Krieg der Ideen
Geschichte. Der Spanische Bürgerkrieg und die internationale Linke
Von Eric Hobsbawm *
Der Film »Casablanca« (1942) ist, zumindest bei älteren Generationen, zu
einer dauerhaften Ikone einer bestimmten Bildungskultur geworden. Ich
hoffe, seine Besetzung ist immer noch bekannt: Humphrey Bogart, Ingrid
Bergman, Peter Lorre, Sydney Greenstreet, Marcel Dalio, Conrad Veidt und
Claude Rains. Seine Sätze wie das endlos falsch zitierte »Spiel es noch
einmal, Sam« oder »Verhafte die üblichen Verdächtigen« sind Teil unseres
Diskurses geworden. Wenn wir einmal die zentrale Liebesgeschichte
beiseite lassen, so ist »Casablanca« ein Film über den Spanischen
Bürgerkrieg und über die weitere Politik dieser seltsamen, aber
entscheidenden Periode in der Geschichte des 20. Jahrhunderts, der Ära
Adolf Hitlers. Rick, der Held, hat für die Republikaner im Spanischen
Bürgerkrieg gekämpft. Unterlegen und zynisch geworden, taucht er in
seinem Café in Marokko wieder auf. Der Film endet damit, daß Rick zu den
Kämpfen des Zweiten Weltkriegs zurückkehrt. Kurz, »Casablanca« handelt
von der antifaschistischen Mobilisierung in den 1930er Jahren. Und
diejenigen, die früher als die meisten anderen gegen den Faschismus
mobil machten, waren westliche Intellektuelle.
Heute es ist möglich, den Bürgerkrieg, Spaniens Beitrag zur tragischen
Geschichte des brutalen 20. Jahrhunderts, in seinem historischen
Zusammenhang zu betrachten. Er war nicht, wie der neoliberale François
Furet meint, ein Krieg gegen beide, die Ultrarechte und die Komintern -
eine Ansicht, die, aus einem trotzkistisch-sektiererischen Blickwinkel,
von Ken Loachs überwältigendem Film »Land und Freiheit« (1995) geteilt
wird. Man konnte sich nur zwischen der einen oder der anderen Seite
entscheiden, und die liberal-demokratische Meinung wählte in
überwältigender Mehrheit den Antifaschismus. Befragt Anfang 1939,
welcher Seite sie in einem Krieg zwischen Rußland und Deutschland den
Sieg wünschten, befürworteten 83 Prozent der Amerikaner einen russischen
Sieg. In Spanien tobte ein Krieg gegen Franco - das heißt, gegen die
Streitkräfte des Faschismus, mit denen er liiert war - und 87 Prozent
der amerikanischen Bevölkerung bevorzugten die Republik. Leider hat,
anders als im Zweiten Weltkrieg, die falsche Seite gewonnen. Aber es ist
größtenteils den Intellektuellen, Künstlern und Schriftstellern, die so
überwältigend zugunsten der Republik mobilisierten, zu verdanken, daß in
diesem Fall die Geschichte nicht von den Siegern geschrieben wurde.
Ein europäischer Krieg
Der Spanische Bürgerkrieg spielte sich sowohl im Zentrum als auch am
Rande der antifaschistischen Ära ab. Er war zentral, da er sogleich als
ein europäischer Krieg zwischen Faschismus und Antifaschismus angesehen
wurde, fast als die erste Schlacht des kommenden Krieges, von denen er
einige Aspekte des Luftkrieges gegen die Zivilbevölkerung vorwegnahm.
Aber Spanien nahm am Zweiten Weltkrieg nicht teil. Francos Sieg sollte
keinen Einfluß auf den Zusammenbruch Frankreichs im Jahre 1940 haben,
und die Erfahrung der bewaffneten republikanischen Kräfte wirkte sich
nicht auf die anschließenden Widerstandsbewegungen während des Krieges
aus. Dies, obwohl sich diese Bewegungen in Frankreich zum großen Teil
aus flüchtigen spanischen Republikanern zusammensetzten und ehemalige
Interbrigadisten eine größere Rolle in Widerstandsbewegungen anderer
Länder spielten.
Um den Spanischen Bürgerkrieg innerhalb des allgemeinen Rahmens der
antifaschistischen Ära einzuordnen, müssen wir uns sowohl das Versagen,
dem Faschismus zu widerstehen, und den unverhältnismäßig großen Erfolg
der antifaschistischen Mobilisierung unter Europas Intellektuellen in
Erinnerung rufen. Ich beziehe mich dabei nicht nur auf den Erfolg des
faschistischen Expansionismus und das Scheitern jener Kräfte, die den
Frieden bevorzugten, um das offensichtlich unvermeidliche Heranrücken
eines weiteren Weltkriegs aufzuhalten. Ich erinnere mich auch an das
Scheitern der Kriegsgegner, die öffentliche Meinung zu ändern. Die
beiden einzigen Regionen, die eine echte Wende zur Linken nach der
Großen Depression erlebten, waren Skandinavien und Nordamerika. Große
Teile Mittel- und Südeuropas unterstanden bereits autoritären
Regierungen oder sollten ihnen in die Hände fallen. Aber soviel wir aus
den verstreuten Wahldaten herauslesen können, so ging die Tendenz in
Ungarn und Rumänien, nicht zu vergessen die deutsche Diaspora, scharf
nach rechts. Andererseits bewirkte der Sieg der Volksfront in Frankreich
nur eine Verschiebung innerhalb der Linken, nicht einen Linksschwenk der
öffentlichen Meinung. In den Wahlen des Jahres 1936 erhielten die
vereinigten Radikalen, Sozialisten und Kommunisten gerade einmal ein
Prozent mehr Wählerstimmen als vier Jahre zuvor.
Um eine neue Welt
Und doch, wenn ich die Gefühle jener Generation aus meinem persönlichen
Gedächtnis, meiner Generation der Linken, zu rekonstruieren versuche --
ob wir nun Intellektuelle waren oder nicht --, so verstanden wir uns
nicht als Minderheit auf dem Rückzug. Wir glaubten nicht daran, daß der
Faschismus unvermeidlich voranschreiten würde. Wir waren sicher, daß
eine neue Welt kommen würde. Gemessen an der Logik der
antifaschistischen Einheit konnte nur das Versagen von Regierungen und
fortschrittlichen Parteien, sich gegen den Faschismus zu vereinen,
verantwortlich für die Serie unserer Niederlagen sein.
Dies hilft auch zu erklären, warum es unter jenen, die sich bereits
links verorteten, eine unverhältnismäßig große Hinwendung zu den
Kommunisten gab. Dies hilft auch, unser Vertrauen als junge
Intellektuelle zu erklären, denn diese soziale Gruppe war sehr leicht
und unverhältnismäßig stark gegen den Faschismus zu mobilisieren. Der
Grund hierfür ist offensichtlich: Der Faschismus, auch seine
italienische Variante, stand den Werten und Zielen, die Intellektuelle
bewegen, nämlich den Ideen der Aufklärung und der amerikanischen und
französischen Revolution, prinzipiell entgegen. Außerhalb Deutschlands,
wo es mächtige Denktraditionen gab, die dem Liberalismus kritisch
gegenüberstanden, existierte keine bedeutsame Gruppierung säkularer
Intellektueller, die dieser Tradition der Aufklärung nicht angehörten.
Die römisch-katholische Kirche besaß nur sehr wenige Intellektuelle, die
jenseits ihrer Reihen bekannt und respektiert wurden. Ich leugne jedoch
nicht, daß auf einigen Gebieten, insbesondere in der Literatur, einige
der hervorragendsten Figuren klar auf der rechten Seite standen:
T.S.Eliot, Knut Hamsun, Ezra Pound, William Butler Yeats, Paul Claudel,
Céline, Evelyn Waugh. Aber sogar in den Armeen der Literatur bildeten
die politisch bewußten Rechten ein eher bescheidenes Regiment, sieht man
vielleicht von Frankreich ab. Dies wurde 1936 erneut sichtbar:
US-amerikanische Schriftsteller, ob sie nun die amerikanische
Neutralität akzeptierten oder nicht, standen in ihrer überwältigenden
Mehrheit im Gegensatz zu Franco, Hollywood sogar noch mehr. Von den
britischen Schriftstellern, die gefragt wurden, sprachen sich fünf
(Waugh, Eleanor Smith und Edmund Blunden unter ihnen) für die
Nationalisten aus, 16 waren neutral (einschließlich Eliot, Charles
Morgan, Pound, Alec Waugh, Sean O'Faolain, H. G. Wells und Vita
Sackville-West), während 106 sich für die Republik stark machten, viele
von ihnen leidenschaftlich. Was Spanien betrifft, so gibt es keinen
Zweifel, wo die Dichter der spanischen Sprache, an die man sich heute
noch erinnert, standen: García Lorca, die Brüder Machado, Alberti,
Miguel Hernández, Neruda, Vallejo, Guillén.
Dieser Hang betätigte sich bereits gegen den italienischen Faschismus,
obwohl ihm zumindest zwei Merkmale fehlten, um sich unter
Intellektuellen unbeliebt zu machen: der Rassismus (bis 1938) und der
Haß auf den Modernismus in den Künsten. Der italienische Faschismus
verlor die Unterstützung derjenigen Intellektuellen, die sich nicht
bereits 1922 zur Linken bekannt hatten, erst im Zuge des Spanischen
Bürgerkriegs. Es scheint so, daß die meisten italienischen
Schriftsteller - anders als ihre deutschen Kollegen - während des
Faschismus nicht emigrierten. Daher bildet 1936 einen Wendepunkt in der
kulturellen und politischen Geschichte Italiens. Dies erklärt
vielleicht, warum der Spanische Bürgerkrieg in der italienischen
Literatur so wenige Spuren hinterlassen hat, außer im nachhinein
(Vittorini). Jene, die damals darüber schrieben, waren emigrierte
Aktivisten: die Rossellis, Pacciardi, Nenni, Longo, Togliatti. Auf der
anderen Seite reagierte der intellektuelle Antifaschismus gegen
Deutschland von dem Moment an, als Hitler die Macht ergriff und die von
der Naziideologie mißbilligten Bücher rituell verbrannt wurden, was eine
Welle von ideologisch und rassisch bedingten Auswanderungen auslöste.
Bewaffneter Widerstand
Die Reaktionen sowohl von Intellektuellen wie auch der mobilisierten
Linken auf den Spanischen Bürgerkrieg waren spontan und massiv. Hier
wurde endlich dem Vorrücken des Faschismus mit Waffen Widerstand
geleistet! Der Appell zum bewaffneten Widerstand, die Fähigkeit zu
kämpfen und nicht nur zu reden, war sicherlich entscheidend. W.H.Auden,
der wegen des propagandistischen Wertes seines Namens gebeten worden
war, nach Spanien zu gehen, schrieb an einen Freund: »Ich werde
wahrscheinlich ein verdammt schlechter Soldat sein. Aber wie kann ich zu
ihnen und für sie sprechen, ohne ein Soldat zu werden?« Ich denke, man
kann getrost sagen, daß die meisten politisch bewußten Studenten meines
Alters damals das Gefühl hatten, sie müßten in Spanien kämpfen, und daß
sie ein schlechtes Gewissen hatten, wenn sie es nicht taten. Die
außergewöhnliche Welle von Freiwilligen, die nach Spanien gingen, um für
die Republik zu kämpfen, ist, glaube ich, einzigartig im 20.
Jahrhundert. Die verläßlichste Zahl für die Stärke der ausländischen
Freiwilligen, die für die Republik kämpften, liegt bei 35000.
Sie waren ein sehr gemischter Haufen, sozial, kulturell und
hinsichtlich ihres persönlichen Hintergrundes. Und doch, wie einer von
ihnen, der englische Dichter Laurie Lee, es ausdrückte: »Ich glaube, wir
hatten etwas anderes gemeinsam, einzigartig für uns zu jener Zeit - die
Chance, eine große und unkomplizierte Geste von persönlichem Opfer und
Glauben, welche niemals wieder vorkommen könnte ... wenige von uns wußten,
daß wir mit veralteten Flinten und blockierten Maschinengewehren in den
Krieg zogen, geführt von tapferen, aber verwirrten Amateuren. Aber in
dem Augenblick gab es keine Halbwahrheiten und kein Zögern, wir hatten
eine neue Freiheit gefunden, fast eine neue Moral, und entdeckten einen
neuen teuflischen Faschismus.«
Ich behaupte nicht, daß die Interbrigaden sich aus Intellektuellen
zusammensetzten, obwohl der Entschluß, sich freiwillig zum Krieg in
Spanien zu melden, anders als bei der Meldung zur französischen
Fremdenlegion, ein Maß an politischem Bewußtsein und gewiß ein Wissen
über die Welt erforderte, das die meisten unpolitischen Arbeiter nicht
besaßen. Für die meisten von ihnen, abgesehen von jenen, die aus dem
benachbarten Frankreich kamen, war Spanien »terra incognita«, ein
unbekanntes Land, am ehesten noch eine Karte im Schulatlas. Wir wissen,
daß die größte Einzelgruppe der Interbrigadisten, fast 9000 Franzosen,
überwiegend aus der Arbeiterklasse kamen -- 92 Prozent -- und nicht mehr
als ein Prozent Studenten und Angehörige freier Berufe, fast alle von
ihnen Kommunisten, waren. Angesichts ihrer technischen Fähigkeiten
wurden die meisten von ihnen tatsächlich hinter den Frontlinien
eingesetzt. Jedoch kann kein Zweifel am Engagement, am praktischen
Engagement der Intellektuellen bestehen, innerhalb und außerhalb der
Brigaden. Schriftsteller unterstützten Spanien nicht nur mit Geld, Reden
und Unterschriften, sondern sie schrieben darüber, wie Hemingway,
Malraux, Bernanos und wahrlich alle bekannten zeitgenössischen jungen
britischen Dichter -- Auden, Spender, Day Lewis und MacNeice. Spanien war
zwischen 1936 und 1939 die zentrale Erfahrung ihres Lebens, auch wenn
sie es später aus den Augen verloren.
Zumindest für meine Studienzeit zwischen 1936 und 1939 in Cambridge
trifft dies zu. Nicht nur war es der Spanische Krieg, der junge Männer
und Frauen zur Linken bekehrte, wir waren auch inspiriert durch das
besondere Beispiel all derer, die nach Spanien gingen, um zu kämpfen.
Jeder, der die Zimmer von sozialistischen und kommunistischen Studenten
in jenen Tagen in Cambridge betrat, konnte sicher sein, dort ein Foto
von John Cornford vorzufinden, einem Intellektuellen, Dichter und
Anführer der studentischen Gruppe in der Kommunistischen Partei, der an
seinem 21. Geburtstag, im Dezember 1936, in der Schlacht um Spanien
gefallen war. Wie das heute bekannte Foto von Che Guevara, so war auch
dieses ein eindrückliches, ikonenhaftes Bild -- aber es war uns näher
und, wie es da auf unseren Kaminsimsen stand, eine tägliche Erinnerung
daran, wofür wir kämpften. Wahr ist, daß nicht viele Studenten aus
Cambridge oder anderswo zum Kampf nach Spanien zogen, nachdem die
Kommunistische Partei Großbritanniens entschieden hatte, Studenten nicht
zu ermutigen, sich freiwillig für die Interbrigaden zu melden, es sei
denn, sie hatten besondere militärische Qualifikationen. Viele von
denen, die kämpften, hatten sich bereits den republikanischen Kräften
angeschlossen, bevor die Partei diese Politik festlegte.
Nichtsdestotrotz schloß sich den britischen Interbrigadisten eine
bedeutende Zahl begabter Intellektueller an, von denen einige umkamen.
So weit mir bekannt ist, hat keiner der Überlebenden seine Entscheidung
zu kämpfen nachträglich bedauert.
Schweigende Zweifler
Unter den Verlierern sind die polemischen, oft übellaunigen Äußerungen
über den Bürgerkrieg nach 1939 nie ganz verstummt. Während des Krieges
waren solche Äußerungen hingegen nicht zu hören, obwohl Vorfälle wie die
Verbannung der POUM1 und der Mord an ihrem Führer Andrés Nin einige
internationale Proteste verursachten. Sicherlich waren viele
ausländische Freiwillige bei ihrer Ankunft in Spanien schockiert von
dem, was sie dort mit ansehen mußten: von dem Leid, der Grausamkeit, der
Unbarmherzigkeit des Krieges, der Brutalität und Bürokratie auf der
eigenen Seite, aber auch, sofern sie etwas davon mitbekamen, von den
Intrigen und politischen Fehden innerhalb der Republik, vom Verhalten
Rußlands und von vielem mehr. Die Streitigkeiten zwischen den
Kommunisten und ihren Gegnern haben nie aufgehört. Und doch ist es so,
daß die Zweifler schwiegen, nachdem sie Spanien verlassen hatten. Sie
wollten den Feinden ihres großen Anliegens keine Hilfe leisten. Nach
ihrer Rückkehr hat Simone Weil trotz ihrer offensichtlichen Enttäuschung
nicht ein Wort gesagt. Auden schrieb nichts, obwohl er sein großes
Gedicht »Spanien« aus dem Jahre 1937 im Jahre 1939 abänderte und sich
1950 weigerte, es nachdrucken zu lassen. Angesichts des stalinistischen
Terrors widerrief Louis Fischer, ein Moskau sehr nahestehender
Journalist, seine vergangenen Loyalitäten nicht, solange es der
Spanischen Republik hätte schaden können. Die Ausnahme bestätigt die
Regel: George Orwells »Homage to Catalonia«: Das Manuskript wurde von
Orwells regulärem Verleger, Victor Gollancz, abgelehnt, »weil er
glaubte, wie viele Leute auf der Linken, daß alles geopfert werden
müsse, um eine gemeinsame Front gegen den Aufstieg des Faschismus zu
halten«. Den gleichen Grund gab Kingsley Martin, Herausgeber der
einflußreichen Wochenzeitung New Statesman & Nation, an, als er eine
kritische Besprechung des Buches annahm. Beide repräsentieren die
Überzeugungen, die auf der Linken vorherrschten. Orwell selbst räumte
nach seiner Rückkehr aus Spanien ein, daß »eine Vielzahl von Menschen
mit unterschiedlichem Grad von Offenheit mir gesagt hat, daß man nicht
die Wahrheit sagen darf über das, was in Spanien passiert und die Rolle,
die dabei von der Kommunistischen Partei gespielt wurde, denn dies würde
die öffentliche Meinung gegen die spanische Regierung aufbringen und
somit Franco helfen.« Die Tatsache, wie Orwell selbst in einem Brief an
einen sympathisierenden Rezensenten schrieb: »daß man die Faschisten
nicht aus den Streitigkeiten unter uns Nutzen ziehen lassen darf, ist
sehr wahr.« Mehr als dies: Die Öffentlichkeit zeigte kein Interesse an
Orwells Buch. Es wurde 1938 mit einer Auflage von 1500 Exemplaren
veröffentlicht, verkaufte sich aber so schlecht, daß der Vorrat noch
nicht ganz erschöpft war, als es 13 Jahre später zum ersten Mal
nachgedruckt wurde. Erst in der Ära des Kalten Krieges hörte Orwell auf,
eine peinliche Randfigur zu sein.
Marx versus Bakunin
Natürlich sind die nachträglichen Polemiken über den Spanischen Krieg
gerechtfertigt und auch wirklich wichtig -- aber nur, wenn wir die
Debatte über wirkliche Streitfragen vom Standpunkt des politischen
Sektierertums, Kalter-Krieg-Propaganda und reiner Ignoranz über die
vergessene Vergangenheit davon abtrennen. Die Hauptfrage, die es beim
Spanischen Bürgerkrieg zu klären gilt, war und bleibt, wie sich soziale
Revolution und Krieg auf der republikanischen Seite aufeinander
beziehen. Der Spanische Bürgerkrieg war, oder begann, als beides: Er war
ein Krieg, der aus dem Widerstand einer legitimen Regierung geboren
wurde, mit Hilfe einer volkstümlichen Mobilisierung, gegen einen
teilweise militärisch erfolgreichen Staatsstreich; und er war zugleich
in wichtigen Gebieten Spaniens das Resultat einer spontanen
Transformation der Mobilisierung in eine soziale Revolution. Ein von
einer Regierung ernsthaft geführter Krieg bedarf der Struktur, der
Disziplin und eines gewissen Maßes an Zentralisation. Was soziale
Revolutionen wie die von 1936 ausmacht, ist die örtliche Initiative, die
Spontaneität, die Unabhängigkeit von oder sogar der Widerstand gegen
höhere Autoritäten -- was insbesondere in Spanien aufgrund der dortigen
einzigartigen Stärke des Anarchismus von Relevanz war.
Kurz, was in diesen Debatten strittig war und bleibt, ist der
Unterschied zwischen Marx und Bakunin. Polemiken über die POUM sind zu
vernachlässigen und angesichts ihrer kleinen Größe und Randrolle im
Bürgerkrieg auch kaum von Bedeutung. Sie gehören zur Geschichte der
ideologischen Auseinandersetzungen innerhalb der internationalen
kommunistischen Bewegung oder, wenn man dies vorzieht, zur Geschichte
von Stalins rücksichtslosem Krieg gegen den Trotzkismus, mit der seine
Agenten die POUM (fälschlicherweise) identifizierten. Der Konflikt
zwischen freiheitlichem Enthusiasmus und disziplinierter Organisation,
zwischen sozialer Revolution und den Bedingungen dafür, einen Krieg zu
gewinnen, bleibt im Spanischen Bürgerkrieg auch dann real, wenn wir
annehmen, daß die UdSSR und die Kommunistische Partei wollten, daß der
Krieg in sozialer Revolution ende und daß die Teile der Wirtschaft, die
von den Anarchisten sozialisiert (d.h. an die lokalen
Arbeiter-Kontrollen übergeben) worden waren, einigermaßen
funktionierten. Kriege, wie flexibel die Befehlsketten auch sein mögen,
und Kriegswirtschaften können nicht libertär organisiert werden. Der
Spanische Bürgerkrieg hätte nach der Linie Orwells nicht geführt,
geschweige denn gewonnen werden können.
Über Spanien hinaus
In einem allgemeineren Sinn ist der Konflikt zwischen Revolution, die
auf Freiheit zielt, und Krieg jedoch keine rein spanische Angelegenheit.
Er hat sich nach dem Sieg von Revolutionen in Befreiungskriegen voll
entfaltet: in Algerien, wahrscheinlich in Vietnam, mit Sicherheit in
Jugoslawien. Da die Linke im Spanischen Bürgerkrieg unterlegen war, ist
diese Debatte in diesem Fall postum und zunehmend weitab der Realitäten
seiner Zeit zu führen, wie im Film von Ken Loach, so inspirierend und
bewegend er auch sein mag. Die moralische Empörung gegen den Stalinismus
und das Verhalten seiner Agenten ist gerechtfertigt. Es ist richtig, die
kommunistische Überzeugung zu kritisieren, wonach die einzige
Revolution, die zählte, diejenige war, die zu einem Machtmonopol der
Partei führen müsse. Und doch sind diese Überlegungen für das Problem
des Bürgerkriegs nicht entscheidend. Marx hätte Bakunin widersprechen
müssen, auch wenn alle auf der republikanischen Seite Engel gewesen
wären. Aber es muß gesagt werden, daß für die meisten, die für die
Republik als Soldaten kämpften, Marx relevanter war als Bakunin -- auch
wenn einige Überlebende sich vielleicht der spontanen, aber unwirksamen
Euphorie der anarchistischen Phase der Befreiung mit Zärtlichkeit und
zugleich mit Verzweiflung erinnern.
Nach seinem kurzen Moment im Zentrum der Weltgeschichte kehrte Spanien
zu seiner ursprünglichen Randposition zurück. Außerhalb Spaniens hat der
Bürgerkrieg weitergelebt und er lebt auch heute noch weiter in der immer
kleiner werdenden Zahl seiner nicht-spanischen Zeitgenossen. Für
diejenigen, die damals jung waren, blieb er wie eine herzzerreißende und
unzerstörbare Erinnerung an eine erste große und verlorene Liebe. Anders
ist es in Spanien selbst, wo alle die tragische, mörderische und
komplexe Bedeutung des Bürgerkriegs persönlich erlebten, ihre Erinnerung
jedoch durch die Mythologie und Manipulation des siegreichen Regimes
verdunkelt wurde. Dennoch: Durch die Erschaffung des Weltgedächtnisses
über den Spanischen Bürgerkrieg behielten die Feder, der Pinsel2 und die
Kamera im Interesse der Besiegten die Oberhand und haben sich als
mächtiger erwiesen als das Schwert und die Macht jener, die gewonnen haben.
Anmerkungen-
Partido Obrero de Unificación Marxista, Arbeiterpartei der Marxistischen
Einheit, Anm. d. Übers.
-
zu denken ist hier vor allem an Pablo Picasso, Anm. d. Übers.
* Von Eric Hobsbawm autorisierte Übersetzung aus dem Englischen von
Friedrich-Martin Balzer (zuerst erschienen in The Guardian, 17. Februar
2007. Vgl auch »Intellectuals and the Spanish Civil War«, in:
Revolutionaries, 2007)
Aus: junge Welt, 27. April 2009
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