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Für Unabhängigkeit

Katalonien: Spitzengespräch in Madrid gescheitert. Autonomiepräsident Artur Mas will Neuwahlen

Von Carles Solà und Mela Theurer, Barcelona *

Alles deutet darauf hin, daß der katalanische Präsident Artur Mas im Rahmen der am heutigen Dienstag beginnenden Generaldebatte des Regionalparlaments vorgezogene Neuwahlen für den 25. November anordnen wird. Das berichtete die Tageszeitung Avui am Montag. Die große Demonstration für die Unabhängigkeit Kataloniens am 11. September, an der mehr als 1,5 Millionen Menschen teilgenommen hatten (jW berichtete), habe eine Welle von Souveränitätsforderungen ausgelöst, die Mas’ bürgerlich-nationalistische Parteienkoalition Convergència i Unió (CiU) nicht ungenutzt verstreichen lassen wolle, so das Blatt.

Ohne Zweifel erlebt Katalonien derzeit einen historischen Moment, der seinen Anfang vor zwei Jahren in dem Dorf Arenys de Munt genommen hat. Dort war am 13. September eine symbolische Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Kataloniens durchgeführt worden, bei der sich 96 Prozent der Teilnehmenden für eine Loslösung von Spanien ausgesprochen hatten. Nun gipfelte diese Bewegung am katalanischen Nationalfeiertag in der Großdemonstration unter dem Motto »Katalonien, ein neuer Staat in Europa«. Während diese Kundgebung weltweit in den Medien Beachtung fand, berichtete das spanische Fernsehen in den Abendnachrichten erst an fünfter Stelle über sie. 24 Stunden ließ die spanische Regierung bis zu einer ersten Reaktion verstreichen. Dann forderte Vizepräsidentin Soraya Saénz de Santamaria, die der rechten Volkspartei (PP) angehört, die Autonomieregierung auf, die Prioritäten auf einen gemeinsamen Weg aus der Krise zu legen, was hinsichtlich einer Arbeitslosigkeit von fünf Millionen Arbeitslosen in Spanien auf der Hand läge. Kataloniens Präsident Mas, dessen CiU im Autonomieparlament auf die Unterstützung der PP angewiesen ist, setzt dagegen darauf, gegenüber der Zentralregierung ein vom katalanischen Parlament verabschiedetes neues Steuermodell durchzusetzen. ¬Katalonien kritisiert, daß es zuviel Geld an die Zentralregierung abgeben muß, davon aber zu wenig zurückbekommt. Am vergangenen Donnerstag traf sich Mas deshalb in Madrid mit Ministerpräsident Mariano Rajoy. Dieser lehnte den Vorstoß jedoch kategorisch ab.

Bereits vor dem Treffen hatte Mas von gegenseitigen »Ermüdungserscheinungen« zwischen Katalonien und Spanien gesprochen. Katalonien habe das Gefühl, an und über seine Grenzen hinaus zu geben, ernte dafür aber weder Respekt noch Anerkennung. Statt dessen sehe es sich mit dem Eindruck Spaniens konfrontiert, Katalonien würde nur fordern und jammern. Anschließend äußerte sich Mas zutiefst enttäuscht und sprach vom Verpassen einer historischen Gelegenheit, die Integration Kataloniens voranzubringen. Über Jahrzehnte hinweg habe man versucht, den spanischen Staat so zu verändern, daß er ein Staat aller sei, aber dies habe sich als unmöglich erwiesen. Nun läge es an Katalonien, selbst über die veränderten Verhältnisse nachzudenken und Entscheidungen zu treffen. Mas warnte, daß sich die Meinung Tausender Menschen gegen alle Drohungen durchsetzen werde und weder durch eine Militärdiktatur noch durch die Berufung auf eine veraltete, in einer repressiven Situation entstandene Verfassung aufgehalten werden könne.

Zuvor hatten Militärkreise offen mit einer Intervention gedroht. Auch der ehmemalige spanische Ministerpräsident José Maria Aznar, ein Parteifreund Rajoys, hatte Katalonien »ernste Konsquenzen« angedroht. In den Medien wurden für den Fall einer Unabhängigkeit in Horrorvisionen das Einbrechen der katalanischen Wirtschaft auf das Niveau Zyperns sowie eine Isolation Kataloniens innerhalb Europas beschworen. Spaniens König Juan Carlos schrieb auf seiner Webseite von einem »entscheidenden Moment für die Zukunft Europas und Spaniens«, in dem der Wohlstand des Staates auf dem Spiel stehe. Das Schlimmste in dieser Situation wäre es, so der Monarch, »Kräfte zu schwächen, uneins zu sein, Hirngespinste zu verfolgen und Salz in die Wunden zu streuen«.

Unterdessen läßt die katalanische Basis nicht locker. Neun Gemeinden haben sich bereits zu »unabhängigen Gebieten« erklärt. Die Vereinigung der Gemeindebezirke für die Unabhängigkeit zählt inzwischen 546 von insgesamt 947 Gemeinden.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 25. September 2012


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