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"Gerechtigkeit erwarte ich nicht"

In Madrid beginnt ein Prozess gegen Mitarbeiter der baskischen Tageszeitung

Im Februar 2003 ließ der Nationale Gerichtshof Spaniens die einzige baskischsprachige Tageszeitung schließen. Die Guardia Civil stürmte die Redaktion der »Euskaldunon Egunkaria« (Baskische Tageszeitung) und verhaftete zehn Führungsmitglieder. Darunter befand sich der Journalist Txema Auzmendi, ein Jesuit. Mehr als sechs Jahre später beginnt heute in Madrid der Prozess gegen Auzmendi und Kollegen. Ralf Streck sprach für das "Neue Deutschland" (ND) mit dem Angeklagten.

ND: Sie sollen Mitglied der baskischen Untergrundorganisation ETA (Baskenland und Freiheit) sein, in deren Dienst die Tageszeitung gestanden haben soll. Glaubt das in Madrid noch jemand?

Auzmendi: Leider glauben es viele Leute. Die Medien haben daran einen großen Anteil. Sie sind oft sehr politisiert, parteiisch und nicht unabhängig und von Realitätsunkenntnis gezeichnet. Da wir nun vom Nationalen Gerichtshof angeklagt werden, denken viele, an den Vorwürfen müsse etwas dran sein.

Aber sogar die Staatsanwaltschaft hat die Einstellung des Verfahrens mangels Beweisen gefordert!

Beweise gibt es nicht, das ist richtig. Aber ich erinnere daran, dass wir in der Regierungszeit der Volkspartei (PP) verhaftet wurden. Damals unterstützte der Staatsanwalt die Beschuldigungen des Ermittlungsrichters Juan del Olmo.

War es also eine politische Entscheidung der Staatsanwaltschaft, die in Spanien ein eigenes Ministerium darstellt?

Damit hat es sicher zu tun. Der Nationale Gerichtshof entstand an dem Tag, als das Sondergericht (TOP) der Franco-Diktatur aufgelöst wurde, noch vor den ersten Wahlen. Er hat Spezialaufgaben, steht über dem Rechtssystem und ist politisiert. Ich wünsche mir Gerechtigkeit, glaube aber nicht an eine gerechte Behandlung dort. Justizkreise haben uns stets signalisiert, es werde nie zur Anklage kommen. Nun wird der Prozess aufgrund einer »Volksanklage« eröffnet, die es in Deutschland nicht gibt. Sie beruht allein auf Anzeigen zweier rechtsradikaler Organisationen.

Elf Jahre nach dem Verbot der Zeitung und des Radios »Egin« hob der Oberste Gerichtshof kürzlich das Urteil des Sondergerichts auf, das auf den gleichen Anschuldigungen beruhte. Macht das Ihr Verfahren nicht noch erstaunlicher?

Ich kann all diesen Widersinn nicht erklären. Die spanische Justiz legt in der baskischen Problematik, aber nicht nur dort, andere Maßstäbe an. Auch Rache bestimmt das Vorgehen.

Wie werden die Vorgänge im Baskenland wahrgenommen?

Zwei Tage nach der Schließung unserer Zeitung fand in San Sebastian die größte Demonstration statt, die es dort jemals gegeben hatte. Das zeigte, dass nur wenige die Vorwürfe glauben. In der Schließung der Zeitung wird ein Angriff auf die baskische Kultur und Sprache, die älteste in Europa, gesehen. Etwa 5 Millionen Euro wurden gespendet, um eine neue Zeitung – »Berria« – zu schaffen, die statt 1500 nun gut 24 000 Teilhaber hat. So können auch die Unsummen für Prozesse, Anwälte und dergleichen bezahlt werden. Die Unterstützung wird sich auch am kommenden Sonnabend bei der Großdemonstration in Bilbao zeigen. Übrigens wurde eine Demonstration in Madrid, die zeitgleich stattfinden sollte, verboten.

Wie ist die Justiz mit den Anzeigen der Angeklagten wegen Folter umgegangen?

Bis auf eines sind alle Verfahren eingestellt worden. Zeitungsdirektor Martxelo Otamendi ist vor den Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte gezogen, nachdem der Rechtsweg in Spanien ausgeschöpft war. Ich habe ihm gedankt, denn das ist sehr schwer. Man durchlebt die Folter immer wieder. Erstmals hat mir gerade ein Kollege gestanden, dass auch er gefoltert wurde.

Befürchten Sie eine Gefängnisstrafe?

Möglich ist das. Für uns fünf Angeklagte werden 12 und 14 Jahre Haft gefordert. Es wird für das Gericht schwer, alle freizusprechen, nachdem man es so weit kommen lassen hat. Ich glaube, man wird einige verurteilen, um sich zu rechtfertigen.Ich habe ein ruhiges Gewissen, ich war nie in der ETA und habe auch nicht vor, ihr beizutreten. Vielleicht aber lassen die Richter auch Gerechtigkeit walten und sprechen alle frei. Aber werden sie es wagen, den Staat, die Guardia Civil ganz nackt dastehen zu lassen?

* Aus: Neues Deutschland, 15. Dezember 2009


Prozeßfarce in Madrid

Verfahren gegen fünf Mitarbeiter der verbotenen baskischen Tageszeitung Egunkaria

Von Ingo Niebel, Madrid **

In Madrid beginnt am heutigen Dienstag ein Gerichtsverfahren, das eigentlich gar nicht stattfinden dürfte: der Prozeß gegen fünf ehemalige Verlagsmitarbeiter und Journalisten der Tageszeitung Egunkaria. Im Vorfeld hatte sogar die Staatsanwaltschaft zweimal die Einstellung des Verfahrens wegen Mangels an Beweisen gefordert. Daß der Prozeß trotzdem stattfindet, hat politische Gründe. Damit sollen die Willkür des Anti-ETA-Kampfes kaschiert und der Ruf der einflußreichen Zivilgarde gerettet werden, da deren Ermittlungen zur Schließung der Zeitung führten. Bei einer Einstellung des Verfahrens hätten die Betroffenen sofort eine Entschädigung einklagen können. Die Anklage lautet auf Zugehörigkeit zur Untergrundorganisation Euskadi Ta Askatsuna (ETA, Baskenland und Freiheit) und Geldwäsche. Mit auf der Anklagebank sitzen der Sprachwissenschaftler Joan Mari Torrealdai, der erst kürzlich ordentliches Mitglied der Akademie der baskischen Sprache wurde, der Journalist Xabier Oleaga und der Jesuit Txema Auzmendi.

Der Prozeß geht auf eine Polizeiaktion zurück, die am 20. Februar 2003 stattfand und zur Schließung der einzigen vollkommen auf baskisch erscheinenden Tageszeitung führte. Die Zivilgarde nahm damals zehn Personen fest. Vier von ihnen – darunter der Chefredakteur Martxelo Otamendi – zeigten später Folter in der sogenannten Incomunicado-Haft an. »Wir baten sie, uns endlich umzubringen«, faßte der Journalist damals sein Martyrium zusammen. In jenen fünf Tagen des Polizeigewahrsams darf ein Verdächtiger keinen Kontakt zur Familie oder zu einem Vertrauensanwalt haben. Die Audiencia Nacional, das Sondergericht für Terror- und Drogendelikte, ging den Foltervorwürfen gegen die Zivilgarde nicht nach, obwohl ihr Starrichter Baltasar Garzón gerade wegen der systematischen Mißhandlung von Gefangenen im US-Lager Guantánamo ermittelt. Statt dessen belegten die Madrider Richter die Verdächtigen mit drastischen Maßnahmen: nach der Folter und einer langen Untersuchungshaft mußten sie ihre Reisepässe abgeben und hohe Kautionen hinterlegen. Im Fall des Angeklagten Iñaki Urria beläuft diese sich auf 450000 Euro.

** Aus: junge Welt, 15. Dezember 2009


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