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Batasuna will Brücken nicht abbrechen

Sprecher Joseba Alvarez: Dialog über den Konflikt ums Baskenland muss fortgesetzt werden

Nach dem Sprengstoffanschlag auf dem Madrider Flughafen, dem am 30. Dezember zwei Menschen zum Opfer fielen, hat Spaniens Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero den Dialog mit der baskischen Untergrundorganisation ETA für beendet erklärt. Mit Joseba Alvarez, Auslandssprecher der in Spanien als terroristische Organisation eingestuften und verbotenen baskischen Partei Batasuna (Einheit) sprach Ralf Streck für das "Neue Deutschland" über die Chance, den von seiner Partei angestoßenen Prozess wieder in Gang zu setzen.



ND: Ihre Partei hatte seit Monaten gewarnt, der Friedensprozess sei blockiert. Dennoch hat Sie der Madrider Anschlag überrascht?

Alvarez: Die Möglichkeit einer Aktion der ETA stand im Raum. Es gab Warnzeichen, wie zuletzt den Waffenraub in Frankreich. Sie zeigten, dass die Verhandlungen zwischen ETA und spanischer Regierung fatal liefen. Ähnlich war die Lage zuletzt auch in den Gesprächen zwischen den Parteien. Seit September war intensiv geredet worden, die Positionen hatten sich in einzelnen Punkten angenähert, weshalb die regierende PSOE sogar ein Vorabkommen bis Dezember ankündigte. Dann weigerte sie sich aber, etwas schriftlich zu fixieren. Wir sagten, so sei der Prozess nicht durchführbar. Trotzdem erklärte Ministerpräsident Zapatero am 29. Dezember noch, alles laufe gut. Der Anschlag am Tag danach, nach dem zwei Todesopfer zu bedauern waren, hat eher in Ausmaß und Wirkung überrascht.

Nun hat José Luis Rodríguez Zapatero im Parlament gesagt, die ETA habe die Waffenruhe beendet. Ein Dialog sei unmöglich, solange Gewalt ausgeübt wird. Die Volkspartei (PP) wollte der Regierung das Mandat des Parlaments entziehen, mit der ETA zu verhandeln. Das aber hat Zapatero abgelehnt. Hat er damit die Tür offen gelassen?

Die Ultrarechte will Zapatero stürzen. Sie bläst zum Generalangriff vor den Wahlen im nächsten Jahr, weil sie Zapatero geschwächt sieht. Gut ist, dass es weitere Verhandlungen geben kann, falls eine nachprüfbare Waffenruhe besteht. Die Regierung hat den Prozess zwar für beendet erklärt, sie kann aber einen neuen eröffnen. Nur müsste sie Konsequenzen daraus ziehen, dass alle Beteiligten ihr ein miserables Verhalten bescheinigt haben.

Erstaunlicherweise bestätigte Zapatero, dass seine Regierung in neun Monaten Waffenruhe praktisch nichts zur Förderung des Prozesses getan hat. »Ich habe die gesamte Zeit die wichtigsten Säulen im Antiterrorkampf aufrecht erhalten«, sagte er.

Vielleicht glaubte er, was ihm seine Leute erzählen: Die ETA sei schwach, die linke Unabhängigkeitsbewegung ebenfalls, weil Batasuna seit Jahren verboten ist. Deshalb könne man den Prozess wie einen Kaugummi in die Länge ziehen, um sich mit der PP nicht anlegen zu müssen. Aber das ist falsch. Die linke Unabhängigkeitsbewegung ging in den Prozess, um in den wesentlichen Fragen wie Selbstbestimmungsrecht und territoriale Einheit des Baskenlandes ein Ergebnis zu finden, um den Konflikt beizulegen. Doch während der Waffenruhe wurden die Angriffe auf uns sogar verstärkt: Statt das Parteiengesetz zu ändern, um Batasuna legale Arbeit zu ermöglichen, wurden Parteiführer verhaftet und Pressekonferenzen gesprengt. Dabei wurde der Friedensplan 2004 auf einer Veranstaltung vorgestellt, die ich angemeldet hatte. Gefangene werden nicht aus der Haft entlassen, obwohl sie ihre Strafe abgesessen haben. Es wird weiter gefoltert ... Es wurde einfach kein dem Friedensprozess förderliches Umfeld geschaffen, wie Amnesty International kritisierte.

Erstmals hat Batasuna nun von der ETA eine Waffenruhe gefordert. Die ETA selbst hat erklärt, sie wolle am Waffenstillstand festhalten. Aber ist das glaubhaft, wenn sie sich zugleich »Antworten« vorbehält, falls die »Angriffe« andauern?

Die ETA-Erklärung zur Waffenruhe ist glaubhaft, sonst wäre die Lage eine ganz andere. Wir gehen davon aus, dass wir in einer Situation wie im März sind (als der Waffenstillstand verkündet wurde – d. Red.), auch wenn wir eine Präzisierung fordern. Der Zusatz ist wohl so zu verstehen, dass die ETA nicht ein weiteres Jahr ungenutzt verstreichen lassen will. Ob die Regierung erneut verhandelt, wird sich zeigen.

Was wird Batasuna tun, um einen Friedensprozess zu fördern?

Nicht Brücken abbrechen, die in jahrelanger Arbeit mühsam gebaut wurden. Der Dialog muss fortgesetzt werden. Wir sind zu Schritten bereit und fordern auch Schritte von der Regierung und der ETA. Die Nichtanwendung von Gewalt zur Lösung des Konflikts gilt für alle. Alle müssen aber auch die Möglichkeit haben, sich frei und demokratisch zu betätigen. Andere mögen unsere Schritte unzureichend nennen. Wir hoffen, dass andere wenigstens Schritte gehen, die wir unzureichend nennen könnten. Ein solcher Schritt wäre, die Beteiligung der linken Unabhängigkeitsbewegung an den kommenden Wahlen zu sichern.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Januar 2007


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