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Spanien wird mit ETA verhandeln müssen

Erster internationaler Beobachter besuchte baskischen Politiker Arnaldo Otegi in spanischem Gefängnis *


Der Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko (Linkspartei) konnte vor wenigen Tagen als erster internationaler Beobachter den zu sechs Jahren Haft verurteilten Basken Arnaldo Otegi im spanischen Gefängnis besuchen. [Siehe: Die Blockade beenden] Seit mehr als vier Jahren sitzt der ehemalige Sprecher der baskischen Partei Batasuna (Einheit) in der Haftanstalt von Logroño, weil er für die Untergrundorganisation ETA die 2003 verbotene Partei wieder aufgebaut haben soll. Mit Andrej Hunko sprach für »nd« Ralf Streck.


Warum haben Sie Otegi besucht, der als Mitglied der Untergrundorganisation ETA verurteilt wurde und in Spanien als Terrorist gilt?

Otegi steht in der baskischen Linken für die Friedensprozesse. Er hat die ETA zunächst zur Waffenruhe gebracht und dann dafür gesorgt, dass sie vor zwei Jahren endgültig den bewaffneten Kampf eingestellt hat. Das haben auch internationale Vermittler und Friedensnobelpreisträger anerkannt. Erfahrungen mit der Lösung bewaffneter Konflikte zeigen, dass man sie allein in Kategorien des Terrorismus nicht fassen kann.

Aus dem angeblichen ETA-Führer Otegi wurde schon am Obersten Gerichtshof ein einfaches Mitglied. Doch selbst davon ist das Verfassungsgericht nicht überzeugt. Otegis Einspruch wurde angenommen. Warum sitzt er noch?

Die bisherigen Urteile sind fragwürdig. Unstrittig ist, dass er das Ende des bewaffneten Kampfs erfolgreich durchgesetzt hat und dafür musste er mit der ETA kommunizieren. Durch die Ausweitung der Anti-Terror-Gesetze ist man schnell in der Situation, damit als Terrorist zu gelten, weil es nicht mehr um konkrete Taten geht. Otegi meint, er sei verurteilt worden, weil der spanische Staat an einem Ende der Gewalt kein Interesse hat. Er glaubt, das Verfassungsgericht werde ihn freisprechen, um nicht erneut vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg korrigiert zu werden.

Otegi wurde im Frühjahr zum Generalsekretär der neuen Partei Sortu (Aufbauen) gewählt, deren Verbot durch die konservative Regierung wurde vom Verfassungsgericht gekippt. War das als ein Signal zu verstehen?

Auch hier wurde befürchtet, dass sonst Straßburg erneut einschreiten würde. Es ist nur wünschenswert, dass es einen friedlich-demokratischen Weg gibt, der nicht durch Verbote behindert wird. Das ist der Hintergrund der Sortu-Gründung.

Worüber haben Sie gesprochen?

Zunächst möchte ich sagen, dass ich schon viele Gefängnisse besucht habe. Ich habe weder in der Türkei noch in Kasachstan erlebt, dass ich dem Gefangenen nicht die Hand geben, ihn nur hinter einer dicken Trennscheibe sehen und mit ihm nur per Telefon sprechen kann. Zu Otegi durfte ich weder Papier noch Stift mitnehmen. Wir haben über seine Lage und den Friedensprozess gesprochen. Er wollte wissen, wie die Koalitionsverhandlungen in Deutschland laufen, wie sich die LINKE dazu stellt, zur Eurokrise etc. Er ist sehr informiert und belesen.

Wie schätzt er den Friedensprozess ein? Spanien und Frankreich weigern sich weiter, mit der ETA auch nur über eine Entwaffnung zu verhandeln.

Otegi kritisiert das. Er macht klar, dass dieser Weg unumkehrbar ist und Spanien letztlich einschwenken muss. Dafür ist internationaler Druck notwendig und es dienen auch solche Besuche dazu, das Thema in diversen Gremien anzusprechen.

Welche Bedeutung misst Otegi dem Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs bei, der kürzlich die nachträgliche Verlängerung von Haftstrafen in Spanien für widerrechtlich erklärt hat?

Das ist ein wichtiges Urteil. Er schätzt, dass bis Weihnachten etwa 100 Gefangene freikommen. Viele in Sortu und in unserer Schwesterpartei Vereinte Linke (IU), mit denen ich gesprochen habe, sehen das als wichtigen Schritt, um im Friedensprozess voranzukommen.

In welcher Stimmung befindet sich Otegi?

Er ist total lebendig und dynamisch, er ist wach und optimistisch kämpferisch. Das hat mich beeindruckt. Er ist zuversichtlich, dass der Prozess vorankommt. Wir waren uns im Gespräch einig, dass es eine Wahrheitskommission nach dem Vorbild Südafrikas mit internationaler Begleitung geben muss, um die Geschichte aufzuarbeiten, den Opfern der ETA, der Sicherheitskräfte und faschistischer Kräfte zu gedenken. Es gibt aber Opferverbände, die sich massiv gegen jeden Friedensprozess stellen.

Gibt es neuerdings Bewegung in der spanischen Regierung? Ist die Tatsache, dass nun erstmals ein internationaler Beobachter Otegi besuchen konnte, ein Zeichen?

Regierungsvertreter haben mir gegenüber durchblicken lassen, dass man sich schon auf den Prozess einlassen könnte, aber von ganz rechts unter Druck stehe. Wichtig wäre, dass die Gefangenen in der Nähe der Heimat inhaftiert und schwerkranke Gefangene freigelassen werden. Die Gesetze müssen auch für politische Gefangene gelten. Wichtig ist, dass die politische Debatte ohne Anschläge und Repression geführt sowie anstehende Entscheidungen demokratisch getroffen werden können.

* Aus: neues deutschland, Montag, 25. November 2013

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