Krisenfestes Baskenland
Der starke Kooperativensektor wird seiner sozialen Verantwortung gerecht und trotzt der spanischen Krise
Von Ralf Streck, San Sebastián *
Spaniens Wirtschaft steckt tief in der
Rezession. Im Baskenland sieht die
Lage nicht so düster aus. Das liegt
nicht zuletzt am weit verbreiteten
Kooperativenwesen.
Fünf Millionen Menschen haben in
Spanien keinen Job. Ein Ende des
Anstiegs der Arbeitslosigkeit von
derzeit knapp 23 Prozent ist nicht
in Sicht. Weit besser ist die Lage im
Baskenland. Dort gibt es viele Kooperativen,
die ihre Arbeitskräfte
zu schätzen wissen. Mehr als 100
davon sind in der Kooperativenvereinigung
Mondragón (MCC) zusammengeschlossen.
Es handelt sich um die größte Kooperative der
Welt und die siebtgrößte Firmengruppe
in Spanien. Da die Kooperativen
ihre soziale Verantwortung
ernst nehmen, wurden in der
schweren vierjährigen Krise kaum
Stellen abgebaut. Ende 2010 waren
noch 84 000 Personen allein in
den MCC-Kooperativen beschäftigt,
etwa 1000 weniger als im
Vorjahr. Fast die Hälfte der Beschäftigten
ist im Baskenland tätig,
denn die MCC-Philosophie ist,
Einkommen und qualifizierte Arbeit
im direkten Umfeld zu schaffen,
um zur gesellschaftlichen Entwicklung
beizutragen. Drei Prozent
aller Stellen im Baskenland
finden sich bei MCC, zu der mit der
Supermarktkette »Eroski« die
weltweit größte Einzelkooperative
gehört.
Von der Sparkasse bis zur Solaranlage
Das Geschäft von MCC umfasst eine
breite Palette: Neben Eroski
verfügt man beispielsweise auch
über eine Sparkasse, um nicht auf
Banken angewiesen zu sein. Darüber
hinaus finden sich Elektrogeräte
(Fagor), Hightech-Fahrräder
(Orbea), Solaranlagen, Maschinen
aller Art, Teile für die
Flugzeug- und Autoindustrie und
Dienstleistungen im Produktionssortiment.
Dazu kommen Forschungszentren,
eine eigene Universität
und Fachhochschulen sowie
neuerdings auch eine Fakultät
für Gastronomiewissenschaften.
Bildung wird groß geschrieben,
da auf nachhaltige Struktur und
langfristige Entwicklung Wert gelegt
wird. Die Zahl der Studenten
hat sich deshalb
in den Krisenjahren
2009
und 2010 sogar
um 700 auf über
9000 erhöht.
Auch die lokale Verankerung
hat einen hohen Stellenwert. Ein
großer Teil der Betriebe befindet
sich weiter im Baskenland, auch
wenn MCC stark internationalisiert
und auf allen fünf Kontinenten tätig
ist. Diese Struktur wirkt sich
günstig auf die Arbeitslosenquote
aus. Ende Oktober 2011 war sie in
der Autonomen Baskischen Gemeinschaft,
in der die drei baskischen
Provinzen Gipuzkoa, Bizkaia
und Araba vereint sind, nur etwa
halb so hoch wie im spanischen
Durchschnitt. Ähnlich ist die Lage
in der Provinz Navarra, die historisch
zum Baskenland gehört.
Die erste der MCC-Kooperativen
wurde 1956 in der Stadt Arrasate (Mondragón)
in Gipuzkoa gegründet – mitten in der
Franco-Diktatur. Der spanische
Name Mondragón rührt daher,
dass unter Franco die
baskischen Namen und die Sprache verboten
waren. Zwar ist der Name geblieben,
aber die Dimension der MCC
ist immens gewachsen. 2010 beliefen
sich die Personalausgaben
allein im Baskenland auf 1,3 Milliarden
Euro, was dort Kaufkraft
schuf.
Der Solidargedanke hat MCC
stets bestimmt. Man will zwar
wettbewerbsfähig sein, schielt
aber nicht auf schnelle Gewinne.
Das führt zu einem hohen Grad an
Identifikation der Beschäftigten
mit der Einzelkooperative und dem
Netzwerk. Entschieden wird auf
Hauptversammlungen, egal ob es
sich um Streikteilnahme oder um
andere wichtige Entscheidungen
handelt.
In den letzten Jahren musste oft
entschieden werden, Löhne einzufrieren,
gar zu kürzen und Urlaubs-
oder Weihnachtsgeld auszusetzen.
Bevor Beschäftigte entlassen
werden, wird meist dieser
Weg gewählt. Teilhaber können
ohnehin nicht entlassen werden.
Sie sind an den Gewinnen beteiligt,
tragen aber auch das unternehmerische
Risiko, das im Zweifel
wie beschrieben durch die Löhne
aufgefangen wird. Indes sind nicht
alle Beschäftigten Genossenschafter.
Deren Anteil an der Belegschaft
ist in der Industrie mit 86
Prozent am höchsten. Ihre Zahl ist
im Verhältnis zur Gesamtbelegschaft
in den letzten Jahren aber
gesunken. Das hat mit der Eingliederung
von Firmen zu tun, die von
Kooperativen gekauft wurden.
Beispielsweise hat Eroski die spanischen
Caprabo-Supermärkte
übernommen.
Delegiertenversammlung
hat das letzte Wort
Die 8000 Eroski-Teilhaber haben
mitten in der Krise 2009 allen
15 000 Beschäftigten das Angebot
gemacht, neue Teilhaber zu werden,
statt wie bei Übernahmen
üblich Massenentlassungen vorzunehmen.
Der Übergangsprozess
ist noch im Gange. Entscheidungen
können in so großen Kooperativen
nicht mehr auf Hauptversammlungen
getroffen werden. Die Teilhaber
wählen Delegierte, die auf
Versammlungen die wichtigen
Entscheidungen treffen – im Sinne
der sozialen Verantwortung.
* Aus: neues deutschland, 5. Januar 2012
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