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Kollektiver Bankraub

Zyperns Geldhäuser im Visier der Troika: Gezielte Enteignung russischer Guthaben

Von Rainer Rupp *

Während der jüngsten Zypern-Krise bestimmte die Empörung über das diktatorische Vorgehen der von Berlin angeführten Troika aus EZB, EU und IWF gegen den Inselstaat die Schlagzeilen der russischen Medien. Ungläubiges Staunen gab es auch immer wieder über die böswillige Berichterstattung westlicher, insbesondere deutscher Medien und Reaktionen Berliner Politiker. Demnach war die Finanzbranche Zyperns nicht nur ein einziger Sündenpfuhl von Schwarzgeld waschenden russischen Oligarchen, sondern die Geldgeschäfte der angeblichen »Russenmafia« wurden sogar für die Finanzkrise des Landes und für die von dem Inselstaat ausgehenden Gefahren für den Euro verantwortlich gemacht. Über die Legalität und die gefährlichen Auswirkungen der von der Troika diktierten willkürlichen Konfiszierung einheimischer und ausländischer Bankguthaben auf das bereits erschütterte Vertrauen in die Europäische Währungsunion machten sie sich keine Gedanken. Statt dessen versuchten hiesige Medien mit reißerischen Schreckensbildern von der »von russischem Gangstergeld« kontrollierten zypriotischen Wirtschaft, die Zwangsmaßnahmen der Troika zu rechtfertigen.

Der eklatante Widerspruch in den westlichen Darstellungen, daß ausgerechnet der russische Geldzufluß in die zypriotischen Banken deren Zahlungsunfähigkeit verursacht haben soll, wurde von der Journaille einfach nicht erwähnt. Genauso wenig wie die wahren Ursachen für die Zuspitzung der Finanzkrise der dortigen Geldhäuser. Diese sind in dem von der Troika im Rahmen der Euro-Rettung beschlossenen Schuldenschnitt für Griechenland zu finden, in dessen Folge die zypriotischen Banken, die stark in griechische Staatsanleihen investiert hatten, 4,7 Milliarden Euro verloren haben. Plötzliche Ausfälle in dieser Höhe sind nicht ohne weiteres für die im internationalen Vergleich kleinen Banken des Inselstaates zu verkraften, und daher waren Probleme bei deren Zahlungsfähigkeit absehbar.

Viele Russen glauben daher, daß die Troika-Zwangsabgaben auf zyprische Bankeinlagen »keine wirtschaftlichen, sondern eher geopolitische Gründe haben«, schrieb die Moskauer Nesawissimaja Gaseta letzten Freitag. Sie zitierte Iwan Kibardin von der russischen Interkommerzbank: »Rußland wird in den Mittelpunkt gestellt, damit die europäischen Behörden sich nicht die Vorwürfe anhören müssen, sie hätten die Krise provoziert.« Banker Michail Koroljuk vom Investmenthaus Solid sieht die Schuld für die Zypern-Krise bei einer falschen Investitionsstrategie: »Wenn in den zyprischen Banken nicht nahezu 40 Prozent aller griechischen Schuldenaktiva konzentriert gewesen wären, dann wäre die aktuelle Situation nicht so verheerend«. Aber »jetzt schieben sie (die EU-Eliten) einfach ihre Schuld anderen in die Schuhe«, ergänzte Leonid Matwejew, Analyst des Brokerhauses Alpari in Moskau.

Auch die Tatsache, daß nur ein Teil der russischen Gelder in Zypern aus dubiosen Quellen stammt, wird von den meisten westlichen Medien übergangen. Neben zahlreichen Privatunternehmen und Geschäftsleuten wickeln auch viele Staatsunternehmen Rußlands ihre Geschäfte mit dem Westen, der arabischen Welt und Afrika über den hochentwickelten Finanzsektor Zyperns ab. Für die Meinungsmacher sind jedoch die 50000 in Zypern wohnenden Russen alles »Oligarchen«, und die russischen Gelder stammen grundsätzlich aus Geldwäsche und Steuerhinterziehung, sind somit illegal.

»Daher ist es – so ahnen wir – auch nur rechtens, wenn man den Besitz russischer Staatsangehöriger im EU-Land Zypern beschlagnahmt«, mokierte sich der freie Journalist Jens Berger in seinem Blog über die doppelte Moral der westlichen Medien. Demnach »verbunkern« russische Oligarchen ihre Schwarzgelder in Steueroasen während westliche Unternehmer in Steuerparadiesen »investieren«. Das Schlimme sei nur, »daß sie mit ihrem Nationalchauvinismus beim bürgerlichen Publikum auch noch durchkommen, da es gegen Rußland geht«, so Berger.

Es ging im Fall Zypern tatsächlich gezielt gegen die russischen Guthaben. Das ist aus einer Reihe von Fakten abzulesen. Während der Bankenschließungen auf Zypern, die jedoch über offen gebliebene Korrespondenzbanken in London von Großanlegern umgangen werden konnten, haben hohe Beamte der EU in Brüssel Finanzinstitute in Lettland ultimativ gewarnt, Überweisungen russischer Gelder aus Zypern entgegenzunehmen. Auch die Tatsache, daß auf Anordnung der Troika der konfiszierte Anteil der privaten Guthaben bei der Laiki-Bank, wo der Großteil russischer Gelder auf Zypern liegt, viel höher ist als bei den anderen Banken, deutet auf eine antirussische Maßnahme hin. Allerdings wurden auch andere von dem organisierten Bankraub der Troika getroffen. Ein kleiner britischer IT-Unternehmer mit Sitz in Zypern stellte am Dienstag den Auszug seines Firmenkontos bei der Laiki-Bank ins Internet: »Kontostand bei der Bankenschließung: 849682 Euro, Blockierte Gelder: 720898, Verfügbares Guthaben (nach Wiedereröffnung): 128784.« Das war eine Enteignung von 85 Prozent und bedeutete den Tod seiner Firma.

* Aus: junge welt, Donnerstag, 4. April 2013


Warnungen vor eingefrorenen Guthaben

Troika gibt Putin recht

Von Rainer Rupp **


Durch Manipulation der Rechnungen von Rohstoffexporten – billig an eine eigene Firma im Westen verkaufen und dort teuer weiterverkaufen – haben viele ganz normale russische Unternehmen (nicht die Mafia) an der Steuer vorbei im Westen Gewinne angesammelt, die dann auf den Konten zypriotischer Banken gelandet sind. Von dort gingen sie wieder zu einem großen Teil über eine zypriotische Firma als EU-Investitionen nach Rußland zurück.

Durch die Einschaltung einer Holdinggesellschaft mit Sitz in der EU wollten sich die russischen Kapitalisten Rechtssicherheit vor potentiellen Zugriffen Moskaus auf ihre nach Rußland zurücküberwiesenen Finanzen verschaffen. Zugleich sind russische Schwarzgelder in Höhe von etwa 20 Milliarden Euro dauerhaft in Form von Immobilien, teuren Autos und Bankguthaben auf Zypern geblieben. Aber nicht der Kreml hat die russischen Geschäftsleute über den Löffel balbiert sondern die Erzkapitalisten der EU, in die sie ihr ganzes Vertrauen gesetzt hatten. Allerdings gibt es auch viele in Rußland, die mit dieser Entwicklung zufrieden sind, nicht unbedingt aus Schadenfreude, sondern wegen der heilsamen Lehre bezüglich der Folgen blinden Vertrauens in die Versprechungen des Westens. Daher bezeichnete Exbanker Valentin Mandrasescu auf der Webseite »Voice of Russia« (Stimme Rußlands) die Zypern-Krise sogar als »Triumph für russische Isolationisten«.

Tatsächlich lassen sich in Rußlands Führung zwei einander ausschließende Denkschulen ausmachen: Die eine geht davon aus, daß Rußlands einzige Chance in der vollkommenen Integration in den Westen als gleichberechtigter Partner liegt. Diese Gruppe ist politisch sehr einflußreich und wird von den meisten der sogenannten Oligarchen unterstützt. Mit der Wiederwahl von Wladimir Putin als Präsident aber verließ sie das Glück, und jetzt haben ihre Vertreter in Zypern auch noch einen guten Teil ihrer Gelder verloren.

Die andere Fraktion erstrebt eine möglichst weitgehende ökonomische und politische Unabhängigkeit Rußlands, weshalb sie auch auf den Niedergang der Dollar-Hegemonie im Weltwährungssystem setzt. Die Mitglieder dieser Gruppe, angeführt von Putin, trauen dem Westen, insbesondere den USA, nicht über den Weg. Und wegen Zypern können sie nun feiern, denn ihre Widersacher im russischen politischen Establishment haben ausgerechnet von jenen im Westen einen tödlichen Stoß bekommen, auf die sie ihre ganze Hoffnung gesetzt hatten.

Weitsichtig hatte Putin, der ein erklärter Gegner des Abflusses russischer Gelder in den Westen ist, die Geschäftsleute schon 2002 vor einer Entwicklung gewarnt, wie sie jetzt auf Zypern eingetreten ist: »Es gibt Gründe, davon auszugehen, daß die Regeln für die Offshorefonds (Gelder in ausländischen Sammelstellen, jW) strenger werden. Ich sage nicht, daß Ihre Guthaben schon morgen eingefroren werden, aber wenn eine solche Entscheidung getroffen wird, werden Sie bei den (vergeblichen) Versuchen, Ihre Konten freizubekommen in westlichen Gerichtssälen beim Staubschlucken ermüden«. 2011 hatte Putin diese Warnung mit anderen Worten wiederholt, aber die meisten Oligarchen hatten sie ignoriert. Jetzt hat die Troika Putin recht gegeben.

In dieses Bild paßt auch, daß laut Aussage des stellvertretenden russischen Ministerpräsidenten Igor Schuwalow vom Dienstag die russischen Besitzer von zypriotischen Bankkonten keine Hilfe vom Staat bekommen werden. Zugleich räumte Schuwalow gegenüber der Zeitung Nesawissimaja Gaseta ein, daß russisches Geld in Zypern sowohl aus legalen als auch aus illegalen Quellen stammt. Der Staat könne sich nur einmischen, »wenn Unternehmen mit staatlicher Beteiligung große Verluste tragen müssen«.

** Aus: junge welt, Donnerstag, 4. April 2013


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