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Basken wollen keine "Befehle aus Madrid"

Unabhängigkeitsbewegung durch Regionalwahlen gestärkt

Von Ralf Streck, San Sebastian *

Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy kann aufatmen: Im heimatlichen Galicien baute seine konservative Volkspartei (PP) ihre absolute Mehrheit im Regionalparlament aus. Im Baskenland allerdings sieht er sich mit einer gestärkten linken Unabhängigkeitsbewegung konfrontiert.

Die Regionalwahlen im spanischen Norden, in Galicien und im Baskenland, haben einen klaren Verlierer: Die sozialdemokratische Spanische Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) stürzt tiefer in die Krise. Deren Hoffnung, ihre Positionen angesichts der Proteste gegen die rigide Sparpolitik der PP-Regierung in Madrid wenigstens behaupten zu können, wurde arg enttäuscht. In Galicien verlor die PSOE mehr als zehn Prozentpunkte und sieben ihrer Mandate. Geblieben sind ihr 20,5 Prozent der Stimmen und 18 Sitze in der 75-sitzigen Regionalvertretung. Die regierende Volkspartei büßte gegenüber 2009 zwar auch gut 100 000 Stimmen ein, baute mit 45,7 Prozent ihre absolute Mehrheit aber sogar noch aus: Statt über 38 verfügt sie nun über 41 Mandate im Parlament von Santiago de Compostela, weil das Wahlrecht große Parteien bevorzugt. Der galicische Regierungschef Alberto Núñez Feijóo stieß denn auch gleich ins Horn seines in Madrid regierenden Landsmanns und Parteifreundes Mariano Rajoy: »Was gut ist für Galicien, ist auch gut für ganz Spanien.«

Der Mandatszuwachs für die PP geht auch auf die Spaltung der Stimmen für die galicischen Linken zurück. Einerseits verbuchte die Linksalternative Galiciens (AGE) starke Gewinne: Aus dem Stand kam das Bündnis aus Grünen (Equo), Vereinten Linken (IU) und einer Abspaltung des Nationalistischen Blocks Galiciens (BNG) auf 14 Prozent und 9 Sitze. Dagegen sackte der »Rest«-BNG von 16 Prozent auf 10,2 Prozent ab und errang nur noch 7 von zuvor 12 Mandaten. Im Ganzen wurden linksnationalistische Tendenzen aber auch in Galicien gestärkt.

Viel deutlicher geschah dies jedoch im Baskenland. Nachdem Parteien der linken Unabhängigkeitsbewegung lange Zeit verboten waren, kam die Koalition Euskal Herria Bildu (Baskenland Vereinen) diesmal mit 25 Prozent der Stimmen auf 21 Sitze im Regionalparlament, das ebenfalls 75 Abgeordnete umfasst. Das sind sieben mehr als das damalige Bündnis Euskal Herritarrok (Baskische Bürger) 1998 mit 18 Prozent der Stimmen erobert hatte.

Wahlsieger wurde überraschend deutlich die konservative Baskisch-Nationalistische Partei (PNV), die 34,6 Prozent der Stimmen erhielt. Ihr Chef Iñigo Urkullu dürfte damit neuer »Lehendakari« (baskischer Regierungschef) werden.

Sein Vorgänger Patxi López stürzte mit seiner PSOE um 12 Punkte auf nur mehr 19 Prozent und 16 Sitze ab. Viele Wähler nahmen es den Sozialdemokraten übel, dass sie gemeinsame Sache mit den Postfaschisten der Volkspartei gemacht hatten. Als »spanische Front« regierten PSOE und PP das Baskenland drei Jahre lang, obwohl sie dazu keine Stimmenmehrheit hatten. Nur wegen des Verbots der baskischen Linken hatten sie 2009 die PNV als Regierungspartei abgelöst, weil ihnen die Wahlrechtsarithmetik eine Sitzmehrheit zurechnete. Diesmal kam die PP statt auf 14 nur noch auf 11,7 Prozent und 10 Mandate. In ihrer Hochburg Araba wurde die PP nur noch viertstärkste Kraft. Bildu erwies sich dagegen in den Provinzen Araba und Biskaya als zweitstärkste Kraft, in Gipuzkoa liegt das Bündnis an erster Stelle.

Die gespaltene Vereinte Linke (IU) im Baskenland zog nicht erneut ins Parlament ein. Auch die Abspaltung Ezker Anitza (Plurale Linke) verfehlte das Ziel. Nur jene IU-Kräfte, die sich mit Oskar Matute vor zwei Jahren Bildu angeschlossen hatten, sind noch vertreten.

Bildu-Spitzenkandidatin Laura Mintegi unterstrich, dass die baskischen Nationalisten nun zwei Drittel aller Abgeordneten stellen. Selbstbewusst bot sie Urkullu eine Zusammenarbeit an: »Die Zeit ist gekommen, als eigenes Land zu denken.« Die »Befehle aus Madrid« müssten abgewiesen werden, sagte die Universitätsprofessorin. Ob Urkullus PNV tatsächlich eine Koalition mit Bildu eingeht oder sich nach anderen Partnern umsieht, blieb jedoch zunächst offen.

Die spanischen Sozialisten jedenfalls stürzen in eine Führungskrise. Die Wähler nehmen Parteichef Alfredo Pérez Rubalcaba die Rolle des Oppositionsführers offenbar nicht ab. Vergessen ist nicht, dass Rubalcaba noch 2011 unter José Luis Rodriguez Zapatero als Innenminister und Vizepremier maßgeblich den Sparkurs mitverantwortet hat, den die PP unter Rajoy seither lediglich verschärft hat. Dass er nun dagegen wettert, ist unglaubhaft. Mehrere ehemalige Minister wie Beatriz Corredor und María Antonia Trujillo haben seinen Rücktritt verlangt. Sie fordern eine »wirkliche, tiefe« Neubestimmung des Kurses der PSOE.

Rajoys rechte PP dagegen wertet die Wahlen, vor allem in Galicien, trotz der Stimmenverluste als Bestätigung für ihre Politik, obwohl sie viele Wahlversprechen gebrochen hat.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 23. Oktober 2012


Abkehr von Madrid

Parlamentarische Mehrheit für baskisches Selbstbestimmungsrecht. Linksbündnis erhält fast ein Viertel der Stimmen. Wahlen in Galizien stärken PP

Von Uschi Grandl **


Der nächste baskische Lehendakari, der Ministerpräsident der Baskischen Autonomen Gemeinschaft (CAV), heißt Iñigo Urkullu. Soviel steht nach den Wahlen zum Regionalparlament der CAV am vergangenen Sonntag bereits fest. Mit 27 Sitzen und etwas mehr als 34 Prozent der Stimmen wurde seine Baskische Nationalistische Partei (PNV) klare Wahlsiegerin. Urkullu kann rein rechnerisch sowohl mit der baskischen Regionalpartei PSE der spanischen Sozialdemokraten (PSOE) als auch mit dem baskischen Linksbündnis EH Bildu (Euskal Herria Bildu – das Baskenland versammeln) eine Koalition bilden. Im Vorfeld der Wahlen waren bereits Absprachen zwischen PNV und PSE bekannt geworden. Allerdings stehen PNV und PSE in den beiden zentralen Fragen des Baskenlands auf unterschiedlichen Seiten. In Fragen der Krisenbewältigung gehört die PNV zum konservativen Lager. Die PSE versucht jedoch, sich als Partei der sozialen Gerechtigkeit zu positionieren, und steht inhaltlich deshalb EH Bildu näher als der PNV. Bezüglich des Selbstbestimmungsrechts der Basken unterstützt die PSE die Positionen ihrer spanischen Mutterpartei und steht damit im Widerspruch zur Haltung der PNV.

Der zweite Sieger des Wahlabends war EH Bildu. Das Bündnis der baskischen Linken mit kleineren baskischen sozialdemokratischen Parteien erhielt in den drei zur CAV gehörenden baskischen Provinzen Araba, Bizkaya und Gipuzkoa fast 25 Prozent der Stimmen und damit 21 Sitze im Regionalparlament der CAV. PNV und EH Bildu stellen damit zwei Drittel aller Abgeordneten. Noch nie in den letzten Jahrzehnten hatten die Parteien, die für das Selbstbestimmungsrecht der Basken eintreten, eine solch große parlamentarische Mehrheit.

Die sozialdemokratische PSE des derzeitigen Lehendakari Patxi Lopez und die rechte PP mußten verheerende Niederlagen einstecken. Die PSE verlor fast neun Prozent ihrer Stimmen und liegt nun bei knapp 19 Prozent. Die PP erreichte nach leichten Verlusten weniger als zwölf Prozent. Selbst gemeinsam haben die beiden Parteien, die in den letzten Jahren die Regierung bildeten, nicht soviel Stimmen wie die PNV. »Wenn die Wahlen uns eines zeigen, dann ist es die völlige Delegitimation des vorherigen baskischen Parlaments«, kommentierte die linke baskische Zeitung GARA das Ergebnis der Wahl, die auch das Scheitern der Politik der Illegalisierung der baskischen Linken manifestiert.

Daß die Wahlen fast auf den Tag genau mit dem ersten Jahrestag der Bekanntgabe des Endes ihres bewaffneten Kampfes durch die baskische Untergrundorganisation ETA zusammenfielen, ist reiner Zufall. Die neue Regierung wird von der baskischen Bevölkerung aber daran gemessen werden, ob sie den Prozeß der Konfliktlösung voranbringt und insbesondere eine Lösung für die politischen Gefangenen findet.

Auch in Galizien wurde am Sonntag gewählt. Im Vorfeld war spekuliert worden, daß die PP für die Kürzungspolitik der Regierung Rajoy abgestraft werden würde. Sie ging jedoch als klarer Sieger aus den Wahlen hervor und konnte mit knapp 46 Prozent der Stimmen und 41 Sitzen die knappe Regierungsmehrheit der letzten Wahl sogar noch ausbauen. Der bisherige Präsident der galizischen Junta Alberto Núñez Feijóo bleibt damit für eine weitere Periode im Amt. Die galizischen Parteien, die das Selbstbestimmungsrecht für Galizien fordern, traten nach Jahren der Einheit das erste Mal getrennt an. Der Block konnte gegenüber der letzten Wahl deutlich zulegen und kam auf insgesamt 16 Sitze. Stärkste Kraft wurde mit neun Sitzen und 14 Prozent der Stimmen die Linke Galizische Alternative (AGE). Die PSdeG, die galizische Regionalpartei der spanischen Sozialdemokraten, erlitt wie auch im Baskenland eine schwere Niederlage und verlor neun ihrer ehemals 25 Sitze im Parlament.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 23. Oktober 2012


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