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Kumpel erreichen Madrid

Verzweifelter Kampf um Arbeitsplätze. Protestzug gegen Streichung der Kohlesubventionen traf gestern in Madrid ein

Von Johannes Schulten *

Rund 500 Kilometer haben Bergarbeiter aus dem spanischen Norden in den letzten 17 Tagen zurückgelegt, um die Vernichtung ihrer Arbeitsplätze zu verhindern. Am gestrigen Dienstag abend sollten die gut 200 Teilnehmer der »marcha negra«, des sogenannten schwarzen Marsches, ihr Ziel, die Hauptstadt Madrid, erreichen, viele von ihnen vermutlich mit Blasen an den Füßen, Sehnenentzündungen und anderen Blessuren. Empfangen werden die Kumpel von den Aktivisten der »Bewegung 15. Mai«, die ihnen auf der Puerta del Sol für einige Stunden ihre Zelte zur Verfügung stellen wollen, um zumindest etwas zu ruhen. Denn der wichtigste Termin steht den Kumpeln noch bevor: Für heute ist eine Protestkundgebung vor dem Industrieministerium angekündigt. Dort wollen sie mit dem zuständigen Minister, José Manuel Soria, zusammenkommen, um über eine Rücknahme der 63prozentigen Kürzung der staatlichen Bergbauförderung zu verhandeln. Gewerkschaften, aber auch die Bergbaufirmen befürchten, daß die Streichungen das Ende der meisten Kohlebergwerke in den Regionen Asturien sowie Kastilien und León und damit das Aus für den gesamten Sektor in Spanien bedeuten wird.

Bis zuletzt ließ die Madrider Stadtregierung nichts unversucht, um das Eintreffen des Protestmarsches zu verhindern. So machte sie noch am Dienstag nachmittag »Bedenken für die Verkehrssicherheit« geltend und untersagte den Demonstranten, die für den Stadtzugang zentrale Schnellstraße A6 zu benutzen. Nach Angaben der Gewerkschaft UGT hatte ein Gericht die Benutzung der Straße am Tag zuvor genehmigt. Zudem hat die Nationalregierung bereits verlauten lassen, die Bergarbeiter »unter keinen Umständen« zu empfangen. An eine Rücknahme der Subventionskürzungen sei nicht zu denken.

Cayo Lara, Präsident der im Parlament vertretenen Partei Vereinigte Linke, ermahnte die Regierung, ihrer Verantwortung nachzukommen und eine befriedigende Antwort auf die Anliegen der Bergarbeiter zu geben. Sie sei die einzige Verantwortliche für die Kürzungen und deren Folgen. Anders als Madrid behaupte, handele es sich um keine wirtschaftliche, sondern um eine politische Entscheidung. Die notwendigen 190 Millionen Euro seien nichts, verglichen mit den Mil­liarden, die für spanische Banken ausgegeben werden. Momentan verhandelt Madrid mit Brüssel über Finanzhilfen für die bankrotten Kredithäuser. Bisher hat die EU 100 Milliarden Euro zugesagt.

Es ist ein verzweifelter Kampf für die verbliebenen gut 8000 Kumpel, die noch im kriselnden spanischen Bergbausektor arbeiten. Seit Jahren ist die Industrie immer weniger in der Lage, gegen die übermächtige Konkurrenz aus Australien, Südafrika und Lateinamerika zu bestehen. Zu hoch sind die Kosten, um die Kohle aus den Erde zu holen, während sie in anderen Ländern im Tagebau abgetragen wird. Allein in Andalusien waren in der 80er Jahren noch gut 22000 Kumpel beschäftigt. Die von der rechten Regierung um Mariano Rajoy bekanntgegebenen Förderungskürzungen könnten nun den endgültig den Todesstoß bedeuten.

Als die Streichungen im Mai bekanntwurden, traten nahezu alle Arbeiter in den unbefristeten Streik. Sie besetzten Straßen, bauten Barrikaden und blockierten sogar Eisenbahnverbindungen. Die Polizei reagierte brutal und setzte Tränengas und Gummigeschosse gegen die Demonstranten ein.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 11. Juli 2012


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