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"Es gibt viele Gründe für die Unabhängigkeit"

Weg von Madrid: In Katalonien wird der Ruf nach Gründung eines eigenen Staates immer lauter. Ein Gespräch mit Andreu Porta *



Am Dienstag, dem katalanischen Nationalfeiertag, sind in Barcelona zwei Millionen Menschen auf die Straße gegangen, um unter dem Motto »Katalonien – ein neuer europäischer Staat« für die Unabhängigkeit von Spanien zu demonstrieren. Aufgerufen dazu hatte die »Assemblea Nacional Catalana« (Katalanische Nationalversammlung) – welche Bedeutung hat sie?

Die »Assemblea« ist eine zivilgesellschaftliche Bewegung, die alle diejenigen repräsentiert, die für die Unabhängigkeit unseres Landes eintreten. Ihr gehören 14000 Mitglieder an, unterstützt werden wir von zahlreichen Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Sport. Darunter sind z.B. ein ehemaliger Parlamentspräsident, der Vorsitzende der Partei »Esquerra Republicana de Catalunya« oder der frühere Trainer des FC Barcelona, Josep Guardiola. Von allen Aktionen, die wir organisiert haben, war besagte Demonstration die eindrucksvollste – sie beweist, daß die Katalanen unabhängig sein wollen.

Die »Assemblea« wird auch von der konservativen Regierungsallianz CiU unterstützt. Normalerweise arbeitet diese mit der rechten Partido Popular zusammen – die stellt die Zentralregierung in Madrid und lehnt jede Unabhängigkeit strikt ab. Wie erklärt sich dieser Widerspruch?

Die »Assemblea« versteht sich nicht als linke Organisation – sie will alle Katalanen ansprechen, von der Rechten bis hin zur radikalen Linken. Uns alle vereint der Wunsch, daß Katalonien unabhängig sein muß – und das macht uns stark.

Kurz zur CiU: In dieser Partei gibt es sehr unterschiedliche Einstellungen. Bisher neigten einige ihrer Mitglieder dazu, die Unabhängigkeit zu fordern, die Mehrheit ihrer führenden Politiker wollte jedoch, daß Katalonien irgendwie seinen Platz in Spanien behält.

Das scheint jetzt zu kippen: Sogar der Präsident der Generalitat (Regionalregierung, d. Red) spricht schon von der Notwendigkeit staatlicher Strukturen. Die Mehrheit der CiU-Wähler ist mittlerweile der Ansicht, daß die Zentralregierung unsere Eigenständigkeit nicht respektiert – vor allem, nachdem die Partido Popular 2010 einen Teil unseres Autonomiestatuts von 2006 vom Verfassungsgericht für ungültig erklären ließ. Von der steuerlichen Ausplünderung Kataloniens will ich gar nicht erst reden.

In einem unabhängigen Katalonien würden wir besser leben, dafür gibt es viele Gründe. Unter anderem auch die vielen Sozialkürzungen, die uns die Zentralregierung mit dem Verweis auf die wirtschaftliche Notwendigkeit aufzwingt. Von dem Geld, das an die Zentralregierung geht, kommt nichts zu uns zurück.

In einer Presseerklärung zur Demonstration behauptete die »Assemblea«, ein unabhängiges Katalonien wäre eines der reichsten Länder der Welt. Wäre das nicht auch im Rahmen eines föderalen Staates möglich?

Katalonien war 30 Jahre lang eine der autonomen Regionen Spaniens. Die ganze Zeit über waren föderalistische Vorstellungen in unserer Bevölkerung weithin akzeptiert. Das hat sich aber mit dem Gerichtsurteil von 2010 geändert. Leider mußten wir die Erfahrung machen, daß wichtige politische Kräfte in Spanien unsere kulturelle Identität nicht respektieren. Uns bleiben also nur zwei Möglichkeiten: Uns damit abzufinden oder zu gehen. Die Bevölkerung neigt zu letzterem.

Wie soll dieser neue Staat Katalonien aussehen?

Unter Staatsgebiet versteht die »Assemblea« zunächst die heutige autonome Region. Hinzu kämen Nordkatalonien, das teilweise in Frankreich liegt, wo aber auch katalanisch gesprochen wird. Und dann noch die autonome Gemeinschaft Valencia sowie die Inselgruppe der Balearen.

Wir haben in der »Assemblea« eine Arbeitsgruppe gegründet. Sie analysiert die Vorschläge, die aus aller Welt zum Thema Staatsgründung gemacht werden, um zu sehen, welcher für unsere Situation am besten geeignet ist. Auf jeden Fall wird es ein demokratischer Staat wie die anderen in Europa auch.

Und in welchem Verhältnis stünde dieser neue Staat zur EU?

In erster Linie geht es uns jetzt um die Trennung von Spanien. Da wir Europäer sind, verstehen wir uns natürlich auch als Teil der EU.

Interview: Carmela Negrete *

* Andreu Porta ist in der »Assemblea Nacional Catalana« verantwortlich für internationale Beziehungen

Übersetzung: Peter Wolter


Aus: junge Welt, Samstag, 15. September 2012


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