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Kein Volk liebt die Besatzer

Vor 200 Jahren: Der Aufstand des spanischen Volkes gegen Napoleon – Geburt des Guerillakrieges

Von Reiner Tosstorff *

Es ist sicher eines der berühmtesten Anti-Kriegsbilder, das Francisco Goya von den Erschießungen malte, mit denen Napoleons Besatzungstruppen in Madrid den Aufstand der Bevölkerung blutig niederschlugen. Jetzt wurde es zum 200. Jahrestag vom Madrider Prado-Museum aufwändig restauriert und ist zusammen mit weiteren Bildern des Malers, für den der Befreiunskampf von 1808 bis 1814 ein großer Einschnitt in seinem künstlerischen Wirken war, in einer Sonderausstellung zu sehen.

Dass es zu einer solchen Gegenwehr kommen würde, damit hatte der Kaiser der Franzosen nicht gerechnet. Seine Truppen hatten bis dahin noch jeden Widerstand auf dem Kontinent niedergerungen. Zudem galt Spanien als eine kaum noch ernst zu nehmende Macht. Zwar herrschte es noch immer über weite Teile Mittel- und Südamerikas. Von den Silberlieferungen aus den Kolonien war das Land abhängig. Nur sie ermöglichten es, den Schein des Weltreichs aufrechtzuerhalten. Denn die spanische Wirtschaft lag schon seit Jahrhunderten darnieder.

Nach Beginn der französischen Revolutionskriege hatte man in Madrid geschwankt: Einerseits gab es die Solidarität der »gekrönten Häupter«; in Madrid saß, wie in Frankreich, ein Zweig der Bourbonen auf dem Thron. Andererseits war Spaniens größter Herausforderer das aufstrebende britische Weltreich. Schon seit Jahrhunderten hatte die englische Flotte immer wieder spanische Edelmetalltransporte überfallen. Nun wollte Großbritannien Spaniens Kolonien auch als Absatzmarkt für seine aufstrebende Industrie. So schien nach dem Sturz der Jakobiner ein Bündnis mit Frankreich möglich. Dafür bezahlte Spanien 1805 in der Seeschlacht von Trafalgar mit dem Verlust seiner Flotte. Daraufhin richtete Napoleon den nächsten Angriff gegen den britischen Verbündeten Portugal und verlegte 1807 Truppen nach Spanien.

Angesichts dynastischer Verwicklungen zwischen König Karl IV. und seinem Sohn Ferdinand, der sich anstelle des Vaters zum König ausrufen ließ, und vor dem Hintergrund des allgemeinen Verfalls im Lande sah Napoleon schließlich die Gelegenheit zur Schaffung eines Satellitenstaates auf der Iberischen Halbinsel unter seinem Bruder Joseph gekommen. Er würde den Spaniern Fortschritt bringen und deshalb sicher auf große Zustimmung bauen können. Ferdinand VII. wurde zum Thronverzicht bewegt und mit einem luxuriösen Exil in Frankreich entschädigt. Joseph verkündete ein ambitioniertes Reformprogramm zur Überwindung der Rückständigkeit des Landes. Die Macht der privilegierten Stände, vor allem der Kirche, sollte drastisch eingeschränkt, die Inquisition abgeschafft, die Landwirtschaft angeregt werden, Gewerbefreiheit und Rechtssicherheit wurden versprochen. Doch während in Deutschland das napoleonische Reformprogramm auf Zuspruch bei den gesellschaftlichen Schichten traf, die auf einen Ausweg aus feudaler Zurückgebliebenheit hofften, war Spanien zu unentwickelt, als dass über aufgeklärte Teile der Staatsbürokratie hinaus breite Schichten für eine »Umwälzung von oben« bereit gestanden hätten; erst recht nicht, wenn sie als Fremdherrschaft daherkam.

Am 2. Mai 1808 erhob sich die Bevölkerung der Hauptstadt spontan. Die Antwort der französischen Besatzungsmacht war blutig. Hunderte wurden niedergemacht. Das war das Signal zu einer breiten Aufstandsbewegung, die in den Folgemonaten das Land überzog. Im Juli erlitt das bis dahin als unschlagbar geltende französische Heer durch die reguläre spanische Armee eine emfpindliche Niederlage beim andalusischen Bailen, was in ganz Europa ein großes Echo fand. Der völlig überraschte Napoleon musste nun seine besten Truppen nach Spanien schicken. Gegen diese entwickelte sich aus dem Volkswiderstand heraus ein Krieg neuen Typus. Der »kleine Krieg«, spanisch: Guerilla, war geboren. Wo immer es das Gelände erlaubte, bildeten sich Guerilla-Einheiten. Ihre Anführer wurden schnell legendär, wenn es ihnen gelang, daraus strukturierte Verbände zu machen, die auch auf die Bevölkerung Rücksicht nahmen, also auf Raubzüge und Plünderungen verzichteten.

Die französische Armee antworte mit brutalen Gegenmaßnahmen, wie sie in der Folgezeit für Okkupationstruppen in einem solchen »asymmetrischen« Krieg, wie er heute genannt wird, typisch wurden. Raub und Vergewaltigung stachelten aber den Hass der Patrioten gegen die Fremdherrschaft nur noch mehr an. Joseph Bonaparte, durchaus ein Mann in der Tradition der Aufklärung, bat seinen Bruder um eine andere Kriegsführung zur »Gewinnung der Herzen der Spanier«. Auch wünschte er finanzielle Mittel, um seine Reformen in Gang zu setzen. Doch für den Kaiser der Franzosen war Spanien nur ein Nebenkriegsschauplatz, während er die Invasionsarmee für Russland aufstellte. Und Geld sollte sowieso aus den besetzten Gebieten kommen, nicht umgekehrt.

Die Volksbewegung brach – gegen die ursprüngliche Absicht vieler ihrer Teilnehmer – mit den Grundlagen der »alten Gesellschaft«. Nicht dynastische Streitereien waren es, die dem Kampf gegen den oktroyierten Monarchen Anstoß gegeben hatten. Der Widerstand begründete sich im demokratischen Prinzip der »Souveränität der Nation«. Das führte als Ersatz für die nun nicht mehr funktionsfähige Monarchie zur Bildung regionaler Juntas, die sich zusammenschlossen, auch wenn ihre Autorität nur als Stellvertretung für den in französischer »Haft« befindlichen legitimen Monarchen gesehen wurde. Folgerichtig kam es zu einer für das Land ungeheuerlichen Neuerung: Wenn auch nach einem Wahlrecht mit starken Beschränkungen wurde eine Nationalversammlung oder, wie sie auf Spanisch hieß, Cortes gewählt, die in der von den Franzosen nicht besetzten andalusischen Hafenstadt Cadiz zusammentrat. Dort verkündete man 1812 eine weitgehend auf den Prinzipien der Volkssouveränität beruhende Verfassung. Zum ersten Mal tauchte der Begriff »liberal« auf, der dann in die politische Sprache der ganzen Welt eingehen sollte; im heutigen Sprachgebrauch ist er allerdings seiner einstmals subversiv-revolutionären Wurzeln entledigt.

Die Bewegung gegen die Fremdherrschaft beruhte auf einem breiten und auf den ersten Blick überraschenden Bündnis, das von Angehörigen der alten Feudalklassen, die Angst vor dem »Mob« hatten und die Bewegung unter ihre Kontrolle zu bringen versuchten, bis zu den verarmten Volksklassen reichte. Der spanische Befreiungskampf war Teil der anti-napoleonischen Kriege. Großbritannien entsandte ein Heer unter dem zukünftigen Herzog von Wellington. 1813 gelang es, die Invasoren von der Iberischen Halbinsel zu verjagen. Inzwischen hatte Napoleon seine große Niederlage in Russland erlitten und sollte bei Leipzig seine Armee verlieren. Der spanische Kriegsschauplatz hatte über Jahre Truppen gebunden, was Napoleon im Exil für seine Niederlage verantwortlich machte.

Doch weit darüber hinaus, liefert Spaniens Freiheitskampf Lehren, die noch heute gültig sind: Kein Volk liebt eine »Befreiung« von außen, trete sie auch mit noch so vielen Versprechungen und Ankündigungen grundlegender Veränderungen auf.

* Aus: Neues Deutschland, 24. Mai 2008


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