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Unabhängigkeit als Wählerauftrag

Beim Votum in Katalonien werden große Zuwächse für die separatistischen Parteien erwartet

Von Ralf Streck, San Sebastián *

Bei der vorgezogenen Wahl in Katalonien geht es potenziell auch um die Einheit Spaniens. Kataloniens Regierungschef Artur Mas hat angekündigt, bei einem Wahlsieg eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit abhalten zu lassen.

Katalonien - quo vadis? Bei den Parlamentswahlen werden die Wähler am Sonntag indirekt auch darüber abstimmen, ob in der wirtschaftsstärksten Region Spaniens ein Prozess zur Schaffung eines unabhängigen Staates eingeleitet werden soll.

Umfragen sind sich uneinig darüber, ob die regierende nationalliberale Konvergenz und Einheit (CiU) die angestrebte absolute Mehrheit erhält. Der bisherige Präsident der Regionalregierung Artur Mas will im Falle einer Alleinregierung ein Referendum über die Unabhängigkeit nach Vorbild der Schotten auf den Weg bringen.

Klar ist, dass die Parteien eine Zweidrittelmehrheit erhalten werden, die für die Unabhängigkeit eintreten. Laut Umfragen treten inzwischen knapp 60 Prozent der Bevölkerung in Katalonien für eine Loslösung von Spanien - ein historischer Rekord. Nach Jahren der Uneindeutigkeit haben die CiU und Mas den Fahrersitz in der Lokomotive dieses Zugs eingenommen. Die Partei hofft, mehr als die bisherigen 62 Sitze zu erhalten. Die absolute Mehrheit liegt bei 68. Mas hat Sympathisanten anderer Parteien aufgefordert, ihm die Stimme »zu leihen«, damit er eine »außerordentliche Mehrheit« für seinen Kurs erhält.

Vor allem die Linksparteien kritisieren ihn für diesen Wahlkampf. Die Republikanische Linke (ERC) ist stets für die Loslösung von Spanien eingetreten. Das kommt ihr nun zugute. Ihr wird ein Zuwachs auf 13 Prozent der Stimmen und 19 Parlamentarier prognostiziert. Der ERC Spitzenkandidat Oriol Junqueras macht Mas zwar die Führung nicht streitig. Er verweist aber auch auf den wirtschaftsliberalen Sparkurs der CiU. Zudem gäbe es in der Partei einen Flügel unter Josep Antoni Duran Lleida, »der gegen die Unabhängigkeit arbeite«.

Die linksgrüne Initiative für Katalonien (ICV), die mit der Vereinten Linken (IU) verbunden ist, dürfte ihre zehn Sitze behaupten. Sie tritt für das Selbstbestimmungsrecht ein, legt sich aber bisher nicht fest, ob sie ihre Wähler bei einem Referendum aufrufen wird, für die Unabhängigkeit zu stimmen. Diese Ambivalenz könnte dazu führen, dass die Formation unter Joan Herrera an Einfluss verliert.

Gespannt wird das Abschneiden der radikalen Linksnationalisten der CUP erwartet. Sie tritt erstmals zu den Regionalwahlen an, sitzt bisher nur in Kommunalparlamenten. Der Journalist und CUP-Spitzenkandidat David Fernández erwartet bis zu sechs Sitze, um als »Trojanisches Pferd« der einfachen Leute gegen einen »senilen Kapitalismus« eintreten zu können. Denn dabei handele es sich »um eine Maschine, die Armut produziert«.

Klar ist, dass knapp 100 Parlamentarier ins Parlament gewählt werden dürften, die für das Selbstbestimmungsrecht der Katalanen eintreten. Dagegen dürften nur etwa 25 Sitze an Unabhängigkeitsgegner gehen. Auf höchstens 19 Sitze soll die in Spanien regierende rechte Volkspartei (PP) kommen und auf höchstens sieben »Ciutadans« (Katalanische Bürger). Rechnet man die 15 Sitze hinzu, auf den die Sektion der spanischen Sozialisten (PSC) von 28 abstürzen soll, dann werden im Parlament demnächst gut zwei Drittel für das Selbstbestimmungsrecht eintreten. Den Sozialisten wird prognostiziert, wie im Baskenland im Oktober zum großen Wahlverlierer zu werden. Den Sozialisten wird nach sieben Jahren (bis November 2011) an der Regierung ihr neuer Diskurs gegen den strikten Sparkurs nicht abgenommen. Dazu ist die PSC gespalten. Die starke katalanistische Fraktion fühlt sich vom Spitzenkandidaten Pere Navarro nicht vertreten, der nur für ein Referendum ist, wenn es von Spanien erlaubt wird. Doch nicht nur die PSC ist gespalten. Das trifft auf ganz Katalonien zu.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 24. November 2012


Weg von Spanien

Katalonien wählt am Sonntag ein neues Parlament. Unabhängigkeit von Madrid im Mittelpunkt der Kampagnen

Von Carles Solà und Mela Theuerer, Barcelona **


An diesem Sonntag wird in Katalonien zum zehnten Mal seit 1980 das Parlament der autonomen Region gewählt. Das Parlament de Catalunya sieht sich trotz der 40 Jahre dauernden Unterbrechung unter der Franco-Diktatur als Nachfolger der bereits im 18. Jahrhundert gegründeten Corts Catalanes und ist damit eines der ältesten Parlamente Europas. Doch mehr noch als vergangene Abstimmungen haben die Wahlen am 25. November historischen Charakter, denn es geht diesmal nicht nur um eine neue Regierung. Im Mittelpunkt der Diskussionen steht die Frage, ob innerhalb der nächsten vier Jahre ein Referendum durchgeführt werden soll, das den Weg zur Unabhängigkeit Kataloniens öffnen könnte.

Der Wahlkampf zeichnete sich durch im wesentlichen drei unterschiedliche Positionen aus. Einerseits die Parteien, die sich für ein Referendum aussprechen und die mehrheitlich auch für die Unabhängigkeit eintreten. Weiter die rechten Kräfte, die gegen einen Volksentscheid auftreten und die Unabhängigkeit als verfassungswidrig ablehnen, und schließlich in der Mitte solche Parteien, die ein föderalistisches System als Lösung vorschlagen. Die Loslösung vom spanischen Staat wurde somit zum zentralen Wahlkampfthema und hat wichtige soziale Themen in den Hintergrund treten lassen. Es bleibt abzuwarten, ob die bürgerlichen Katalanisten der CiU, die maßgeblich für die Kürzungen im Sozial- und Bildungsbereich verantwortlich sind, eine absolute Mehrheit erreichen können. Die letzten Wahlprognosen sagten zwar einen starken Stimmengewinn der CiU voraus, das Erreichen der für die Alleinregierung notwendigen 68 Mandate gilt jedoch als unsicher.

Offen ist auch das Rennen darum, wer zweitstärkste Kraft wird. Die rechte Volkspartei PP, ehemaliger Bündnispartner der CiU und Regierungspartei in Madrid, konkurriert um diesen Platz mit der Republikanischen Linken ERC. Ein Einbruch der sozialdemokratischen PSC, die bislang 28 Abgeordnete stellte, scheint außer Frage. Von deren Verlusten dürfte auch das links-ökologische Bündnis ICV-EUiA, an dem auch die katalanischen kommunistischen Parteien beteiligt sind, profitieren.

Eine weitere Stimmenverlagerung kann es bei den kleineren Parteien geben. Erstmals tritt die Kandidatur der Volkseinheit CUP zur Wahl an, eine basisdemokratische sozialistische Partei, die auf ihrer wichtigsten Veranstaltung in Barcelona den Saal mit 3000 Leuten füllen konnte, während über 400 Personen der Kundgebung draußen auf einer Großleinwand folgen mußten. Die CUP, die bereits in über 50 Rathäusern vertreten ist, vertritt als antikapitalistische Unabhängigkeitspartei ein alternatives Programm, in dessen Mittelpunkt soziale Fragen stehen. Unterstützt wurde die CUP auch von dem bekannten baskischen Politiker Arnaldo Otegi, der aus dem Gefängnis heraus eine Grußbotschaft geschickt hat. Die baskische Bildu und die Andalusische Arbeitergewerkschaft SAT haben der CUP ebenfalls unter großem Beifall ihre Unterstützung erklärt.

** Aus: junge Welt, Samstag, 24. November 2012


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