"Migration ist ein Problem"
Im andalusischen El Ejido sind die fremdenfeindlichen Übergriffe von 2000 unvergessen
Von Sabrina Apicella, El Ejido *
Die spanische Landwirtschaft ist auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen. Rassistische
Ausschreitungen verhindert dies nicht. Das zeigt das Beispiel von El Ejido. Die dramatischen
Ereignisse von vor zehn Jahren sind bis heute nicht aufgearbeitet.
Das Szenario ist beeindruckend: ein Meer aus Plastik. In der südspanischen Kleinstadt El Ejido wird
das ganze Jahr auf über 350 km² Fläche Gemüse und Obst in Gewächshäusern angebaut. Aus
dieser Region wird ganz Europa mit billigen Produkten versorgt - Hauptabnehmer ist Deutschland.
Um El Ejido herum konzentriert sich die industrialisierte Landwirtschaft, mit den allseits bekannten
ökologischen Verwerfungen, die diese nach sich zieht. Was jedoch kaum zur Sprache kommt, sind
die Lebens- und Arbeitsverhältnisse derjenigen, die diese Region als Migranten erreichen, um sich
in Europa »ihr Leben zu suchen«, um Papiere zu bekommen und um zu arbeiten, nicht selten
kommen sie aus Marokko.
Vor zehn Jahren waren sie Ziel eines bewaffneten Mobs von Spaniern. Drei Tage lang griffen sie vor
allem marokkanische Migranten, deren Unterkünfte und Läden, sowie Organisationen an, welche mit
Migranten zusammenarbeiteten. Die dreitägige, systematische und organisierte Gewalt hinterließ
eine Zerstörung, deren Folgen bis heute anhalten. Nach den Angriffen wurde nie wieder ein so
hoher Grad an migrantischer Organisation erreicht, wie in den späten 90er Jahren. Die
Einschüchterung und Isolation hält bis heute an. Von dem am 12. Februar 2000 unterschriebenen
Schlichtungsabkommen über angemessene Unterkünfte für Migranten, ein Verfahren zur
Legalisierung aller illegalisierten Migranten, die Aufklärung der Geschehnisse, die Entschädigung
der Betroffenen und die Schaffung einer Instanz, welche die Erfüllung aller Punkte überwachen
sollte, wurde bis heute kein einziger Punkt umgesetzt!
Inzwischen hat die Finanzkrise nicht nur die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt verschärft. Sie führt
auch dazu, dass der fremdenfeindliche Diskurs wieder spürbar an Konjunktur gewinnt.
In den letzten Wochen fand in Almería eine Veranstaltungs- und Diskussionsreihe zur Erinnerung an
die Ereignisse im Februar 2000 statt. Vor allem das Sozialforum Almería, der Verein »Almería
Intercultural« und die Landarbeitergewerkschaft SOC Almería hatten eingeladen, die Geschehnisse
in El Ejido zu analysieren, über gegenwärtige Missstände zu debattieren und gemeinsame
Perspektiven zu entwickeln, damit sich derartige Ausschreitungen nicht wiederholen.
Die Reihe »El Ejido - zehn Jahre danach« war auch der Versuch einiger weniger, aus der Isolation
herauszutreten, sich nach langer Zeit wieder zu vernetzen und das Schweigen zu brechen. Zu dem
sehr breit gefächerten Programm wurden über 400 Akteure aus Politik, Presse, aus Universitäten,
Unternehmen, von Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften, Parteien, auch aus der
Verwaltung oder der Regierung eingeladen, so Federico Pacheco von der SOC Almería. Doch fast
niemand kam. »Migration ist ein Problem« sagt Javier Ayestarán von der sozialdemokratischen
Gewerkschaft Comisiones Obreras und er meint damit nicht nur die Probleme der Migranten selbst,
sondern vor allem den Umgang mit dem Thema, dem sich die meisten verweigern. »Allein eine
Diskussionsveranstaltung zur Erinnerung ist inkorrekt, Rechte für Migranten einzufordern, ist
inkorrekt, denn Migranten sollen Sklaven sein, entrechtet und desorganisiert«, sagte José Criado,
ein Schriftsteller und Journalist aus der Region, und die Mitdiskutanten stimmten zu.
Auch internationale Gruppen aus Frankreich, Österreich, Deutschland und der Schweiz waren zur
Unterstützung angereist und machten deutlich, dass El Ejido trotz der schwierigen Verhältnisse vor
Ort in den letzten zehn Jahren europaweit zu einem Symbol für Ausbeutung und Rassismus
geworden ist, wie Nicholas Bell vom Europäischen BürgerInnen Forum betonte. Dass es keine
starke Bewegung gäbe, so Bell, sei kein spezifisches Problem in Almería.
Vor wenigen Wochen kam es im süditalienischen Rosarno wieder zu xenophoben Ausschreitungen
gegen migrantische Landarbeiter bei der Orangenernte. Wieder gingen die Ausbeutung
migrantischer Arbeitskräfte mit einem starken Rassismus und dem gezielten Angriff auf politische
Organisation und Protest einher. Erst die Ausbeutung der Menschen und die rassistische Grenzund
Migrationspolitik der EU machen das Modell der industrialisierten Landwirtschaft möglich, von
dem auch wir tagtäglich in Form von Billiggemüse profitieren.
* Aus: Neues Deutschland, 4. März 2010
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