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Verluste in Milliardenhöhe

Im Unterschied zu ihrer Regierung wollen viele Spanier marode Finanzinstitute abstürzen lassen

Von Ralf Streck, San Sebastián *

Das Wahrzeichen der spanischen Bankenkrise ist die Bankia Bank, denn deren Rettung hat das Land zum Hilfsantrag gezwungen. 2010 entstand sie aus der Fusion von sieben Sparkassen, wozu 4,5 Milliarden Euro Steuergeld flossen, was den Absturz aber nicht aufhielt. Im Mai wurde die viertgrößte Bank verstaatlicht und braucht nun weitere 19 Milliarden Euro, die nun aus dem europäischen Rettungsfonds kommen sollen.

Aber auch drei schon zuvor verstaatlichte Geldhäuser und andere Banken brauchen Milliarden, um Verluste und faule Kredite abzusichern. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und private Prüfungsgesellschaften haben einen Kapitalbedarf von 40 bis 62 Milliarden Euro ermittelt. Dass es dabei bleibt, ist ungewiss, denn die Prüfer sprechen davon, dass im spanischen Bankensystem Verluste von 270 Milliarden Euro drohen. Für ihre Schnelltests haben sie zudem optimistisch angenommen, dass 2012 die Arbeitslosigkeit den Höhepunkt erreicht, wofür es keine Hinweise gibt. Bei steigender Arbeitslosigkeit fielen neue Kredite aus. Dabei ist die Quote der notleidenden Darlehen offiziell bereits auf fast neun Prozent gestiegen. Sogar die Prüfer geben zu, ihre Berechnungen basierten auf Daten der Banken, die »nicht überprüft« worden seien. »Für die sachliche Richtigkeit dieser Informationen gibt es keine Garantien.« Dass nur bei Bankia eine kreative Buchführung üblich war, glaubt niemand.

Im Rettungsantrag wird eine Summe von bis zu 100 Milliarden Euro genannt. Eine erste Tranche von 30 Milliarden Euro soll ausgezahlt werden, wenn akute Notfälle bei Banken auftreten. Der größte Teil der Nothilfe wird nach einer vorläufigen Einschätzung bis Ende des Jahres fließen. Das Programm hat eine Laufzeit von 18 Monaten, die damit verbundenen Kredite an das Land eine durchschnittliche Laufzeit von 12,5 Jahren.

Spanien hätte sich das Geld - wenn überhaupt - nur für einen hohen Zinssatz von mehr als sechs Prozent an den Kapitalmärkten leihen können. Günstiger sollen die Mittel nun aus dem Euro-Rettungsfonds EFSF kommen, bis der dauerhafte ESM-Rettungsschirm zur Verfügung steht. Im Gegenzug muss das Land bis Ende 2014 sein Defizit unter drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts senken. In diesem Jahr wird ein Defizit von 6,3 Prozent erwartet.

Weil Spanien bisher nur eine Bankenrettung beantragt hat, tut die konservative Regierung so, als wäre die nicht an harte Auflagen gebunden. Die Wirtschaftsprofessorin Miren Etxezarreta erklärte dem »nd«, dass Spanien bereits präventiv viele Auflagen umgesetzt habe. Das Renteneintrittsalter wurde auf 67 angehoben, Löhne im öffentlichen Dienst gesenkt, Stellen gestrichen, Steuern erhöht und die Schere am Bildungs- und Gesundheitssystem angesetzt.

Letzte Woche wurden die letzten Brüsseler »Empfehlungen« in ein Dekret gegossen. Die Mehrwertsteuer wird von 18 auf 21 Prozent erhöht, das Weihnachtsgeld im öffentlichen Dienst gestrichen, das Arbeitslosengeld gekürzt. Zugleich sinken die Sozialversicherungsbeiträge für Unternehmer. Erwartet wird, dass der Konsum weiter einbricht. Der IWF hat nun die Prognose für 2013 korrigiert und erwartet für Spanien ein weiteres Rezessionsjahr.

Viele Spanier wollen marode Banken »abstürzen lassen«, damit die neue Bankenrettung nicht erneut auf die einfache Bevölkerung abgewälzt wird. Die »Empörten-Bewegung« wird heute mit den Gewerkschaften in 80 Städten gegen die Sparpläne auf die Straße gehen, wozu sogar Vereinigungen von Polizisten, Militärs und Richtern aufrufen. Zudem haben die »Empörten« und eine kleine Partei gegen die abgesetzte Bankia-Führung geklagt. Am Montag wird in einer Verhandlung eine Vorentscheidung fallen. 33 Banker, darunter Ex-Chef Rodrigo Rato, einst Vizeministerpräsident der Konservativen, werden unter anderem Betrug, Bilanzfälschung und Urkundenfälschung vorgeworfen.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 19. Juli 2012


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