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Ohrfeigen für Untersuchungsrichter Garzón

Spanien: Audiencia Nacional spricht 20 Basken von der Städtevereinigung Udalbiltza frei

Von Ingo Niebel *

Spaniens bekanntester Richter, Baltasar Garzón, kann den 20. Januar als einen weiteren schwarzen Tag in seiner Berufslaufbahn vermerken: Am Donnerstag sprachen seine Kollegen vom Sondergericht für Terror- und Drogendelikte 20 Basken von der Städtevereinigung Udalbiltza frei. Ihnen war vorgeworfen worden, sie wären Teil der Untergrundorganisation ETA (Baskenland und Freiheit). Die Urteilsbegründung läßt sich als eine einzige Kritik am Vorgehen von Staatsanwaltschaft und den – inzwischen suspendierten – Untersuchungsrichter Garzón lesen. Auf alle Fälle scheint die Wirkung so beeindruckend gewesen zu sein, daß die Anklagebehörde laut spanischen Agenturberichten auf eine Revision verzichten will.

Garzóns ehemalige Wirkungsstätte, die Audiencia Nacional, kam zu dem Schluß, daß die Anklage ausschließlich auf Interpretationen der Polizei beruhte. Eine Beweisführung dagegen fand nicht statt. Statt dessen hätten Garzón als Untersuchungsrichter und schließlich der Anklagevertreter die Darstellungen der Polizei »unkritisch« übernommen, heißt es im Urteil. Die drei Institutionen hatten behauptet, daß Udalbiltza eine zivile Frontorganisation der ETA sei.

Die grenzübergreifende Vereinigung der Städte und Gemeinden entstand 1999 während des damaligen Waffenstillstands der baskischen Untergrundorganisation. In jener Friedensphase waren kommunale Vertreter beiderseits der Pyrenäengrenze der Meinung, daß ein baskischer Staat von der lokalen Ebene her aufgebaut werden muß. Sie begründeten Udalbiltza, aus den Kommunaletats flossen Gelder in einen gemeinsamen Fonds, um dessen Arbeit zu finanzieren. Parallel dazu baute Udalbiltza eine Struktur auf, über die Bewohner des Baskenlandes neben ihrem spanischen oder französischen Personalausweis auch einen baskischen beantragen konnten. Dieses bezeichnete die Anklage als »zivilen Ungehorsam, wie ihn die ETA innerhalb ihrer subversiven Strategie betreibt«.

Dagegen stellten nun die Richter fest, daß für diese Behauptung jeglicher Beweis fehlt. Obendrein handelte es sich bei dem baskischen Ausweis »weder um eine Vorgabe der ETA und schon gar nicht um die ureigenste Idee der Terrorbande, sondern um das legitime Anliegen eines jeden Nationalisten«. Abschließend heißt es im Urteil: »Die einfache Übereinstimmung oder Synthese zwischen den Zielen, die die ETA als Rechtfertigung ihrer strafbaren Handlungen für sich in Anspruch nimmt, und denen von Udalbiltza stellt überhaupt keine Straftat dar.«

Der Freispruch erster Klasse hat weitreichende Folgen. Udalbiltza kann ihre seit 2002 unterbrochene Arbeit wieder aufnehmen. Gleichzeitig ermöglicht er die Wiederzulassung der verbotenen Linkspartei Batasuna und ein Ende aller politisch motivierter Gerichtsverfahren dieser Art. Es widerspreche jeder Logik, daß alles, wozu sich die ETA äußert, von ihr kontrolliert wäre, wird in dem Urteil konstatiert. Beteiligt daran ist als Vorsitzender Richter Javier Gómez Bermúdez, der bereits 2010 für Aufsehen sorgte. Damals sprach er nicht nur die angeklagten Journalisten der geschlossenen Tageszeitung Egunkaria frei, sondern prangerte auch dort die fehlende Beweisführung sowie die Zustände in der Polizeihaft an. Sein jüngster Richterspruch läßt sich als der Versuch werten, die Audiencia Nacional weg von der politisch motivierten Justizwillkür zurück zu einer Rechtsstaatlichkeit, die zumindest ihre eigenen Gesetze beachtet, zu führen. Ob das gelingen wird, hängt von der Politik ab, die schon mehrmals das Sondergericht nach Gutdünken neu besetzt hat.

* Aus: junge Welt, 22. Januar 2011


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