"Wir erleben zur Zeit die Diktatur der Finanzmärkte"
Spaniens Linke will progressives Steuersystem, öffentliches Bankwesen, mehr Steuerfahndung. Alles innerhalb des Kapitalismus. Gespräch mit Cayo Lara *
Cayo Lara ist Vorsitzender des spanischen Parteienbündnisses Izquierda Unida (Vereinigte Linke, IU), in der die Kommunistische Partei Spanien (PCE) den größten Einfluß hat. Die IU stellt elf von 350 Abgeordneten im spanischen Parlament.
Wie steht die Vereinigte Linke Spaniens (Izquierda Unida, IU) zu den jüngsten Finanz-Beschlüssen der EU?
Wir erleben zur Zeit die Diktatur der Finanzmärkte. Hinzu kommt, daß sich Deutschland und Frankreich intensiv bemühen, den anderen Mitgliedsländern der EU eine rigorose Sparpolitik aufzudrücken – das geht sogar so weit, daß sie versuchen, diese Staaten zu zwingen, die sogenannte Schuldenbremse in ihre Verfassungen aufzunehmen. Das würde diesen Ländern aber jede Wirtschaftsplanung unmöglich machen.
All diese Maßnahmen bewirken genau das Gegenteil von dem, was nötig ist, um aus der Krise herauszukommen. Je stärker die Kaufkraft der arbeitenden Bevölkerung beschnitten wird, um so mehr vertieft sich die Krise und damit auch die Arbeitslosigkeit.
Wie beurteilt die IU die Rolle der deutschen Bundesregierung?
Deutschland und Frankreich setzen in der EU eine Politik durch, die genau das Gegenteil von dem ist, was man unter einer sozialen Lösung versteht. Die deutschen Banken z.B. haben den anderen Ländern Riesenkredite gegeben, was bei uns in Spanien nicht zuletzt die sogenannte Immobilienblase ausgelöst hat. Das hat dazu geführt, daß wir heute eine fast doppelt so hohe Arbeitslosigkeit wie im EU-Durchschnitt haben.
In der EU haben sich die rechten und die sozialdemokratischen Parteien auf den ungezügelten Neoliberalismus festgelegt. Das aber widerspricht dem Vertrag von Lissabon, der das Ziel hatte, Arbeitsplätze zu schaffen und die Haushaltsdefizite zu begrenzen. Herausgekommen ist, daß letztere außer Kontrolle gerieten und die Zahl der Arbeitslosen in der EU auf 23 Millionen gestiegen ist.
Nicht eines der damals vereinbarten Ziele wurde erreicht; die EU hat sich vielmehr auf die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge konzentriert. Es gibt weder eine politische Kontrolle der Europäischen Zentralbank (EZB)noch eine gemeinsame Steuerpolitik und erst recht keine Schließung der Steueroasen. Die Folge daraus ist eine Schwächung des Euro, der obendrein noch unter den Attacken internationaler Finanzkonzerne und Ratingagenturen zu leiden hat, die vornehmlich in US-Besitz sind.
Welchen Ausweg aus dieser Misere gibt es für die europäischen Volkswirtschaften?
In der EU sind das Konzept des Wohlfahrtsstaates und somit auch die Renten der arbeitenden Bevölkerung Opfer des Finanzkapitals geworden, das sich eher im spekulativen als im produktiven Bereich engagiert. Das hat zur Schwächung der jeweiligen Staaten geführt: Sie haben Staatsbetriebe verkauft, Steuererleichterungen für Kapitalerträge geschaffen und viele Möglichkeiten aus der Hand gegeben, regulierend in die Wirtschaftsabläufe einzugreifen.
Die spanischen Steuerbehörden sind zu der Erkenntnis gekommen, daß allein die drei Prozent der Großkonzerne, die mehr als 150 Millionen Euro pro Jahr umsetzen, den Staat jährlich um 42,7 Milliarden Euro betrügen.
Und wie soll das geändert werden?
Die IU fordert daher wie die Gewerkschaften, die wirtschaftlich Starken effektiver zu besteuern, ein progressives Steuersystem einzuführen und die Steuerfahndung auszubauen. Außerdem brauchen wir eine Finanztransaktionssteuer, die den Staaten soviel Geld in die Kassen spült, daß sie mehr investieren und so der Wirtschaft entscheidende Impulse geben können.
Und vor allem fordern wir die Erhaltung und den Ausbau des öffentlichen Bankwesens. Die Großbanken haben sich die spanischen Sparkassen unterworfen, sämtliche Ersparnisse in unserem Land fließen jetzt in die Kassen von sechs oder sieben Finanzkonzernen. Dieses öffentliche Bankwesen könnte zum einen aus den Sparkassen gebildet werden, zum anderen mit Hilfe des »Instituto de Crédito Oficial« – das ist eine kleine öffentliche Bank, die sich Spanien noch leistet.
Sie streben also eine Lösung der gegenwärtige Krise an, die innerhalb des Kapitalismus möglich ist?
So ist es.
Interview: Carmela Negrete, Madrid
* Aus: junge Welt, 29. Februar 2012
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