Spanien als "Bösewicht"?
Madrid wird angesichts der Verstaatlichungen spanischer Tochterfirmen in Südamerika nervös
Von Ralf Streck, Madrid *
Spanien ist geschockt, weil innerhalb kürzester Zeit wieder ein Tochterunternehmen einer spanischen Firma in Lateinamerika verstaatlicht wurde.
Am 1. Mai hat die bolivianische Regierung die Verstaatlichung der »Transportadora de Electricidad« (TDE) angekündigt. Es ist ein Tochterunternehmen des spanischen Unternehmens »Red Eléctrica« (REE), das fast 75 Prozent des Stromnetzes in dem lateinamerikanischen Land betreibt und zu gut 99 Prozent von der spanischen Mutter kontrolliert wird. Spanien ist direkt betroffen, denn die staatliche Beteiligungsgesellschaft Sepi hält als Hauptaktionär mit 20 Prozent der Anteile. Das ist ein zentraler Unterschied zur Verstaatlichung der Tochter YPF des spanischen Ölmultis Repsol durch Argentinien vor zwei Wochen.
Der spanische Unternehmerverband CEOE ist empört und die Börse in Madrid reagierte fast panisch. Es wird befürchtet, dass das in Lateinamerika Schule machen könnte. Der Leitindex Ibex stürzte zeitweise auf Werte ab, die zuletzt im März 2003 registriert wurden. Die REE-Aktien gaben zum Teil um vier Prozent nach.
Eine »Verarschung« nannte CEOE-Vizepräsident Arturo Fer-nández am Mittwoch die Verstaatlichung. Es scheine, dass man sich Spanien als »Bösewicht« ausgeguckt habe. Er forderte die Regierung auf, drastische Maßnahmen zu ergreifen. Doch die ist dazu nicht bereit. Obwohl Spanien betroffen ist, droht die konservative Volkspartei (PP) nicht mit Sanktionen. Wirtschaftsminister Luis de Guindos hat jeden Vergleich mit der Repsol-Verstaatlichung vermieden, auch wenn er sagte, dass solche Entscheidungen der Regierung nicht gefielen. Es handele sich aber um »zwei unabhängige Vorgänge«. Zudem habe Bolivien zugesichert, TDE zu entschädigen.
Diese Entschädigungen dürften sich aber in Grenzen halten. Wie Argentinien hatte auch Bolivien die Verstaatlichung vor allem damit begründet, dass REE nicht ausreichend investiert habe. Der bolivianische Präsident Evo Morales erklärte, dass seit der Privatisierung »nur fünf Millionen Dollar pro Jahr« investiert worden seien. Dass damit nicht einmal die Werterhaltung gesichert wurde, machen sogar offizielle Zahlen deutlich: Hatte REE 2002 für TDE 91,7 Millionen Euro bezahlt, wurde die Tochter zum Jahresabschluss 2010 nur noch mit einem erzielbaren Wert von 5,88 Millionen in den Büchern geführt.
Madrid will sich aber offensichtlich nicht mit Bolivien anlegen. Das hat auch damit zu tun, dass TDE zum REE-Gesamtgewinn 2011 nur knapp drei Prozent beisteuerte. YPF dagegen war am Konzerngewinn von Repsol mit gut einem Viertel beteiligt. Zudem könnte ein Streit mit Bolivien Konsequenzen für andere spanische Firmen haben, die zu den größten Investoren gehören. So könnte auch die baskische Iberdrola enteignet werden, die das restliche Stromnetz im Land betreibt.
Morales hatte am Dienstag bei der Einweihung einer Repsol-Erdgasanlage versichert, dass Bolivien in diesem Konzern einen bevorzugten Partner sehe. Bolivien benötige »Investitionen und Partner«, aber »keine Besitzer unserer Bodenschätze oder grundlegender Dienstleistungen«.
Mit der YPF-Verstaatlichung ist Argentinien dem Weg gefolgt, den Bolivien längst eingeschlagen hatte: Nach den Rückverstaatlichungen von 2006 bis 2009 sind Firmen wie Repsol dort an der Ausbeutung der Bodenschätze zwar beteiligt, aber nur noch als Partner mit Aktienminderheit. Repsol kontrollierte aber in Argentinien die Förderung von Öl und Gas. Der Streit eskalierte, da sich die Spanier weigerten, in ein neu entdecktes riesiges Öl- und Gasfeld zu investieren. Argentinien wird nun mit Gas aus der neuen Anlage in Bolivien beliefert.
* Aus: neues deutschland, Freitag, 4. Mai 2012
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