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Bloß keinen Frieden

Spaniens Justiz bezichtigt baskische Politiker wegen eines Konfliktlösungsvorschlags der Verherrlichung des Terrorismus

Von Ingo Niebel *

Am Freitag endete in Madrid die mündliche Anhörung in einem weiteren Verfahren gegen Arnaldo Otegi, den Sprecher der verbotenen baskischen Linkspartei Batasuna (Einheit). Ihm und den Mitangeklagten, Joseba Álvarez und Joseba Permach, drohen bis zu zwei Jahre Haft wegen angeblicher Verherrlichung des Terrorismus. Dieses Delikt sollen sie 2004 begangen haben, als während einer politischen Veranstaltung im Radstadion von Anoeta Bilder von getöteten Basken gezeigt wurden und im Saal Hochrufe auf die ETA zu hören waren. Des weiteren behauptet die Staatsanwaltschaft, das Event habe auf Befehl der Untergrundorganisation Euskadi Ta Askatasuna (ETA, Baskenland und Freiheit) stattgefunden.

Die Angeklagten wiesen die Vorwürfe zurück und unterstrichen mehrmals in der zweitägigen Anhörung, daß die baskische Linke in Anoeta einen Lösungsvorschlag für den politischen Konflikt präsentierte. Das bestätigten als Zeugen geladene Journalisten, die darüber am Vorabend der Veranstaltung in einer Pressekonferenz informiert wurden. Für Aufsehen sorgte, daß der Vorsitzende des baskischen Landesverbandes der Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE/PSE), Jesús Eguiguren, als Zeuge der Verteidigung auftrat. Mit Otegi zusammen hatte er den Gesprächsprozeß von 2006/2007 vorbereitet. Letzte Woche versetzte er seine in Madrid regierende PSOE und die postfranquistische Opposition in helle Aufregung, als er bekanntgab, daß er mit einer bedingungslosen und unbefristeten Waffenruhe der ETA um Weihnachten herum rechne.

Die Crux des Verfahrens ist, daß die Anklage erstens die drei Politiker nicht direkt mit der Straftat in Verbindung bringen kann. Bezeichnend ist, daß der Vorsitzende Richter, Fernando García Nicolás, das Trio vergeblich daran zu hindern suchte, die politischen Umstände, die zur Anoeta-Veranstaltung führten, zu schildern. Trotzdem gelang es den Angeklagten, deutlich zu machen, daß es sich nicht um eine ETA-Ehrung handelte, sondern um einen Friedensvorschlag. Tatsächlich führte dieser 2006 zur Waffenruhe der ETA, die Otegi und Eguiguren damals vorbereiteten.

Problematisch wird der Prozeß auch durch die Unzulänglichkeiten des spanischen Parteiengesetzes. Auf dessen Grundlage wurde zwar Batasuna verboten, aber deren Fraktion im baskischen Parlament bestand unter anderem Namen fort. Folglich durfte Otegi nicht im Namen von Batasuna auftreten, wohl aber als Vertreter der baskischen Linken.

Mit dem aktuellen Prozeß versucht Madrid, die baskische Linke daran zu hindern, sich wieder legal zu betätigen. Faktisch laufen diese Versuche regelmäßig ins Leere. Die in Anoeta angestoßene Friedenslösung trägt trotz der gescheiterten Gespräche von 2006/2007 und der Inhaftierung der alten Batasuna-Führung Früchte. Der von ihr als Vermittler akzeptierte Süd­afrikaner Brian Currin hält sich zur Zeit im Baskenland auf, um die zukünftige Arbeit seiner Ad-hoc-Gruppe zu erklären. Vorab sagte er, diese werde ihre Arbeit aufnehmen, sobald die ETA »einen dauerhaften, einseitigen und verifizierbaren Waffenstillstand« erkläre. Das fordert mittlerweile auch die baskische Linke, die 2011 wieder an den Wahlen teilnehmen will. Ob Otegi, Permach und Álvarez mit dabei sein werden, hängt vom Richter ab, der sein Urteil noch nicht gefällt hat.

* Aus: junge Welt, 13. November 2010


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