, finnischen und luxemburgischen Banken. Diese verzeichneten im selben Zeitraum Zuflüsse von etwa 70 Milliarden Euro.

Die private Kapitalflucht macht insbesondere den spanischen Banken zu schaffen. Vor allem die Cajas (Kassen) hatten den Bauboom auf der iberischen Halbinsel finanziert, der inzwischen als »Mutter aller Immobilienblasen« gilt. Laut Wall Street Journal (WSJ) stehen dort derzeit 1,5 Millionen Wohneinheiten entweder leer, oder sind unvollendete Bauruinen. Im Durchschnitt werden täglich 120 Hausbesitzer wegen eingestellter Hypothekenzahlungen von den Banken enteignet. Trotzdem sind die Immobilienpreise bisher nur um etwa 15 Prozent gefallen, ein Rückgang um 50 Prozent wäre realistischer.

Grund für das noch relativ hohe Preisniveau ist, daß die Banken pokern. In der Hoffnung auf bessere Zeiten bleiben sie lieber auf den leerstehenden Häusern sitzen. Dadurch müssen sie nur Abschreibungen von maximal 15 Prozent vornehmen, während beim Verkauf zu einem realistischeren Preis ihr gesamtes Immobilienvermögen neu bewertet und in entsprechender Höhe abgeschrieben werden müßte. Das hätte die sofortige Pleite des spanischen Bankensystems zur Folge. Laut WSJ haben Geldhäuser dort 400 Milliarden Euro Kredite an den Immobiliensektor vergeben. Von diesem Volumen gelten inzwischen 176 Milliarden als unsicher, für Außenstände von 31,6 Milliarden Euro wurden die Zins- und Rückzahlungen bereits eingestellt.

Spaniens Banken seien faktisch bankrott, bisher sei es nur gelungen, dies mit Buchhaltungstricks zu verschleiern, schrieb jüngst der Analytiker John Mauldin. Dazu gehöre auch die Mär, die Höhe der Staatsschuld des Landes, gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP), liege nur bei 68,5 Prozent. Wenn jedoch die massenhaft außerhalb der Bilanzen vergebenen Garantien hinzugezählt würden, dann könnten schnell mehrere Dutzend Prozentpunkte hinzukommen, so der Experte. Dabei verwies Mauldin auf Mark Grant, einen ebenfalls bekannten Finanzanalytiker. Der hatte kürzlich eine detaillierte Rechnung vorgelegt, wonach die Verschuldung des spanischen Staates tatsächlich bei 133,8 Prozent des BIP liegt. Das scheinen auch inzwischen die »Märkte« begriffen zu haben. Dort hat in bezug auf Spanien eine Entwicklung eingesetzt, die starke Parallelen zu der Griechenlands vor einem Jahr aufweist.

* Aus: junge Welt, Samstag, 14. April 2012


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