Europas Giganten im Kampf um Zypern
Auf der Mittelmeerinsel im Visier der Troika: Russland und die Russen
Von Hannes Hofbauer, Nikosia *
Zyperns Banken standen vor einem
Jahr kurz vor der Pleite und damit
der ganze Staat. Einer der größten
Investoren dort war und ist
Russland, nicht gerade zur Freude
der Troika aus EU, EZB und IWF.
Von der Europäischen Universität, die
erst vor kurzem Teil eines privaten
US-amerikanischen Bildungskonzerns
geworden ist, führt der Weg
vorbei an den ausladenden Gärten des
Metochien-Klosters in eines der typischen
Mittelstandsquartiere der
Stadt. Wir befinden uns im griechischen
Teil des geteilten Nikosia, von
den Einheimischen Lefkosia genannt,
und wir schreiben das Jahr eins nach
dem tiefsten Krisenschnitt, den ein
Land der Eurozone bisher durchmachen
musste.
Das Begriffspaar »Bail-out« und
»Bail-in« hat längst den griechischen
Wortschatz erreicht, wie es auch die
deutsche Sprache gerade erobert. Mit
»Raushauen« und »Reinhauen« liegen
weitgehend unbenützte Übersetzungsvorschläge
vor, die die beiden
Alternativen im Umgang mit dem
Kollaps der zyprischen Banken beschreiben.
Beide kamen im März 2013
zum Einsatz. Um den Staatsbankrott
zu verhindern, ließen Europäische
Zentralbank und Internationaler
Währungsfonds (IWF) an harte Konditionen
geknüpfte frische Kredite
fließen und hauten damit das Euroland
raus; die auffälligste dieser Bedingungen
bestand darin, die zyprischen
Sparbuchinhaber und die
meisten ausländischen Investoren
und Spekulanten, allen voran die russischen,
dafür ordentlich zur Kasse zu
bitten, also reinzuhauen. Bail-out war
ohne Bail-in nicht zu haben.
Vor den meisten Villen im Stadtteil
Engomi parken – anders als in ärmeren
Stadtvierteln, wo viele Häuser
zum Verkauf stehen – durchschnittlich
zwei hochpreisige Pkw, einer davon
als Überlandfahrzeug mit Vierradantrieb
ausgestattet. Die Schlagbäume
vor den Zufahrten haben symbolischen
Charakter, selbst die Fenster
im Parterre bleiben meist gitterlos.
In den Gärten kehren philippinische
oder srilankische Hausangestellte
die steinernen Platten der Fußwege.
Der erste Augenschein vermittelt
einen friedlichen Eindruck,
soziale Spannungen scheint es kaum
zu geben, auch keine Furcht vor Einbrechern.
Die Russen in Zypern, deren Zahl
auf 40 000 geschätzt wird, leben in
Villengegenden rund um Limassol,
aber auch in Nikosia trifft man auf eine
ansehnliche Gemeinde. Im Stadtpark
haben sie sich rund um ein
Denkmal Juri Gagarins versammelt
und feiern gemeinsam den Jahrestag
des ersten bemannten Weltraumfluges.
Entlang der Einkaufsstraßen
schlägt einem dann die Auswirkung
der Katastrophe vom 25. März 2013
entgegen, dem Tag, als die zypriotische
Regierung dem Druck der »Troika« aus EU-Kommission und Europäischer
Zentralbank und IWF nachgab
und die Schließung bzw. Teilschließung
der zwei größten Banken
des Landes beschloss. Von einem Tag
auf den anderen waren sämtliche
Einlagen blockiert, die über 100 000
Euro betrugen. Der gesamte Kapitalverkehr
wurde – auf Jahre – der suprastaatlichen
Kontrolle durch EU
und IWF unterworfen. In diesem
Frühjahr steht jedes dritte Geschäftslokal
in den Einkaufsstraßen
leer. Auch Vitrinen, hinter denen zuvor
internationale Ketten wie Louis
Vuitton kaufkräftiges russisches Publikum
anlockten, verschmutzen, weil
sich ein Offenhalten nicht einmal
mehr für Nobelmarken lohnt.
Die Auseinandersetzungen um das
erste Bail-in von Kontoinhabern innerhalb
der Eurozone sowie die Implementierung
harter Sparmaßnahmen
im Zuge des Troika-Plans zur Sanierung
des zyprischen Staatshaushaltes
fanden auch auf dem geopolitischen
Kampffeld zwischen der EU
und Russland statt. Das darf angesichts
der Bedeutung Zyperns für russische
Investitionen nicht verwundern.
Diese fußt auf mehreren Gründen.
Da war einmal die im EU-Vergleich
niedrige Körperschaftssteuer von
zehn Prozent, die nicht nur russisches,
sondern auch griechisches, britisches
und anderes Kapital angelockt
hat. Des weiteren dürfen die relative
geografische Nähe und gute Erreichbarkeit
der Insel sowie – für russische
Neureiche nicht unbedeutend
– das klimatische Umfeld nicht vergessen
werden. Dazu zählt neben dem
Wetter – Zyperns Fremdenverkehrswirtschaft
verspricht immerhin 325
Sonnentage im Jahr und Strände,
wohin das Auge reicht – auch die kulturelle
Nähe. Das Christentum in seiner
orthodoxen, oströmischen Ausprägung
ist der postkommunistischen
russischen Elite bekannt, sie hat
sich bestens darin eingerichtet. Und
die Lockerheit der Griechisch-Zyprioten
im Umgang mit Essen und – vor
allem – Trinken lässt für Russen auch
mehr Heimatgefühle aufkommen, als
sie in protestantischen Ländern vorfinden.
Die harten wirtschaftlichen Fakten
sprechen eine deutliche Sprache.
Demnach waren zu Jahresbeginn
2013 – je nach Quellenlage – bis zu
85 Milliarden Euro russischen Geldes
in Zypern investiert. Das sind immerhin
33 Prozent aller im Ausland
getätigten Direktinvestitionen russischen
Kapitals. Dazu kommen noch
Bankeinlagen russischer Staatsbürger
von knapp 30 Milliarden Euro, die
freilich nach dem Bail-in weitgehend
wertlos geworden sind. Die großen
russischen Banken folgten logischerweise
dem Engagement ihrer Bürger
nach Zypern; sie hatten laut Schätzung
der Ratingagentur Moody’s im
Frühjahr 2013 circa 20 Milliarden
Euro an Krediten in Zypern ausständig.
Gründe und Kapital genug, damit
sich Moskau in Zypern einmischte.
Also verwundert es nicht, dass der
russische Finanzminister Anton Siluanow
der Bitte der kommunistischen
AKEL-Regierung Zyperns
nachkam und im Januar 2012 einen
Auslandskredit in Höhe von 2,5 Milliarden
Euro locker machte. Brüssel
und Washington rümpften darüber
die Nase … und nützten ihre Chance
am 25. März 2013, dem Tag der Beschlussfassung
über das sogenannte
Rettungspaket, indem sie Moskau zur
Umschuldung zwangen.
Die Troika bestand gegenüber der
zyprischen Regierung darauf, die
Konditionen des russischen Kredites
zu ändern. Seine Laufzeit wurde um
zwei Jahre bis 2018 verlängert und
die Zinshöhe von 4,5 auf 2,5 Prozent
reduziert. Moskau blieb nichts anderes
übrig, als zähneknirschend zuzustimmen.
»Es war der einzige Auslandskredit,
dessen Bedingungen zugunsten
Nikosias geändert wurden«,
weiß Alexander Apostolides von der
Europäischen Universität. »Zeitgleich
bestand Frankreich darauf, dass der
von Paris gewährte Kredit in vereinbarter
Form zurückbezahlt wurde.«
Kurz zuvor wehrte die Troika, die
mittlerweile schon nicht mehr mit einer
kommunistischen, sondern mit
der liberalkonservativen, von DISY
geführten Regierung zu tun hatte, ein
weitgehendes Angebot Moskaus an
Zypern ab. Nur wenige Tage vor dem
großen Bail-in hatte sich der russische
Energieriese Gazprom zu Wort
gemeldet und bot Nikosia an, den gesamten
zyprischen Bankensektor ohne
Kundenschröpfung – also ohne
Bail-in – zu sanieren; im Gegenzug
forderte er Schürfrechte für die bislang
noch nicht ausgebeuteten Gasfelder
vor der Küste der Insel. Für die
Europäische Union und ihren Plan zur
»Rettung« des Landes war Feuer unterm
Dach.
Zwei Tage später saß EU-Kommissionspräsident
José Manuel Barroso
im Flugzeug nach Scheremetjewo,
um sich mit Ministerpräsident
Dmitri Medwedjew zu treffen. Der
hatte den Bail-in-Plan, mit dem Bankkunden
– vor allem russische – zur
Kasse gebeten wurden, zuvor mit
Enteignungen in der Sowjetära verglichen
und damit gedroht, die russische
Zentralbank könnte Euroanteile
an ihren Währungsreserven verringern.
Es nützte alles nichts. Troika-
Mitglied Barroso blieb hart, und
Moskau musste klein beigeben.
Freilich, es traf keine Armen. Und
diejenigen unter den russischen Oligarchen,
die sich einen langen Atem
leisten können, richten sich in den
neuen Verhältnissen mit den geänderten
Spielregeln ein. »Russen
schlagen zurück und übernehmen
Bank of Cyprus«, titelten die »Deutschen
Wirtschaftsnachrichten« am
22. August 2013. Gemeint war damit
die von der Troika erzwungene Umschreibung
von Kapitaleinlagen und
Unternehmensanteilen.
Auf diese Weise kontrollieren russische
Oligarchen mittlerweile die
größte Bank des Landes, die Bank of
Cyprus. Diese steht zwar unter der
Kuratel des Troika-Planes und stellt
derzeit keinen Wert dar, was sich aber
ändern könnte. Der Chef des zypriotischen
Anlegerverbandes, Michael
Olympios, sieht dahinter eine Revanche,
die gegen Deutschland gerichtet
ist: »Die Deutschen wollten die
Russen aus Zypern vertreiben, doch
am Ende der Umstrukturierung des
Bankensektors ist eine Aktionärsstruktur
zu beobachten, die von den
Russen dominiert wird, und die Regierung
möchte die Russen auf der
Insel halten.«
Auch organisatorisch hat sich diese
Einschätzung schon niedergeschlagen.
Denn Ende 2013 wählten
die Aktionäre der Bank of Cyprus ihren
neuen Vorstand. Von den 16 Mitgliedern
wurden sechs Russen bzw.
Ukrainer gewählt, einer von ihnen,
Wladimir Strshalkowski, wurde neuer
Vizepräsident der Bank. Strshalkowski
ist Chef von Norilsk Nickel,
dem weltweit größten Produzenten
von Nickel und Palladium und – so
heißt es in der »Neuen Zürcher Zeitung
« – »ein Freund des russischen
Präsidenten Wladimir Putin«. Das
Match EU gegen Russland um Zypern
ist noch nicht zu Ende.
Von Hannes Hofbauer erscheint im Oktober
2014 das Buch »Die Diktatur des
Kapitals. Souveränitätsverlust im postdemokratischen
Zeitalter« im Wiener Promedia Verlag.
* Aus: neues deutschland, Mittwoch 11. Juni 2014
Apropos "Troika" ...
Das Dreigestirn ist ohne demokratische Legitimation **
Woher bezieht das Dreigespann
aus EU-Kommission, Europäischer
Zentralbank (EZB) und Internationalem
Währungsfonds(
IWF) seine Legitimität?
Eingesetzt wurde die erste Troika
im Frühjahr 2010, als die Gefahr
bestand, dass Griechenland aus
der Eurozone ausscheren könnte.
Ihr Gesellenstück gelang der Troika
dann eineinhalb Jahre später,
als sie gegenüber dem griechischen
Ministerpräsidenten Giorgos
Papandreou soviel Druck aufbauen
konnte, dass dieser im November
2011 die von ihm selbst
lancierte Volksabstimmung über
den weiteren Kurs des Landes und
damit den Verbleib Griechenlands
in der Eurozone von einem
Tag auf den anderen absagte.
Es waren die Regierungschefs
der Eurozone, allen voran Angela
Merkel, die das Gremium Troika
mit Geld und politischem Gewicht
ausstatteten. Gefragt wurde
sonst niemand, weder die nationalen
Parlamente noch das EUParlament.
An der Spitze der Troika
stehen seither José Manuel
Barroso (Präsident der EU-Kommission),
Mario Draghi (Präsident
der EZB) und Christine Lagarde
(Chefin des IWF). Mit den
drei Verhandlungsführern Matthias
Mors (EU), Klaus Masuch
(EZB) und Poul Thomsen (IWF)
haben marktradikale Liberale den
operativen Teil der Handlung
übernommen, die Strukturanpassungsprogramme
mit Austeritätsmaßnahmen
koppeln. Mittlerweile
sind es sechs Staaten, die
ihre Budgethoheit und damit ihren
politischen Handlungsspielraum
an EU-Kommission, EZB und
IWF abgegeben haben: Griechenland,
Zypern, Portugal, Spanien,
Irland und Italien.
Den meinungsbildenden Medien
in EU-Europa gelten die Troika-
Männer als Kontrolleure, deren
Aufgabe es sei, die Eurozone
vor der Finanz- und Wirtschaftskrise
zu retten. Die fragwürdigen
Mittel, die sie dazu verwenden,
rufen immer wieder Kritik hervor.
Bambos Papagiourgiou, Philosophieprofessor
und Abgeordneter
der Partei des Werktätigen Volkes
Zyperns (AKEL), ist von der Illegitimität
der Troika überzeugt:
»Sie ist eine inoffizielle Institution,
die niemand gewählt hat und
sogar an der Gruppe der europäischen
Finanzminister vorbei
agiert, weil sie sich nur aus den
Euromitgliedern zusammensetzt.
Dabei gäbe es eine offizielle Institution
auf EU-Ebene: den Rat für
Wirtschaft und Finanzen, in dem
alle Finanz- und Wirtschaftsminister
vertreten sind«, meinte er
gegenüber »nd«.
Hannes Hofbauer
** Aus: neues deutschland, Mittwoch 11. Juni 2014
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