Felsklippen werden zum Gelobten Land
Spanische Polizei räumt von Flüchtlingen besetzte Insel vor Marokko / Vorfall entfacht Diskussionen um Gebietsansprüche
Von Ralf Streck, Madrid *
In der Nacht zum Dienstag verhaftete die spanische Polizei 73 afrikanische Flüchtlinge auf einen kleinen Felsinsel, die zum spanischen Hoheitsgebiet gehört. Sie wurden ohne Asylverfahren sofort an die marokkanische Gendarmerie übergeben.
Insgesamt 87 Flüchtlinge harrten auf der »Isla de la Tierra« aus, die nur 50 Meter entfernt vor der marokkanischen Küste liegt. Die unbewachte Insel kann schwimmend leicht erreicht und der Stacheldraht einfach überwunden werden. Vergangene Woche kamen bereits die ersten 19 Flüchtlinge auf die Insel, und am Sonntag folgten weitere 68. Unter den insgesamt 87 Flüchtlingen waren laut spanischen Medien mehrere Frauen, Kinder und Kranke, die zunächst per Hubschrauber in die spanische Nordafrika-Exklave Melilla geflogen wurden. Spanien will sich um die übrigen Menschen jedoch nicht kümmern. Der Einsatz habe auch zur Abschreckung gedient, hieß es.
Die Flüchtlinge nutzen einen diplomatischen Schwachpunkt Spaniens für ihre Flucht nach Europa. Gegen das Interesse Marokkos, das die Hoheit über die insgesamt drei Alhucemas-Inseln fordert, zu der auch Tierra zählt, beansprucht Spanien sie weiterhin. Da nun die Flüchtlinge aber spanisches Hoheitsgebiet betreten haben, fordern sie, auch nach spanischen Gesetzen behandelt und in spanische Auffanglager gebracht zu werden. In einer schriftlichen Erklärung lehnt Madrid jede Verantwortung für »unerwünschte Konsequenzen« ab, die sich aus einem »illegalen Zutritt des Staatsgebiets« ergeben könnten. »Menschenschieberbanden« hätten die Menschen auf die Insel gebracht, die aus deren Not ein Geschäft machten und sie ausbeuten würden. Doch die spanische Position ist kaum haltbar. Wenn es sich um Staatsgebiet handelt, dann muss das Land auch dort seine minimalen Standards gewährleisten.
Tut das Madrid nicht, wird Marokko in seiner Ansicht bestärkt, dass die Inseln ohnehin zum nordafrikanischen Königreich gehören. 2002 führte ein Streit um die ungeklärte Situation der ebenfalls unbewohnten Petersilieninsel fast zu einem militärischen Konflikt zwischen beiden Ländern.
Dass die Lage »delikat« ist, weiß auch die spanische Regierung. Innenminister Jorge Fer᠆nández Díaz und Außenminister José Manuel García Margallo haben nun Gespräche über die Lage mit den marokkanischen Amtskollegen begonnen, »um eine dauerhafte Lösung« zu suchen. Marokko soll dazu gedrängt werden, die Flüchtlinge abzufangen, bevor sie die Felsbrocken vor der Küste erreichen. »Gespräche finden auf allen Ebenen statt«, erklärte García Margallo am Montag.
Ein Ansturm auf die spanischen Grenzzäune ist spektakulär, wenn wie in der Nacht zum Montag fast 200 Flüchtlinge versuchen, die spanischen Grenzanlagen zu den Exklaven Ceuta und Melilla zu überwinden. In den Wäldern um die spanischen Hoheitsgebiete, deren Hinterland Marokko ist, warten zahllose Menschen auf eine Chance, die schwer befestigte Grenze zu überwinden.
Diese Form der Einreise nach Spanien nutzen Flüchtlinge jetzt wieder verstärkt, was bereits 2005 für Schlagzeilen sorgte. Damals wurde mehr als ein Dutzend Menschen getötet, als sie versuchten, die Grenzen zu überwinden. Die genaueren Umstände sind bis heute nicht geklärt worden.
* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 05. September 2012
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