Friedensstifter auf der Anklagebank?
Führungsmitglieder der baskischen Linken vor dem Nationalen Gerichtshof in Madrid
Von Ralf Streck, San Sebastián *
In Spanien hat am Montag (27. Juni) der Prozess gegen Führungsmitglieder der baskischen Linken begonnen.
Auf der Anklagebank des Nationalen Gerichtshofs in Madrid sitzen neben Arnaldo Otegi, Ex-
Sprecher der seit 2003 in Spanien verbotenen Partei Batasuna (Einheit), auch Rafa Díez, Ex-
Generalsekretär der baskischen Gewerkschaft LAB, sowie fünf weitere Persönlichkeiten aus dem
politischen und gewerkschaftlichen Leben.
Ex-Gewerkschaftschef Rafa Díez wies zum Auftakt des Prozesses alle Vorwürfe zurück. Ihm wird
wie den anderen Angeklagten vorgeworfen, Mitglied der baskischen Untergrundorganisation ETA zu
sein. Die Mehrzahl der Angeklagten wurde im Oktober 2009 im Gewerkschaftssitz in San Sebastián
verhaftet. Im Auftrag der ETA habe Díez mit den Angeklagten »Bateragune« (Vereinigungspunkte)
gebildet, um die kollektive Führung von Batasuna wieder aufzubauen, lautet der Vorwurf der
Staatsanwaltschaft. Sie fordert für die Angeklagten jeweils eine Haftstrafe von zehn Jahren.
Der Vorwurf klingt zunächst plausibel, da im Herbst 2007 etwa zwei Dutzend Batasuna-Führer
verhaftet wurden und damit ein Vakuum an der Spitze entstand. Kurz zuvor waren
Friedensgespräche gescheitert, welche die Partei auf den Weg gebracht hatte. Da Batasuna im
französischen Baskenland bis heute legal arbeitet, bestehen dort Strukturen, auf welche die Partei
stets zurückgreifen kann.
Díez erklärte, die Gruppe habe weder in »Abhängigkeit, Kontrolle oder Unterordnung« der ETA
gehandelt. Sie wollte im Baskenland »ein Szenario für einen definitiven Frieden und demokratische
Lösungen schaffen«. Die Etappe der Koexistenz mit der Gewalt der ETA sollte abgeschlossen
werden. Diese Phase war schon weit vorangeschritten. Die Verhaftungen änderten nichts mehr
daran, dass einen Monat später die »Erklärung von Alsasua« veröffentlicht wurde.
Erstmals in der Geschichte distanzierten sich Batasuna und die linke Unabhängigkeitsbewegung
darin von der Gewalt der ETA. In Anerkennung der Prinzipien, die US-Senator George Mitchell zur
friedlichen Lösung des Nordirland-Konflikts aufgestellt hatte, hieß es darin, ein Dialog solle »in
völliger Abwesenheit von Gewalt« geführt werden, um die »fatalen Konsequenzen des Konflikts« zu
überwinden. Das Dokument war die Basis für die Kooperation mit anderen Linksparteien, die sich
stets von der ETA distanziert hatten.
Erst über die strategische Neubestimmung konnte die Aktionseinheit von Batasuna mit der
sozialdemokratischen Baskischen Solidaritätspartei (EA) und Alternatiba (Abspaltung der Vereinten
Linken) entstehen. Diese Einheit zwang zunächst die ETA zu einer Waffenruhe. Es ist mit fast zwei
Jahren die längste in der 50-jährigen Geschichte der ETA und sie wird erstmals von einer
internationalen Kontaktgruppe überprüft.
Die einstigen Anschuldigungen des Ermittlungsrichters Baltasar Garzón – inzwischen vom Dienst
suspendiert – klingen heute noch merkwürdiger, dass die angeblichen ETA-Mitglieder versucht
hätten, die ETA zu »verdeckten Waffenruhen« zu bewegen.
Im Baskenland glauben nur wenige, dass Batasuna zur ETA gehört, was ohnehin nie bewiesen
wurde. Alle baskischen Parteien fordern deshalb die Einstellung des Verfahrens, um den
Friedensweg nicht zu behindern.
* Aus: Neues Deutschland, 28. Juni 2011
Frieden verboten
Prozeß gegen acht baskische Aktivisten vor spanischem Sondergericht. Arnaldo Otegi soll illegale Partei fortgeführt haben
Von Uschi Grandel **
Am Montag (27. Juni) hat vor dem spanischen Sondergericht Audiencia Nacional in Madrid ein Prozeß gegen Arnaldo Otegi, den früheren Gewerkschaftschef Rafa Diez und sechs weitere führende Mitglieder der baskischen linken Unabhängigkeitsbewegung begonnen. Die Aktivisten waren 2009 führend an der Ausarbeitung der neuen Strategie der »Abertzalen Linken« beteiligt, in deren Mittelpunkt die Mobilisierung der baskischen Bevölkerung und die Ankündigung stehen, zur Durchsetzung der eigenen Ziele nur politische und demokratische Mittel anzuwenden. Die Staatsanwaltschaft fordert hingegen zehn Jahre Haft für die Angeklagten, weil diese unter dem Namen »Bateragune« einen Führungszirkel gebildet, der anstelle der verbotenen Partei Batasuna Anweisungen von ETA ausführe.
Arnaldo Otegi, einer der bekanntesten Politiker der baskischen Linken, beantwortet vor Gericht zur Überraschung der Zuschauer auch die Fragen von Staatsanwalt Vicente González Mota. Über zwei Stunden erläuterte er im Gerichtssaal und vor den Kameras des direkt übertragenden spanischen Fernsehsenders RTVE, wie die abertzale Linke 2009 ihre Strategie entwickelt habe. »Wenn der Einsatz für eine friedliche und demokratische Strategie strafbar ist, dann sind wir schuldig; wenn nicht, sind wir unschuldig«, beantwortete Otegi, der seit seiner Verhaftung im Oktober 2009 »präventiv« im Gefängnis sitzt, die Anfangsfrage des Staatsanwalts nach einem Schuldeingeständnis. Seine politische Aktivität wolle er nicht leugnen, er habe aktiv für den Strategiewechsel der baskischen Linken gearbeitet, unterstrich Otegi. Es sei notwendig gewesen, nach dem gescheiterten Konfliktlösungsversuch aus dem Jahre 2006 das Vertrauen der baskischen Bevölkerung zurückzugewinnen. Eine breite Bewegung, wie sie die baskisch-sozialdemokratische Partei Eusko Alkartasuna (Baskische Solidarität) und die Abertzale Linke gemeinsam anstreben, sei nur bei klarer Zurückweisung von Gewalt möglich. Das unterscheide ihre Haltung von der Position der ETA, die ein breites Bündnis für möglich halte, ohne den bewaffneten Kampf aufzugeben. »Wir sehen das nicht so«, betonte Otegi. Auch Treffen mit Aktiven der linken Jugendbewegung räumte er ein. Diese wird noch stärker als die Parteien vom spanischen Staat kriminalisiert, ihre Organisationen sind verboten und Jugendliche starker Repression durch den spanischen Staat ausgesetzt.
Unter der Losung »Das Baskenland – frei und legal« begleitet eine große Solidaritätsbewegung den Prozeß. Zum Verfahrensauftakt fanden in den vier großen Städten des Baskenlandes Kundgebungen für die Freiheit der Angeklagten statt. Eine weitere Großdemonstration ist für den 2. Juli in Donostia (San Sebastián) geplant. Der Prozeß dauert voraussichtlich bis zum 7. Juli.
** Aus: junge Welt, 29. Juni 2011
Zurück zur Spanien-Seite
Zurück zur Homepage