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"Die Mehrheit der Katalanen ist links eingestellt"

Die Partei CUP will Kataloniens Unabhängigkeit von Spanien – nicht nur einen Flaggenwechsel. Kritik auch an der EU. Gespräch mit Quim Arrufat *


Quim Arrufat sitzt für die linke ­Kandidatur der Volkseinheit (CUP) im katalanischen Parlament.


Ihre Partei, die CUP, wirbt mit dem Slogan »Unabhängigkeit, um alles zu verändern«. Warum braucht man dazu die Unabhängigkeit und nicht etwa eine Revolution in Spanien?

Spanien ist nicht nur eine Nation, sondern vor allem ein Unternehmen, das durch die Geschichte entstanden ist und dessen einziges Ziel es eigentlich ist, für eine Minderheit im Zentrum des Landes und vor allem baskische und katalanische reiche Minderheiten viel Geld zu machen. Spanien hat nie wirklich mit der Franco-Diktatur Schluß gemacht. Trotz aller Reformen stehen noch immer dieselben Familien an der Spitze.

Einige Parteien haben in den vergangenen 30 Jahren versucht, eine neue Demokratie für Spanien aufzubauen. Sie haben es nicht geschafft. Der spanische Rechtsnationalismus ist immer kräftiger geworden. Deshalb ist es die einzige Lösung, das Recht auf Selbstbestimmung anzuerkennen – vor allem der Basken und der Katalanen. Das sagen auch die antikapitalistischen Bewegungen in Madrid, Andalusien oder Galicien. Um Spanien zu verändern, muß man das ganze Land neu aufbauen. Das wird nicht möglich sein, wenn die Rechte der Basken und Katalanen nicht anerkannt werden.

Am 14. April 1931 hatte Francesc Macià die Katalanische Republik als Teil einer Iberischen Konföderation ausgerufen. Wäre das heute eine Option für Sie?

Es gibt keine Möglichkeit, eine Konföderation mit einem System und mit Leuten zu bilden, die keine Konföderation wollen. 30 Jahre lang ist versucht worden, die föderale Idee in Spanien zu verankern, aber man kann nur föderal sein, wenn es auf der anderen Seite auch Föderalisten gibt. Und die gibt es nicht.

Die zweite Hälfte Ihres Slogans lautet, »alles zu verändern«. Was ist »alles«?

Es nutzt der Arbeiterklasse nichts, wenn wir diesen Prozeß zur Unabhängigkeit durchmachen, nur um eine andere Landesflagge zu haben. Dieser Prozeß dient vor allem dazu, ein Fenster öffnen zu können, das es uns erlaubt, das neue Land auf demokratische Weise selbst zu definieren. Die Mehrheit der Bevölkerung in Katalonien ist links eingestellt. Merkwürdigerweise hat aber die CiU, die Partei der katalanischen Bourgeoisie, die Mehrheit der Sitze im Parlament. Wir hoffen, daß es nächstes Jahr große Veränderungen geben und eine linke Mehrheit die letzten Schritte bis zur Unabhängigkeit gehen wird.

Wir wollen ein Referendum im kommenden Jahr. Die Parteien, die jetzt die Mehrheit haben, werden das aber nicht ohne die Zustimmung Spaniens organisieren. Wir hingegen rufen auf, die Abstimmung wenn nötig auch gegen das spanische Gesetz durchzuführen.

Wie bewerten Sie den Vorstoß des katalanischen Regierungschefs Artur Mas, statt eines Referendums 2014 im Jahr 2016 plebiszitäre Wahlen durchzuführen?

Wenn Spanien Probleme macht, bekommen die großen Unternehmen der katalanischen Bourgeoisie Angst. Und ihre Partei war in der Geschichte immer die erste, die das Gegenteil von dem gemacht hat, was sie versprochen hat. Deswegen versuchen wir, die Bevölkerung vorzubereiten: Ihr dürft diesem Präsidenten nicht vertrauen. Nur durch das Referendum spricht die demokratische Mehrheit der Bevölkerung – nicht durch traditionelle Wahlen, die wieder einmal die Macht an die Parteien und nicht zurück zur Bevölkerung geben würden.

Gegen die Forderung nach Unabhängigkeit wird immer wieder eingewandt, daß ein selbständiges Katalonien nicht Mitglied der EU werden könne. Wollen Sie überhaupt in die EU?

Wir würden sehr gerne in einer Europäischen Gemeinschaft bleiben, wenn diese ein demokratisches Projekt wäre. Das ist sie aber seit vielen Jahren nicht mehr. Jetzt in der Finanzkrise konnte man sehr deutlich sehen, daß das Finanzsystem die EU nutzt, um den Ländern die Befehle zu erteilen, die im Interesse der Banken sind. Die EU ist nur noch ein Projekt der Banken, um eine bessere Position gegen die Finanzsysteme der USA oder Asiens zu haben. Diese EU ist ein Europa des Kapitals und des Krieges.

Wenn wir uns ohne Kritik der EU anschließen, werden wir auch im neuen Katalonien unter der Fuchtel der Banken leben. Wir haben lange für die Freiheit gekämpft, aber nicht für ein Katalonien einer Minderheit von Banken und Unternehmern. Unser Ziel ist eine sozialistische Republik.

Interview: André Scheer

* Aus: junge Welt, Montag, 30. September 2013


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