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Jugoslawien: Albanische Terroristen geben keine Ruhe

Droht ein neues Kosovo in Südserbien?

Das Drehbuch ist dem Drama um das Kosovo 1998/99 nachempfunden. Eine albanische "Befreiungsarmee von Presevo, Medvedja und Bujanovac" (UCPMB) schickt sich an, in die Fußstapfen der UCK zu treten, die sehr erfolgreich erst einen Partisanenkampf gegen die jugoslawische Staatsmacht im Kosovo und dann mit Hilfe der NATO einen regelrechten Krieg gegen dieselbe Staatsmacht geführt und gewonnen hat. Das von der UNO verwaltete, von NATO-Truppen (und einigen Kontingenten anderer Staaten, die aber nicht so ins Gewicht fallen) besetzte und von ehemaligen UCK-Kämpfern beherrschte Kosovo, offiziell noch eine serbische Provinz, hat sich zu einer selbstständigen administrativen Einheit mit "eigener" Währung (wenn die D-Mark als "eigene" Währung durchgeht) und gegenüber dem übrigen Serbien streng bewachten Grenzen gewandelt. Auch in UNO-Kreisen kann man sich kaum noch vorstellen, dass die Provinz jemals wieder ein Stück von Serbien sein wird. Eher ist ein Anschluss an den Wunschnachbarn Albanien denkbar.

Die UCPMB operiert ein paar Kilometer außerhalb des Kosovo, im südserbischen Presevo-Tal. Von den 100.000 Menschen, die hier in den drei Gemeindebezirken Presevo, Medvedja und Bujanovac leben, dürften schätzungsweise 70 Prozent ethnische Albaner sein. Ziel der selbst ernannten Befreiungsarmee ist es, die Bevölkerungsmehrheit von der Belgrader "Herrschaft zu befreien" und an ein unabhängiges Kosovo, möglicherweise später auch an Albanien anzuschließen.

Die Bedingungen für die UCPMB sind nicht einmal so schlecht. Nach dem Friedensabkommen, dem Belgrad im Juni 1999 zustimmen musste, wurde an der Demarkationslinie zwischen dem Kosovo und dem übrigen Serbien eine so genannte "ground security zone" gebildet, eine Art Pufferzone von fünf Kilometer Breite. Das Gebiet ist für die jugoslawische Armee Sperrgebiet. Aufhalten dürfen sich nur jugoslawische Polizeikräfte mit leichter Bewaffnung. Und in eben dieser Pufferzone hat sich die UCPMB eingenistet, mit schweren Waffen, Fahrzeugen und einem "Hauptquartier" bei Trnovac, das von einem Hauptmann Lleshi befehligt wird. Dessen "Leistungen" werden in einer Reportage der Süddeutschen Zeitung wie folgt beschrieben:
"Lleshi zählt mittlerweile sieben gefallene UCPMB-Kämpfer, dazu acht getötete Zivilisten. Auf der anderen Seite haben die Kämpfe elf serbische Uniformierte und acht Zivilisten das Leben gekostet. Eskaliert war die Gewalt im November, als die UCPMB drei serbische Polizisten gefangen genommen, gefoltert und ermordet hatte. Danach zog sich die serbische Polizei ganz aus der Pufferzone zurück, und die UCPMB erklärte das Grenzland zum 'befreiten Gebiet'. 'Wir haben hier alles unter Kontrolle, jede Kleinigkeit', prahlt Lleshi." (SZ, 16.02.2001)

Lleshi gibt die Zahl seiner "Kämpfer" mit 25.000 an. Das wären im nördlichen Teil des Presevotals, in dem er kommandiert, alle albanischen Einwohner! Objektivere Schätzungen, die nur die kampffähigen Männer mitzählen, kommen auf etwa 5.000 UCPMB-Kämpfer. auch eine stattliche Zahl, der auf serbischer Seite tatsächlich wenig entgegenzusetzen ist. Quellen:
Peter Münch, Im Süden Serbiens: Die jüngste Front des Balkans. In: Süddeutsche Zeitung, 16. Februar 2001;
diverse Zeitungsartikel aus der Frankfurter Rundschau, der Neuen Zürcher Zeitung, der Süddeutschen Zeitung, der jungen welt, dem österreichischen "Standard" und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Dezember 2000 bis Februar 2001).

Im Süden Serbiens: Die jüngste Front des Balkans Kommandant Kalaschnikows heilige Mission Mit kühler Berechnung befehligt er die Kämpfer der neuen albanischen Befreiungsarmee – an der Grenze zum Kosovo hat das Leichenzählen kein Ende / Von Peter Münch Trnovac, im Februar – Es gibt viel Arbeit an der Front. Oben aus den Wäldern dringt von Zeit zu Zeit Gefechtslärm herunter, unten müssen Gräben ausgehoben, Stellungen mit Sandsäcken befestigt und, so viel Zeit muss sein, schwarze Springerstiefel auf Hochglanz poliert werden. Es könnte ja sein, dass Lleshi vorbeischaut, der Kommandant, und der mag keine Schlamperei. Eine „professionelle Armee“ will er befehligen, hat er gesagt, und Lleshis Wort gilt. Die Männer der albanischen „Befreiungsarmee von Presevo, Medvedja und Bujanovac“(UCPMB) sind sehr beschäftigt in diesen Tagen – meistens mit sich selbst, doch immer öfter auch mit dem Feind. Der Feind, das sind serbische Polizei- und Armee-Einheiten. Die stehen hier in Trnovac im Süden Serbiens nicht einmal 200 Meter entfernt, heben Gräben aus, befestigen Stellungen. Ausgebaut wird die jüngste Front auf dem kriegerischen Balkan, und es ist noch nicht klar, ob hier nur ein Nachgefecht des Kosovo-Konfliktes geführt wird oder ob die täglichen Schießereien womöglich das Vorgefecht sind zu einem neuen Krieg. Inspektion im weißen Jeep „Natürlich sind wir im Krieg“, sagt Kommandant Lleshi. „Das weiß doch die ganze Welt.“ Seine Welt sind die Hügel rund um Trnovac, die er tagtäglich auf dem Beifahrersitz seines weißen Kommandanten-Jeeps inspiziert. Weltläufigkeit demonstriert er in seinem Hauptquartier mit einem amerikanischen Banner auf dem Schreibtisch und einer chinesischen Kalaschnikow in der Hand. Und wenn er anhebt, die Welt zu erklären, dann sieht er in seiner grünen Uniform und dem tiefschwarzen, buschigen Bart nicht nur aus wie der junge Fidel Castro, sondern er redet auch so: ausschweifend und enorm ausdauernd. Seine Mission, die er „heilig“ nennt, sieht er darin, „Gerechtigkeit“ für die Albaner zu schaffen. Frei nach Castro lautet sein Credo: Freiheit oder Tod. Für mehrere seiner Männer hat sich der zweite Teil schon erfüllt. Die Welt außerhalb von Trnovac allerdings weiß weit weniger über diesen neuen Konflikt im südserbischen Hügelland, als der stolze Lleshi glauben mag. Und wer an den höheren Stellen der Nato oder der Vereinten Nationen nun damit befasst ist, ist meist ratlos. Der Kern der Konfrontation liegt darin, dass jenseits der Grenzen des Kosovo im Presevo-Tal eine albanische Bevölkerungsmehrheit lebt. Sie stellt 70 Prozent der insgesamt 100 000 Einwohner in den drei Gemeindebezirken Presevo, Medvedja und Bujanovac. Ziel der Befreiungsarmee ist es, die Albaner auch hier von der Belgrader Herrschaft zu lösen und im Idealfall an einen unabhängigen Kosovo anzuschließen. Schneider und König Die Aussicht, dass nun auch noch aus Südserbien der Ostkosovo werden könnte, hat in Belgrad natürlich Politiker und Generäle aufgeschreckt, weshalb mittlerweile beträchtliche Truppenkontingente in der Region stationiert sind. Ihre Zahl und Stärke ist ein Geheimnis. Versichert wird jedoch, dass es „genug“ seien für die Herausforderung durch die UCPMB. Tatsächlich sieht man die Uniformierten überall patrouillieren, und in den Hügeln haben sie ihre Panzer eingegraben. Kommandant Lleshi aber hat keine Angst, denn er weiß, dass Belgrad ein Problem hat. Das Problem trägt das Kürzel „GSZ“, was für „ground security zone“ steht. Dies ist eine im Kosovo-Friedensvertrag fest geschriebene Pufferzone zwischen dem Kosovo und Serbien. Fünf Kilometer breit zieht sie sich entlang der Grenze. Die jugoslawische Armee darf hier nicht rein, erlaubt ist nur Polizei mit leichter Bewaffnung. Und so ist die Pufferzone mit ihren Wäldern und einigen staubigen Dörfern das Reich des Kommandanten Lleshi und seiner schwer bewaffneten Rebellen geworden. Im früheren Leben war der Kommandant ein Schneider in Trnovac. Nun ist er hier unter seinem Kriegsnamen Lleshi, was übersetzt „der Haarige“ bedeutet, der König. Sein Reich ist nicht groß, denn die UCPMB ist eingezwängt zwischen der KFOR-Friedenstruppe im Westen und den Serben im Osten, die sich exakt an der Grenzlinie zur Pufferzone aufgebaut haben. Doch sein Hauptquartier ist das stattlichste Haus in dem mit stattlichen Häusern nicht gerade gesegneten Trnovac – drei Stock hoch, sogar verputzt, mit einer Sprechanlage an der Klingel und einer Satellitenschüssel auf dem Dach. Dass die Häuser rund herum in diesem auf 10 000 Einwohner gewucherten Dorf so deutlich abfallen gegen Lleshis Hauptquartier, ist einer der Gründe, warum die UCPMB die Männer zu den Waffen gerufen hat. „Wir haben hier keine Kanalisation, keine Wasserversorgung, kein Telefon und keine einzige Fabrik“, sagt Lleshi. Nach einem kurzen Erzählschlenker zu illyrischen Vorfahren und historischen Ungerechtigkeiten zeigt er aus dem Fenster zu einem serbischen Dorf auf dem Hügel und klagt: „Die haben das alles, wo ist da die Gerechtigkeit?“ Gerecht ist das nicht, und die Albaner im Presevo-Tal haben unter dem Apartheidsregime des Slobodan Milosevic gewiss ebenso gelitten wie ihre Brüder im Kosovo. „Jetzt wollen auch wir unsere Freiheit“, sagt Lleshi, „und wir sind auf eine militärische Lösung vorbereitet“. Dafür stehe er ein als Kommandant der „UCPMB-Brigade 112 Sherif Janusi und Enver Bajrami“. Die Truppe trägt den Namen zweier Helden, die den Ruhm ihrem frühen Tod verdanken. Lleshi zählt mittlerweile sieben gefallene UCPMB-Kämpfer, dazu acht getötete Zivilisten. Auf der anderen Seite haben die Kämpfe elf serbische Uniformierte und acht Zivilisten das Leben gekostet. Eskaliert war die Gewalt im November, als die UCPMB drei serbische Polizisten gefangen genommen, gefoltert und ermordet hatte. Danach zog sich die serbische Polizei ganz aus der Pufferzone zurück, und die UCPMB erklärte das Grenzland zum „befreiten Gebiet“. „Wir haben hier alles unter Kontrolle, jede Kleinigkeit“, prahlt Lleshi. Die Zahl seiner Kämpfer gibt er mit 25 000 an. Er sagt das nicht ohne Triumph, doch genau genommen ist das die Zahl aller albanischen Einwohner im nördlichen Teil des Presevo-Tals. Zieht man also die Alten, die Gebrechlichen, die Frauen, die Kinder und all die andern ab, die trotz ihrer Wut auf die Serben ein friedliches Leben vorziehen, dann kommen objektivere Schätzungen auf maximal 5000 Rebellen, aufgeteilt auf fünf UCPMB-Brigaden. Die Zahlen gehen jedoch stetig nach oben, wozu die Rebellen offenbar auch durch Zwangsrekrutierungen nachhelfen. Jedenfalls gibt es Väter in der Gegend, die ihre Söhne aus Angst vor deren Einberufung ganz schnell ins Ausland schicken. Auch Deserteure haben sich schon nachts über die Grenze in den gelobten Kosovo zu amerikanischen KFOR-Stellungen geflüchtet. Die meisten der UCPMB-Kämpfer jedoch tragen die Uniform mit Stolz. Jeder hat seinen persönlichen Grund, nun endlich mit den Serben abzurechnen: weil ihm die Arbeit genommen, weil die Tante malträtiert oder der Onkel getötet wurde, oder weil es ganz einfach die nationale Ehre verlangt. In Trnovac bewegen sich die Kämpfer wie Fische im Wasser, ehrfürchtig gegrüßt von den jungen Burschen auf der Straße und eskortiert von einer Schar von Kindern, die aus Holzgewehren ballernd neben ihnen her laufen. Die Bevölkerung spendet, Leshi führt Buch darüber in einer dicken Kladde, und das Geld wird eingesetzt für das, was sie hier am nötigsten zu brauchen glauben: für Waffen. Da wenigstens herrscht kein Mangel. Aus einer Schreibtisch-Schublade zieht der Kommandant zwei Pistolen. Die eine will er für 300 Mark einem serbischen Offizier abgekauft haben. Sie trägt den Stern der Bundesrepublik Jugoslawien auf dem Knauf. Die andere stamme von einem russischen KFOR-Soldaten. Im Rahmen seiner kleinen Waffenschau holt Lleshi noch ein Schnellfeuergewehr aus der Vitrine – „mit Schalldämpfer“ für 800 Mark. „Und wenn ich will“, sagt er, „kann ich auch einen Panzer kaufen“. Ein ansehnliches Arsenal aus diversen Quellen ist da also entstanden in der eigentlich entmilitarisierten Pufferzone. Die meisten Waffen dürften jedoch aus Beständen der alten Kosovo-Befreiungsarmee UCK stammen. Die ist zwar offiziell von der KFOR entwaffnet und aufgelöst worden. Aber jeder weiß, dass sie einen Großteil ihres Kriegsgerätes eingebunkert hatte – für schlechte Zeiten oder eine gute Sache wie den Befreiungskampf der Albaner in Südserbien. Der Transport durch die amerikanischen Checkpoints hindurch in die Pufferzone lief lange Zeit ziemlich ungestört, und es finden sich seriöse Informanten, die darauf verweisen, dass den USA eine Destabilisierung des Milosevic-Regimes von Südserbien her durchaus ins Konzept gepasst hätte. Mittlerweile wird auf den Verbindungsstraßen scharf kontrolliert. Wagenladungen an Waffen und Sprengstoff sind beschlagnahmt worden. Die UCK stellt neben den Waffen noch Personal. Auch Lleshi hatte sich dort die ersten Meriten erworben. Jetzt baut er jenseits der Grenze eine Zwillingsorganisation auf. Die Kämpfer tragen das gleiche Emblem auf ihren Uniformen: Goldene Buchstaben umrahmen auf blutrotem Grund den albanischen Doppelkopfadler. Sie wenden die gleiche Guerillataktik an: Einzelne Kommandos überfallen serbische Stellungen und ziehen sich dann zurück. Und genau wie weiland die UCK weiß auch die UCPMB, dass sie allein nichts wird ausrichten können. Ziel ist es also, die Serben derart zu provozieren, dass sie derb zurückschlagen und die internationale Gemeinschaft Partei ergreift für die Albaner. Lleshi und seine Männer wollen erzwingen, dass sich die Geschichte wiederholt. Doch die Geschichte hat sich weitergedreht, während sie sich zum Kämpfen in die Wälder zurückgezogen hatten. Heute regiert in Belgrad nicht mehr Slobodan Milosevic, sondern die vormalige Opposition unter Vojislav Kostunica und Zoran Djindjic. Für Kommandant Lleshi sind sie zwar vom gleichen Schlag wie Milosevic, aber die internationalen Sympathien sind nun plötzlich mehr bei den Serben als bei den Albanern. Gemartert und gemordet Gewiss gibt es unter den serbischen Generälen genügend, die es drängt, mit den Rebellen aufzuräumen. Doch die Regierung agiert recht klug und hat in diesen Tagen einen dreistufigen Friedensplan für das Presevo-Tal vorgelegt: Erstens sieht er eine Achtung der Minderheitenrechte und eine Integration der Albaner in das politische System inklusive Regierungsposten vor. Zweitens verlangt er eine beiderseitige Entmilitarisierung, und drittens verspricht er eine „wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Wiederbelebung der Region“. Die Albaner müssten eigentlich nur noch unterschreiben, meint Milovan Coguric. Er ist Staatssekretär im jugoslawischen Verteidigungsministerium und als Speerspitze einer Belgrader Charme-Offensive nach Bujanovac gereist. Hier beteuert er den neuen Abscheu vor militärischen Lösungen und den Willen zum Dialog, was er auf die Formel bringt: „Kugelschreiber statt Gewehre.“ Jenseits der Fronten wird aber nicht nur verhandelt, sondern es tobt auch ein Medienkrieg. Die Serben haben in Bujanovac eine „Press Centar“ eingerichtet, in dem sie auf vielen Farbfotos die Bluttaten der „albanischen Terroristen“ dokumentieren. Und auf der anderen Seite der Kampflinie führt auch Kommandant Lleshi einen Fotostapel bei sich. Zu sehen sind jeweils gemarterte und gemordete Menschen, abgetrennte Gliedmaßen und Kinder in blutverschmierten Kleidern. Die Bilder gleichen sich, und gleich klingen auch die Anschuldigungen an die Gegenseite. Zwei Wahrheiten werden präsentiert – eine serbische und eine albanische. Wahr ist auf jeden Fall, dass wieder gekämpft wird an der Grenze zum Kosovo, dass es Tote gibt auf beiden Seiten und dass das Leichenzählen so schnell kein Ende nehmen wird. Aus:Süddeutsche Zeitung, 16. Februar 2001