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Spaniens Stacheldrahtgrenze unter Kritik

Rund 1000 Afrikaner versuchten vergeblich, die Exklave Melilla zu erreichen

Von Ralf Streck *

Der Versuch von 1000 Flüchtlingen, die Grenze zur spanischen Exklave Melilla an der marokkanischen Küste zu überwinden, wurde gewaltsam abgewehrt

Es sind erstaunliche Bilder, die mit einer Nachtsichtkamera aus einem Hubschrauber in Marokko aufgenommen wurden. In einer langen Schlange bewegten sich am frühen Mittwoch etwa 1000 Flüchtlinge auf einem schmalen Pfad in Richtung Melilla. Das ist eine der beiden spanischen Exklaven in Afrika, die von Marokko umschlossen sind. Gut organisiert waren sie, die in ihrer Mehrzahl aus Ländern südlich der Sahara stammen sollen, über den Hügel Gurugú nahe der massiv geschützten Grenze zogen. An einem Ort, der Farkana genannt wird, wollten sie die drei Grenzzäune überwinden. Dort, wo das reiche Europa direkt an das arme Afrika grenzt, sind diese Zäune mehr als sechs Meter hoch.

Die spanische Guardia Civil, deren Hubschrauber mit Nachtsichtgeräten und Infrarotkameras ausgerüstet sind, hatten die Flüchtlinge gesichtet und die marokkanische Gendarmerie alarmiert. Die hätte die Flüchtlinge vor der Grenze »zerstreut«, heißt es in einer Erklärung der Präfektur von Melilla. Die Afrikaner hätten noch versucht, einen Grenzposten zu erreichen, doch »nicht einmal einen Angriff« unternommen. Um drei Uhr hätten sie ihr Ansinnen erfolglos aufgegeben.

Was so beschönigend »Zerstreuung« genannt wird, ist nach Aussagen von Flüchtlingen und Menschenrechtsorganisationen meist mit brutaler Gewalt verbunden. Der Kameruner Solo Solimon, dem es erst kürzlich gelang, die Zäune nach Melilla zu überwinden, sagte der spanischen Tageszeitung »El País«: »Wenn dich die Marokkaner erwischen, wirst du verprügelt und sie brechen dir die Beine.« Nicht selten wird sogar mit scharfer Munition auf die Flüchtlinge geschossen.

Für den Delegierten der spanischen Zentralregierung in Melilla ist der »Ansturm« ein neuer Beweis für steigenden »Migrationsdruck« auf die Exklave. Abdelmalik El Barkani unterstrich die »Notwendigkeit, die Maßnahmen gegen Eindringlinge zu verstärken«. Er rechtfertigte das Vorgehen der konservativen Regierung, die Grenzzäune wieder mit messerscharfem Klingendraht aufzurüsten. Auf drei der gut elf Kilometer langen Grenze wurde er wieder installiert. El Barkani sprach von »Brennpunkten« und forderte Unterstützung der Europäischen Union. »Das ist ein Problem, das nicht nur Spanien und Marokko etwas angeht, sondern die gesamte EU.«

Erst 2007 war der »NATO-Draht« aus »humanitären Gründen« an den Grenzen zu Melilla und Ceuta – der zweiten Exklave – abgebaut worden. Bei Versuchen, die Zäune mit Leitern zu überwinden, hatten sich Flüchtlinge zum Teil tödliche Schnittverletzungen zugezogen. Wegen harscher Kritik hatte die damalige sozialistische Regierung Spaniens den gefährlichen Draht entsorgt. Dafür wurden die Zäune auf sechs Meter erhöht und ein dritter Zaun sowie eine elektronische Überwachung installiert.

Organisationen wie Amnesty International griffen kürzlich den »Rückschritt« an und erhielten Unterstützung von allen Oppositionsparteien Spaniens. Die forderten am Mittwoch im Parlament in einer gemeinsamen Erklärung die Beseitigung des Klingendrahts, der »unnütz, schrecklich und beschämend« sei. Die sozialistische Sprecherin Soledad Pérez Domínguez erinnerte daran, dass am Vortag auch der Generalstaatsanwalt eine Untersuchung angeordnet hatte. Eduardo Torres-Dulce ist der Auffassung, dass der Klingendraht mit spanischen Gesetzen unvereinbar ist.

Statt abzuschrecken, verleite der Draht die Flüchtlinge nur dazu, die Grenze übereilt überwinden zu wollen, meinen Hilfsorganisationen. Esteban Beltrán, Direktor der spanischen Sektion von Amnesty International, kritisiert, dass die EU eine »Sicherheitspolitik« in den Vordergrund stelle, während der »Schutz der Menschenrechte« in den Hintergrund trete. »Das ist auf Lampedusa und an der Grenze zu Marokko gleich.«

Im Namen des Europarats kritisierte dessen Menschenrechtskommissar Nils Raymond Muižnieks die »teure Maßnahme«, die sich gegen die Menschenrechte richte. Angesichts der massiven Kritik kündigte Ministerpräsident Mariano Rajoy am Donnerstag an, die Maßnahme zu überprüfen.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 22. November 2013


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