Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Europas Giganten im Kampf um Zypern

Auf der Mittelmeerinsel im Visier der Troika: Russland und die Russen

Von Hannes Hofbauer, Nikosia *

Zyperns Banken standen vor einem Jahr kurz vor der Pleite und damit der ganze Staat. Einer der größten Investoren dort war und ist Russland, nicht gerade zur Freude der Troika aus EU, EZB und IWF.

Von der Europäischen Universität, die erst vor kurzem Teil eines privaten US-amerikanischen Bildungskonzerns geworden ist, führt der Weg vorbei an den ausladenden Gärten des Metochien-Klosters in eines der typischen Mittelstandsquartiere der Stadt. Wir befinden uns im griechischen Teil des geteilten Nikosia, von den Einheimischen Lefkosia genannt, und wir schreiben das Jahr eins nach dem tiefsten Krisenschnitt, den ein Land der Eurozone bisher durchmachen musste.

Das Begriffspaar »Bail-out« und »Bail-in« hat längst den griechischen Wortschatz erreicht, wie es auch die deutsche Sprache gerade erobert. Mit »Raushauen« und »Reinhauen« liegen weitgehend unbenützte Übersetzungsvorschläge vor, die die beiden Alternativen im Umgang mit dem Kollaps der zyprischen Banken beschreiben. Beide kamen im März 2013 zum Einsatz. Um den Staatsbankrott zu verhindern, ließen Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) an harte Konditionen geknüpfte frische Kredite fließen und hauten damit das Euroland raus; die auffälligste dieser Bedingungen bestand darin, die zyprischen Sparbuchinhaber und die meisten ausländischen Investoren und Spekulanten, allen voran die russischen, dafür ordentlich zur Kasse zu bitten, also reinzuhauen. Bail-out war ohne Bail-in nicht zu haben.

Vor den meisten Villen im Stadtteil Engomi parken – anders als in ärmeren Stadtvierteln, wo viele Häuser zum Verkauf stehen – durchschnittlich zwei hochpreisige Pkw, einer davon als Überlandfahrzeug mit Vierradantrieb ausgestattet. Die Schlagbäume vor den Zufahrten haben symbolischen Charakter, selbst die Fenster im Parterre bleiben meist gitterlos. In den Gärten kehren philippinische oder srilankische Hausangestellte die steinernen Platten der Fußwege. Der erste Augenschein vermittelt einen friedlichen Eindruck, soziale Spannungen scheint es kaum zu geben, auch keine Furcht vor Einbrechern.

Die Russen in Zypern, deren Zahl auf 40 000 geschätzt wird, leben in Villengegenden rund um Limassol, aber auch in Nikosia trifft man auf eine ansehnliche Gemeinde. Im Stadtpark haben sie sich rund um ein Denkmal Juri Gagarins versammelt und feiern gemeinsam den Jahrestag des ersten bemannten Weltraumfluges.

Entlang der Einkaufsstraßen schlägt einem dann die Auswirkung der Katastrophe vom 25. März 2013 entgegen, dem Tag, als die zypriotische Regierung dem Druck der »Troika« aus EU-Kommission und Europäischer Zentralbank und IWF nachgab und die Schließung bzw. Teilschließung der zwei größten Banken des Landes beschloss. Von einem Tag auf den anderen waren sämtliche Einlagen blockiert, die über 100 000 Euro betrugen. Der gesamte Kapitalverkehr wurde – auf Jahre – der suprastaatlichen Kontrolle durch EU und IWF unterworfen. In diesem Frühjahr steht jedes dritte Geschäftslokal in den Einkaufsstraßen leer. Auch Vitrinen, hinter denen zuvor internationale Ketten wie Louis Vuitton kaufkräftiges russisches Publikum anlockten, verschmutzen, weil sich ein Offenhalten nicht einmal mehr für Nobelmarken lohnt.

Die Auseinandersetzungen um das erste Bail-in von Kontoinhabern innerhalb der Eurozone sowie die Implementierung harter Sparmaßnahmen im Zuge des Troika-Plans zur Sanierung des zyprischen Staatshaushaltes fanden auch auf dem geopolitischen Kampffeld zwischen der EU und Russland statt. Das darf angesichts der Bedeutung Zyperns für russische Investitionen nicht verwundern.

Diese fußt auf mehreren Gründen. Da war einmal die im EU-Vergleich niedrige Körperschaftssteuer von zehn Prozent, die nicht nur russisches, sondern auch griechisches, britisches und anderes Kapital angelockt hat. Des weiteren dürfen die relative geografische Nähe und gute Erreichbarkeit der Insel sowie – für russische Neureiche nicht unbedeutend – das klimatische Umfeld nicht vergessen werden. Dazu zählt neben dem Wetter – Zyperns Fremdenverkehrswirtschaft verspricht immerhin 325 Sonnentage im Jahr und Strände, wohin das Auge reicht – auch die kulturelle Nähe. Das Christentum in seiner orthodoxen, oströmischen Ausprägung ist der postkommunistischen russischen Elite bekannt, sie hat sich bestens darin eingerichtet. Und die Lockerheit der Griechisch-Zyprioten im Umgang mit Essen und – vor allem – Trinken lässt für Russen auch mehr Heimatgefühle aufkommen, als sie in protestantischen Ländern vorfinden.

Die harten wirtschaftlichen Fakten sprechen eine deutliche Sprache. Demnach waren zu Jahresbeginn 2013 – je nach Quellenlage – bis zu 85 Milliarden Euro russischen Geldes in Zypern investiert. Das sind immerhin 33 Prozent aller im Ausland getätigten Direktinvestitionen russischen Kapitals. Dazu kommen noch Bankeinlagen russischer Staatsbürger von knapp 30 Milliarden Euro, die freilich nach dem Bail-in weitgehend wertlos geworden sind. Die großen russischen Banken folgten logischerweise dem Engagement ihrer Bürger nach Zypern; sie hatten laut Schätzung der Ratingagentur Moody’s im Frühjahr 2013 circa 20 Milliarden Euro an Krediten in Zypern ausständig. Gründe und Kapital genug, damit sich Moskau in Zypern einmischte.

Also verwundert es nicht, dass der russische Finanzminister Anton Siluanow der Bitte der kommunistischen AKEL-Regierung Zyperns nachkam und im Januar 2012 einen Auslandskredit in Höhe von 2,5 Milliarden Euro locker machte. Brüssel und Washington rümpften darüber die Nase … und nützten ihre Chance am 25. März 2013, dem Tag der Beschlussfassung über das sogenannte Rettungspaket, indem sie Moskau zur Umschuldung zwangen.

Die Troika bestand gegenüber der zyprischen Regierung darauf, die Konditionen des russischen Kredites zu ändern. Seine Laufzeit wurde um zwei Jahre bis 2018 verlängert und die Zinshöhe von 4,5 auf 2,5 Prozent reduziert. Moskau blieb nichts anderes übrig, als zähneknirschend zuzustimmen. »Es war der einzige Auslandskredit, dessen Bedingungen zugunsten Nikosias geändert wurden«, weiß Alexander Apostolides von der Europäischen Universität. »Zeitgleich bestand Frankreich darauf, dass der von Paris gewährte Kredit in vereinbarter Form zurückbezahlt wurde.«

Kurz zuvor wehrte die Troika, die mittlerweile schon nicht mehr mit einer kommunistischen, sondern mit der liberalkonservativen, von DISY geführten Regierung zu tun hatte, ein weitgehendes Angebot Moskaus an Zypern ab. Nur wenige Tage vor dem großen Bail-in hatte sich der russische Energieriese Gazprom zu Wort gemeldet und bot Nikosia an, den gesamten zyprischen Bankensektor ohne Kundenschröpfung – also ohne Bail-in – zu sanieren; im Gegenzug forderte er Schürfrechte für die bislang noch nicht ausgebeuteten Gasfelder vor der Küste der Insel. Für die Europäische Union und ihren Plan zur »Rettung« des Landes war Feuer unterm Dach.

Zwei Tage später saß EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso im Flugzeug nach Scheremetjewo, um sich mit Ministerpräsident Dmitri Medwedjew zu treffen. Der hatte den Bail-in-Plan, mit dem Bankkunden – vor allem russische – zur Kasse gebeten wurden, zuvor mit Enteignungen in der Sowjetära verglichen und damit gedroht, die russische Zentralbank könnte Euroanteile an ihren Währungsreserven verringern. Es nützte alles nichts. Troika- Mitglied Barroso blieb hart, und Moskau musste klein beigeben. Freilich, es traf keine Armen. Und diejenigen unter den russischen Oligarchen, die sich einen langen Atem leisten können, richten sich in den neuen Verhältnissen mit den geänderten Spielregeln ein. »Russen schlagen zurück und übernehmen Bank of Cyprus«, titelten die »Deutschen Wirtschaftsnachrichten« am 22. August 2013. Gemeint war damit die von der Troika erzwungene Umschreibung von Kapitaleinlagen und Unternehmensanteilen.

Auf diese Weise kontrollieren russische Oligarchen mittlerweile die größte Bank des Landes, die Bank of Cyprus. Diese steht zwar unter der Kuratel des Troika-Planes und stellt derzeit keinen Wert dar, was sich aber ändern könnte. Der Chef des zypriotischen Anlegerverbandes, Michael Olympios, sieht dahinter eine Revanche, die gegen Deutschland gerichtet ist: »Die Deutschen wollten die Russen aus Zypern vertreiben, doch am Ende der Umstrukturierung des Bankensektors ist eine Aktionärsstruktur zu beobachten, die von den Russen dominiert wird, und die Regierung möchte die Russen auf der Insel halten.«

Auch organisatorisch hat sich diese Einschätzung schon niedergeschlagen. Denn Ende 2013 wählten die Aktionäre der Bank of Cyprus ihren neuen Vorstand. Von den 16 Mitgliedern wurden sechs Russen bzw. Ukrainer gewählt, einer von ihnen, Wladimir Strshalkowski, wurde neuer Vizepräsident der Bank. Strshalkowski ist Chef von Norilsk Nickel, dem weltweit größten Produzenten von Nickel und Palladium und – so heißt es in der »Neuen Zürcher Zeitung « – »ein Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin«. Das Match EU gegen Russland um Zypern ist noch nicht zu Ende.

Von Hannes Hofbauer erscheint im Oktober 2014 das Buch »Die Diktatur des Kapitals. Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter« im Wiener Promedia Verlag.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch 11. Juni 2014


Apropos "Troika" ...

Das Dreigestirn ist ohne demokratische Legitimation **

Woher bezieht das Dreigespann aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds( IWF) seine Legitimität? Eingesetzt wurde die erste Troika im Frühjahr 2010, als die Gefahr bestand, dass Griechenland aus der Eurozone ausscheren könnte. Ihr Gesellenstück gelang der Troika dann eineinhalb Jahre später, als sie gegenüber dem griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou soviel Druck aufbauen konnte, dass dieser im November 2011 die von ihm selbst lancierte Volksabstimmung über den weiteren Kurs des Landes und damit den Verbleib Griechenlands in der Eurozone von einem Tag auf den anderen absagte.

Es waren die Regierungschefs der Eurozone, allen voran Angela Merkel, die das Gremium Troika mit Geld und politischem Gewicht ausstatteten. Gefragt wurde sonst niemand, weder die nationalen Parlamente noch das EUParlament. An der Spitze der Troika stehen seither José Manuel Barroso (Präsident der EU-Kommission), Mario Draghi (Präsident der EZB) und Christine Lagarde (Chefin des IWF). Mit den drei Verhandlungsführern Matthias Mors (EU), Klaus Masuch (EZB) und Poul Thomsen (IWF) haben marktradikale Liberale den operativen Teil der Handlung übernommen, die Strukturanpassungsprogramme mit Austeritätsmaßnahmen koppeln. Mittlerweile sind es sechs Staaten, die ihre Budgethoheit und damit ihren politischen Handlungsspielraum an EU-Kommission, EZB und IWF abgegeben haben: Griechenland, Zypern, Portugal, Spanien, Irland und Italien.

Den meinungsbildenden Medien in EU-Europa gelten die Troika- Männer als Kontrolleure, deren Aufgabe es sei, die Eurozone vor der Finanz- und Wirtschaftskrise zu retten. Die fragwürdigen Mittel, die sie dazu verwenden, rufen immer wieder Kritik hervor. Bambos Papagiourgiou, Philosophieprofessor und Abgeordneter der Partei des Werktätigen Volkes Zyperns (AKEL), ist von der Illegitimität der Troika überzeugt: »Sie ist eine inoffizielle Institution, die niemand gewählt hat und sogar an der Gruppe der europäischen Finanzminister vorbei agiert, weil sie sich nur aus den Euromitgliedern zusammensetzt. Dabei gäbe es eine offizielle Institution auf EU-Ebene: den Rat für Wirtschaft und Finanzen, in dem alle Finanz- und Wirtschaftsminister vertreten sind«, meinte er gegenüber »nd«.

Hannes Hofbauer

** Aus: neues deutschland, Mittwoch 11. Juni 2014


Zurück zur Zypern-Seite

Zur Zypern-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage