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Weit über 100.000 demonstrieren für baskische Gefangene

Von Ralf Streck *

Es war die bisher eindrücklichste Demonstration. Weit über 100.000 gingen am späten Samstag im baskischen Bilbao friedlich auf die Straße, um von Spanien und Frankreich Schritte in einem Friedensprozess zu fordern. "Menschenrechte, Lösung, Frieden. Baskische Gefangene ins Baskenland", lautete das Motto unter dem die baskische Metropole überflutet wurde. Eine Demonstration fand nicht statt, denn von der "Straße der Autonomie", wo sich der Zug aufstellte, bis zum Bürgermeisteramt, wo die Abschlusskundgebung stattfand, war die Route ab 17 Uhr 30 trotz des strömenden Regens überfüllt.

Die Erwartungen der Organisatoren wurden noch übertroffen. Es beteiligten sich noch mehr Menschen als vor einem Jahr. Aufgerufen hatte "Herrira" (Nach Hause). In der Organisation sind Angehörigen von Gefangenen und Exilierten vereinigt. Etwa 700 Angehörige bahnten sich stellvertretend für jeden Gefangenen einen Weg durch die Massen, um am Rathaus für einen politischen "Schwenk" von Spanien und Frankreich zu fordern.

Die Forderungen wurden deshalb in Baskisch, Spanisch und Französisch von Nagore García, Iñaki Olasolo und Laurence Hardouin gestellt. Ein "Friedensprozess" müsse eingeleitet werden, in dem "Lösungen" für den Konflikt auf Basis von Kriterien einer "Transitional Justice" erarbeitet werden. Gemeint sind Bemühungen, nach Vorbild Nordirlands, um einen gewaltsamen Konflikt aufzuarbeiten, um in einer gespaltenen Gesellschaft den Übergang zu Sicherheit und Frieden zu fördern. Klare Veränderungen der "Gefängnispolitik", seien dafür nötig. Zentral wurde unter tosendem Beifall, die Verlegung aller Gefangen ins Baskenland gefordert. Freigelassen werden sollten alle schwerkranken Gefangenen und die, die zwei Drittel der Strafe verbüßt haben. Das sind inzwischen mehr als 200.

"Wir fordern nur die Umsetzung von Gesetzen, die ohnehin in Spanien und Frankreich längst bestehen", erklärt die junge Maite. Ihr Cousin sitzt mit 42 Basken im Gefängnis von Puerto de Santa María. Obwohl das spanische Strafrecht eine heimatnahe Strafverbüßung vorsieht, müssen die Angehörigen für 40-minütige Besuche mehr als 2000 Kilometer zurücklegen. "Das ist eine Doppelbestrafung", empört sich die junge Frau, "mit der wir seit Jahrzehnten erpresst werden".

Wie sie hoffen viele darauf, dass nun, nachdem die baskische Untergrundorganisation ETA im Oktober 2011 nach gut 50 Jahren das definitive Ende des bewaffneten Kampfs erklärte, national und international genug Druck aufgebaut werden kann. Spanien und Frankreich müssten ihre Gesetze einhalten, mittelfristig müsse es in einem Friedensprozess zu einer Amnestie kommen, sagt sie Vom Podium am Rathaus wird derweil bekräftigt, dass es bedeutsam ist, "alle Opfer des Konflikts anzuerkennen", um zu einer Versöhnung zu kommen.

Angereist waren auch Vertreter aus Spanien und Frankreich, wie die bekannten spanischen Schauspieler Willy Toledo oder Pilar Bardém, Mutter des Oscar-Preisträger Javier Bardém. Auch der ehemalige UNESCO-Generalsekretär Federico Mayor Zaragoza unterstützte die Anliegen. Angereist waren auch Abgeordnete aus Frankreich und Politiker der irischen Sinn Fein-Partei. Aus Katalonien nahmen Führungsmitglieder der Republikanischen Linken (ERC) wie Joan Tardá oder David Fernàndez, Sprecher der CUP im katalanischen Parlament teil. Für die Führung der spanischen Vereinten Linken (IU) reiste charismatische Aktivist Juan Manuel Sánchez Gordillo vom linken Parteiflügel aus Andalusien an. Die baskischen Gewerkschaften, die auch zur Demonstration aufgerufen hatten, wurden von Kollegen aus Asturien, Galicien, Katalonien und Aragon begleitet. Auch eine große Gruppe baskischer Priester hatte die Bevölkerung zur Teilnahme aufgerufen.

Obwohl die spanischen Sozialisten (PSOE) die Demonstration nicht unterstützten, zeigten sich PSOE-Mitglieder wie Ainhoa Aznárez. Sie hielt ihre Teilnahme "in diesem Augenblick für notwendig". Der Friedensprozess müsse gestärkt und die Rechte der Gefangenen eingehalten werden, "die in einer sehr prekären Situation" leben müssten. Menschenrechte und Gesetze müssten für alle gelten. "Dafür sind Gesetze da", kritisiert sie den Umgang mit den baskischen Gefangenen. Die spanische Regierung hält dagegen nicht einmal das Urteil des Straßburger Menschengerichtshof ein. Obwohl das Gericht die Freilassung einer illegal weiterhin inhaftieren Gefangenen angeordnet hatte, sitzt sie seit sechs Monaten weiter im Knast. In Straßburg wird zusehends auch mit wachsendem Ärger vermerkt, dass Spanien nicht wirklich gegen Folter vorgeht. Die trifft auch Journalisten, deren Kommunikationsmedien zudem illegal geschlossen wurden.

Die konservative spanische Regierung lässt sich von dem massiven Protest im Baskenland nicht beeindrucken und zeigt weiterhin keine Bereitschaft zu einem Dialog. Dazu wurde sie auf einer internationalen Friedenskonferenz aufgefordert, an der auch der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan teilnahm. Justizminister Alberto Ruiz-Gallardón erklärte in einem am Sonntag, "es wird keine auch keine Zugeständnisse für Gefangene geben, wenn sich die ETA auflöst". Er kritisierte, dass die Demonstration nicht verboten wurde, respektiert aber das Urteil des Nationalen Gerichtshof. Eine Opfer-Vereinigung (AVT) hatte es beantragt. Ähnlich wie die AVT sprach Antonio Basagoiti, Chef von Gallardóns Volkspartei (PP) im Baskenland, von einem "Marsch für stolze Verbrecher und Mörder".

Während sich die Massen in Bibao drängten, wurden gleichzeitig Jon Markel Ormazabal und Liher Rodríguez aus dem Knast in Madrid entlassen. Die beiden Aktivisten der Jugendorganisation Segi waren im Februar 2007 inhaftiert worden. Sie wurden in Madrid von der Jugend Kastiliens empfangen, die beide in einer Solidaritätsaktion in ihren Räumen im Stadtteil Vallecas begrüßten. Während Ormazabal die sechsjährige Haftstrafe abgesessen hat, kam sie auf Kaution frei, weil noch ein Verfahren offen ist.

* Mit freundlicher Genehmigung des Autors. Der beitrag erschien auch auf der Website von "indymedia", 14. Januar 2013; https://linksunten.indymedia.org


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