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Chance für Frieden

Baskische Untergrundorganisation ETA beendet den bewaffneten Kampf. Antwort auf Friedenskonferenz und Forderungen der Linken

Von Carmela Negrete *

Die baskische Untergrundorganisation ETA gibt den bewaffneten Kampf auf. In einem Video, das der Tageszeitung Gara am Donnerstag abend übermittelt wurde, erklärten drei vermummte Mitglieder der für die Unabhängigkeit von Euskal Herria (dem Baskenland) von Spanien eintretenden Gruppe die »endgültige Einstellung der bewaffneten Aktivität«. Damit reagierte die ETA drei Tage nach einer internationalen Friedenskonferenz in Donostia (San Sebastián) auf die dort verabschiedete »Erklärung von Ariete«, die unter anderem vom früheren UN-Generalsekretär Kofi Annan unterzeichnet worden war. Wie in diesem Dokument gefordert wurde, gibt die ETA die Anwendung von Gewalt auf und hofft nun, daß auch die anderen Punkte des Kommuniqués umgesetzt werden. So hatte die Konferenz die Regierungen in Madrid und Paris aufgefordert, Gespräche mit der baskischen Gruppierung aufzunehmen, um einen dauerhaften Frieden zu erreichen und die Bevölkerung in die politischen Entscheidungen einzubeziehen.

Der Vorsitzende der irischen Sinn Féin und Konferenzteilnehmer Gerry Adams rief Madrid und Paris auf, nun ihren Part zu erfüllen, die Erklärung zu begrüßen und Verhandlungen zu akzeptieren. »Ich nehme erfreut den entschiedenen und positiven Wortlaut der Antwort der ETA auf die Erklärung vom Montag zur Kenntnis«, teilte Adams in einer Presseerklärung mit.

Hunderte Tote

Die Euskadi Ta Askatasuna (Baskenland und Freiheit) entstand 1959 während der Franco-Diktatur. Sie verknüpfte den Widerstand gegen den Faschismus, durch den die nationalen Minderheiten in Spanien– insbesondere Basken, Katalanen und Galicier– unterdrückt wurden, mit der Forderung nach einer Unabhängigkeit der historisch zum Baskenland gehörenden Gebiete. Die umfassen in Spanien Álava, Biscaya, Guipúzcoa und Navarra sowie in Frankreich Lapurdi, Niedernavarra (Nafarroa Beherea) und Zuberoa. Bei Anschlägen der Organisation kamen nach Regierungsangaben in den vergangenen Jahrzehnten 800 Menschen ums Leben.

Genaue Zahlen darüber, in welchem Maße die baskische Bevölkerung die Forderung nach einer Unabhängigkeit ihres Landes unterstützt, liegen nicht vor. Der bislang einzige Versuch des damaligen baskischen Regierungschefs Juan José Ibarretxe von der konservativen Baskischen Nationalistischen Partei (PNV), im Oktober 2008 ein Plebiszit über die Selbstbestimmung von Euskal Herria durchzuführen, wurde vom spanischen Verfassungsgericht in Madrid verboten. Bei den Regionalwahlen im Mai 2011 konnten die für ein unabhängiges Baskenland eintretenden Parteien die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen. Während die PNV 44,2 Prozent gewann, eroberte das linke Bündnis Bildu mit insgesamt 13,47 Prozent 123 Gemeindevorstände.

Bildu war erst kurz vor den Wahlen gegründet worden, nachdem die Partei Sortu wie einige ihrer Vorgängerorganisationen wegen angeblicher ETA-Nähe untersagt worden war. Auch gegen Bildu hatten die Behörden in Madrid einen Verbotsantrag gestellt, der von den Richtern jedoch abgelehnt wurde. Bei diesem Vorgehen stützte sich Madrid auf das spanische Parteiengesetz, dessen Verabschiedung unter anderem mit den Anschlägen der ETA begründet worden war und dessen Aufhebung die abertzale (baskische) Linke fordert.

Die traditionell mit der ETA verbündeten linken Organisationen des Baskenlandes waren in den vergangenen Jahren von ihr und dem bewaffneten Kampf abgerückt. Als entscheidender Schritt wurde dabei zuletzt eine entsprechende Erklärung des Vorsitzenden der verbotenen Partei Batasuna, Arnaldo Otegi, während eines Prozesses im vergangenen September gewertet. Bereits im Februar 2010 hatte die Linke zudem nach monatelangen Diskussionen ein gemeinsames Dokument verabschiedet, in dem sie sich einseitig verpflichtete, ihren Kampf im demokratischen Rahmen zu führen und auf Gewalt zu verzichten. Zudem forderten die Unterzeichner die Aufnahme von Friedensverhandlungen. Als Reaktion darauf hatte die ETA im Januar 2011 einen unbefristeten Waffenstillstand verkündet.

Lösung verhindert

In den Jahrzehnten nach dem Tod Francos und der »Transición«, dem Übergang Spaniens zu einer parlamentarischen Demokratie, hatten auch die verschiedenen Regierungen immer wieder eine politische Lösung und damit eine Beendigung der gewaltsamen Auseinandersetzungen verhindert. Höhepunkt des »schmutzigen Krieges« gegen die baskische Unabhängigkeitsbewegung waren die Attacken unter der Regierung des Sozialdemokraten Felipe González gebildeten »Antiterroristischen Befreiungsgruppen« (GAL). Diese Todesschwadronen dienten dazu, führende Persönlichkeiten der abertzalen Linken zu ermorden.

Ständiges Konfliktthema blieb auch die Lage der mehreren hundert baskischen politischen Gefangenen, die zumeist auf Gefängnisse in ganz Spanien verteilt wurden, so daß ihre Familien zu Besuchen weite Reisen auf sich nehmen müssen. Hinzu kamen wiederholt Foltervorwürfe gegen die spanischen Behörden, die unter anderem von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International erhoben wurden, sowie das Verbot baskischer Organisationen und Medien wie der Tageszeitung Egin.

Erste Reaktionen aus Madrid auf die jüngste Erklärung der ETA deuten darauf hin, daß die führenden politischen Kräfte Spaniens auch weiterhin einen Dialog verweigern. Verteidigungsministerin Carme Chacón schloß am Freitag im spanischen Fernsehen Gespräche mit der Untergrundorganisation kategorisch aus: »Es gibt mit der ETA nichts zu verhandeln«. Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero sagte, das weitere Vorgehen müsse die Regierung entscheiden, die aus den am 20. November bevorstehenden Wahlen hervorgehe. Sein französischer Amtskollege Nicolas Sarkozy vermied zunächst eine Stellungnahme und kündigte lediglich an, »abwarten und geduldig handeln« zu wollen.

* Aus: junge Welt, 22. Oktober 2011

Dokumentiert:

Große Tragweite

Erklärung der ETA zum Ende ihres bewaffneten Kampfes

Die sozialistische revolutionäre baskische Organisation der nationalen Befreiung ETA möchte mit dieser Erklärung ihre Entscheidung bekanntgeben:

Aus Sicht der ETA ist die internationale Konferenz, die vor kurzem in Euskal Herria (dem Baskenland, jW) stattfand, eine Initiative großer politischer Tragweite. Ihre Abschlußerklärung enthält alle Bestandteile einer gesamtheitlichen Lösung des Konflikts und hat die Unterstützung großer Teile der baskischen Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft.

In Euskal Herria beginnt ein neues politisches Zeitalter. Wir stehen vor der historischen Möglichkeit einer gerechten und demokratischen Lösung des alten politischen Konflikts.

Angesichts der Gewalt und der Unterdrückung muß die neue Zeit durch Dialog und Übereinkünfte gekennzeichnet sein. Die Anerkennung von Euskal Herria und der Respekt vor dem Willen seiner Bevölkerung muß sich gegenüber jedweder Unterdrückung durchsetzen. Das ist der Wille der Mehrheit der baskischen Bevölkerung.

Der jahrelange Kampf hat diese Möglichkeit geschaffen. Es war nicht einfach. Die Härte des Kampfs hat uns viele Genossen für immer genommen. Andere leiden im Gefängnis oder im Exil. Ihnen gehört unsere Anerkennung und unsere tiefste Achtung. Auch in Zukunft wird es nicht einfach sein. Angesichts der immer noch vorherrschenden Unterdrückung wird jeder Schritt und jede Errungenschaft das Ergebnis des Einsatzes und des Kampfs der baskischen Bevölkerung sein. Über die Jahre hat Euskal Herria die Erfahrung und die Stärke gesammelt, um diesen Weg zu gehen. Und es hat den festen Willen dazu.

Es ist an der Zeit, hoffnungsfroh in die Zukunft zu sehen. Es ist auch Zeit, mit Verantwortungsbewußtsein und Mut zu reagieren.

Deswegen hat die ETA das endgültige Ende ihres bewaffneten Kampfes beschlossen. Die ETA appelliert an die Regierungen von Spanien und Frankreich, einen direkten Verhandlungsprozeß zu eröffnen, der als Ziel eine Überwindung der Konsequenzen des Konflikts und damit ein Ende des bewaffneten Konflikts hat. Mit dieser historischen Entscheidung demonstriert die ETA ihr klares, festes und endgültiges Ziel.

Die ETA ruft die baskische Gesellschaft auf, sich in den Prozeß einzubringen, bis Frieden und Freiheit erreicht sind.

Es lebe das freie Euskal Herria, es lebe der baskische Sozialismus, wir werden nicht ruhen, bis Unabhängigkeit und Sozialismus erreicht sind.

In Euskal Herria, 20. Oktober 2011

Euskadi Ta Askatasuna ETA




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