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Kämpferisches Bergvolk

Spaniens Minenarbeiter wehren sich gegen Kürzungen - sie besetzen Stollen und ziehen im Protestmarsch quer durchs Land

Von Carmela Negrete und Christian Ditsch, Asturien *

In der spanischen Bergbauregion Asturien herrscht Notstand. Tausende Minenarbeiter sind in unbefristeten Ausstand gegen die Kürzung der Regierung getreten. Mit einem 500 Kilometer langen Marsch tragen sie ihren Protest gerade in die Hauptstadt. Heute treffen sie ein.

Es ist ein entbehrungsreicher Weg, der von den Bergen Asturiens, wo die Luft noch kühl und erfrischend ist, 500 Kilometer durch Hitze und Staub der Täler in die spanische Hauptstadt Madrid führt. Auf dem »Marcha Negra«, dem schwarzen Marsch, haben sich 240 Bergarbeiter zusammengeschlossen. Sie protestieren gegen die Kürzung der öffentlichen Fördergelder im Bergbausektor um 64 Prozent, die von der Regierung Ende Mai verkündet wurde. Diese Entscheidung widersprach nicht nur dem Vertrag, der letztes Jahr mit den Gewerkschaften geschlossen wurde. Sie hätte auch ein sofortiges Ende des Bergbaus in Spanien zur Folge.

22 000 Minenarbeiter, sogenannte Mineros, arbeiteten in den 80er Jahren allein in der Region Asturien, heute sind es nur 8000 in ganz Spanien. Die wenigen noch verbliebenen Bergarbeiter führen einen erbitterten Kampf um ihre Existenz. Das größte Symbol dieses Widerstandes ist der »Marcha Negra«.

Die Solidarität der Spanier ist groß

Um 5.30 Uhr klingelt der Wecker. Die Mineros machen sich frisch, frühstücken eine Kleinigkeit und bereiten sich auf die nächste Etappe vor. Fünf Stunden Weg liegen vor ihnen, an deren Ende sie ihre geschwollenen Füße in Eiswasser baden, um Linderung zu erfahren. Dennoch ist es ein stolzer Anblick für die Schaulustigen an den Straßen, wenn diese Bergleute in ihren gelben Westen mit Schutzhelmen entschlossen vorbeiziehen. Drei Fahrzeuge der Gewerkschaft begleiten den Zug. Sie befördern Lebensmittel, Medikamente und Kleidung.

Für viele Spanier stehen die Kumpel stellvertretend für den Kampf gegen die Ungerechtigkeit und Hoffnungslosigkeit. Kaum eine andere von Sozial- und Jobabbau betroffene Berufsgruppe leistet so entschlossenen Widerstand wie die Mineros. Auch deshalb ist die Solidarität der Menschen groß. Im Dorf Benavente hat die Gemeinde eine Turnhalle für die marschierenden Bergarbeiter organisiert, eine lokale Theatergruppe führt am Abend ein Stück auf. »Das gibt uns Mut und Energie«, erzählt David Rodríguez (31). Für seine vierköpfige Familie sind die Folgen des unbefristeten Streiks nicht leicht zu verkraften. Um irgendwie über die Runden zu kommen, ist sie auf Eigeninitiative angewiesen. »Meine Frau baut gerade im Garten Gemüse für unsere zwei Kinder an. Irgendwas müssen sie doch zu essen bekommen.« Die soziale Absicherung ihrer Familien ist der Grund, warum anfangs nicht alle Kumpels mit dem unbefristeten Streik einverstanden waren.

Der dreiwöchige Marsch ist nur eine von zahlreichen Aktionen der Bergarbeiter. Drei Minen sind seit Ende Mai von den Mineros besetzt. Im Schacht Candín, im asturischen Dorf Langreo, sind drei Kumpel seit mehr als 40 Nächten unter Tage. Es war eine einsame, verzweifelte Entscheidung. Nicht einmal ihre Familien hatten sie von ihrem Vorhaben unterrichtet. Die Situation unter Tage setzt den Männern zu. Stickige Luft, Dunkelheit und Enge greifen die Gesundheit an. Der einzige Zeitvertreib ist das tägliche Pokerspiel. Es ist die längste Besetzung einer Mine in der Geschichte Asturiens. Eine der Ehefrauen erklärt: »Unser Sohn glaubt, dass sein Vater ein Held ist.«

In der Mine von Santa Cruz del Sil in der Region Kastilien und León sind noch sieben von acht Besetzern im Stollen. Mit der Elektrobahn fährt man 3000 Meter weit in den Berg, es dauert 22 Minuten. Dort erwarten einen mit bleicher Haut und Ringen unter den Augen die Mineros. Trotz aller Strapazen ist ihnen der Stolz anzusehen, mit dem sie ihren Arbeitskampf führen. 45 Tage haben sie nicht geraucht. Dafür werden jede Menge Sonnenblumenkerne geknabbert. In regelmäßigen Abständen schaut ein Arzt nach ihrer Gesundheit. Die Wand zu ihrer provisorischen Unterkunft aus Brettern und Holzpaletten ist übersät mit Briefen ihrer Kinder und deren Schulkameradinnen.

Die Entscheidung im Berg zu bleiben fiel auch bei ihnen spontan. Auf dem monatlichen Lohnscheck des Minenbesitzers war im Mai nur die Hälfte des Gehalts, mehr sollte es auch in Zukunft nicht geben. Sie beschlossen, nach der Schicht nicht wieder aus dem Berg zu fahren und blieben im Schacht. Ihre Familien stehen hinter ihnen, reihum wird für die Männer gekocht und das Essen von Kumpels in die Mine gebracht.

Die Mineros führen keinen isolierten Arbeitskampf. Am 18. Juni fand ein Generalstreik in den Bergbauregionen statt. Die Beteiligung lag laut den Gewerkschaften bei fast 100 Prozent. Auch das Kohlekraftwerk von Cubillas bleibt seit Beginn des Streiks außer Betrieb. »Der Regierung weiß ganz genau, dass wir der härteste und kämpferischste Arbeitersektor in Spanien sind«, versichert Jaime Caliero, Generalsekretär der Gewerkschaft CCOO (Comisiones Obreras) in der Vereinigung der öffentlichen Betriebe der spanischen Kohleminen. Caliero sieht die Kürzungen als einen Angriff auf die gesamte spanische Gewerkschaftsbewegung.

Die Polizei geht hart gegen die Bergleute vor

Während des Marsches nach Madrid sperren die Mineros immer wieder Autobahnen, Landstraßen oder Bahnstrecken mit Barrikaden. Die spanische Polizei geht mit Brutalität gegen sie und ihre Angehörigen vor. Mit Schlagstöcken, Gummigeschossen und Tränengas ausgerüstete Einheiten liefern sich fast täglich Kämpfe mit den Bergleuten. Die Menschen beklagen, dass die Polizei gezielt auf Personen schieße, auch Tränengasgranaten wurden von Hubschraubern auf die Demonstranten abgeworfen. »Sie behandeln uns wie Terroristen, dabei kämpfen wir nur um unsere Arbeitsplätze«, hört man überall.

Bisher sind bei den Auseinandersetzungen drei Journalisten von der Polizei verletzt worden. Wie viele Bergarbeiter verletzt worden sind, ist nicht bekannt. Die Polizei fahndet in den Krankenhäusern nach den Mineros, um sie dort festzunehmen. 50 Kumpel wurden bisher verhaftet. Einige davon verurteilte man zu Geldstrafen von bis zu 6000 Euro - wegen Störung der öffentlichen Ordnung. Die Proteste kosten die Bergarbeiter nicht nur ihre Gesundheit.

Heute kommt der »Marcha Negra« in Madrid an. Zur Unterstützung haben außerparlamentarische Organisationen wie die »Bewegung 15. Mai« und die Partei der Vereinigten Linken für den 11. Juli eine Großdemonstration vorbereitet. Die Regierung wird die Mineros nicht empfangen. Sie hat in der vergangenen Woche bei einem Treffen mit den Gewerkschaften UGT und CCOO vom Industrieministerium verkünden lassen, dass sie die Kürzungen nicht zurücknehmen wird.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 10. Juli 2012


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