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Hetzkampagne

Zypern: Konservative, Kirchenkreise und Neonazis fordern gemeinsam Rücktritt des Präsidenten

Von Leandros Fischer, Limassol *

Seit der Explosion von 98 Containern mit beschlagnahmter iranischer Munition auf einem Marinestützpunkt im Süden Zyperns, die am 11. Juli 13 Menschen tötete und das wichtigste Stromkraftwerk außer Betrieb setzte, steht die linksgerichtete Regierung der Mittelmeerinsel unter Druck. Eine breite Front von der konservativen DISY-Partei über die mächtige orthodoxe Kirche bis hin zu neofaschistischen Gruppen, die den Rücktritt vom Präsident Dimitris Christofias fordern, hat sich in den letzten Wochen auf der Insel formiert. Christofias, so der Vorwurf, habe entgegen den Wünschen der USA und anderer westlicher Regierungen die für Syrien bestimmte Munition nicht zerstört, um das Regime in Damaskus nicht zu brüskieren. Die Regierung habe somit den Weg für das Unglück vorbereitet.

Ein politisches Resultat der von den wichtigsten Medien inszenierten Stimmungsmache gegen Christofias war der Rückzug der rechtsliberalen DIKO-Partei aus der Regierungskoalition in der letzten Woche. Darauf reagierte der Präsident mit der Bildung eines neuen Kabinetts letzten Donnerstag. In diesem sind ausschließlich Mitglieder seiner eigenen kommunistischen AKEL-Partei sowie parteilose Persönlichkeiten vertreten. Die von den britischen Kolonialisten geschriebene Verfassung sieht eine Präsidialrepublik vor, in der der Präsident auf andere Kräfte im Parlament angewiesen ist, um eine absolute Mehrheit zu erreichen. Dies wird die künftige Regierungsfähigkeit von Christofias deutlich einschränken.

Parallel zur politischen Krise mehren sich die Anzeichen dafür, daß Zypern ins Visier der Finanzmärkte geraten ist. Die Explosion vom 11. Juli führte zu erheblichen Stromausfällen, die die Wirtschaftsleistung des Landes stark beeinträchtigten. Dies nahm die Rating-Agentur Moody’s vorletzte Woche als Vorwand, um die Kreditwürdigkeit der Insel herabzusetzen. Als weiterer Grund nannte die Agentur zudem die enge Verbundenheit des Bankensektors mit der griechischen Wirtschaft. Laut dem neuen Finanzminister Kikis Kazamias läuft Zypern zur Zeit aber nicht Gefahr, ähnlich wie Griechenland EU-Finanzhilfe in Anspruch nehmen zu müssen.

Für die konservative Opposition ist die Explosion allerdings eine willkommene Gelegenheit, die bisherige Politik der Regierung anzugreifen. Seit seiner Amtsübernahme verzichtete Christofias auf Privatisierungen öffentlicher Dienste und verfolgte eine Politik der Erhöhung von Sozialausgaben und der minimalen Konfrontation mit den Gewerkschaften. Dies erklärt auch die Vehemenz, mit der die Opposition seinen Rücktritt fordert. Der Versuch der Regierung, eine Vermögenssteuer für die reichsten zwei Prozent der Bevölkerung einzuführen, scheiterte aufgrund des parlamentarischen Widerstands aller Parteien außer der AKEL.

Die jetzige Regierungskrise stellt den Höhepunkt einer andauernden Hetzkampagne gegen den ersten linken Regierungschef der Republik Zypern dar. Der aus ärmlichen Verhältnisse stammende Christofias steht für eine Annäherung an die türkischen Zyprioten in dem seit 1974 besetzten Norden der Insel. Dagegen bildet sich zunehmend Widerstand des rechten Spektrums.

In den letzten Jahren ist ein Zuwachs rechter Gewalt und chauvinistischer Ressentiments gegen türkische Zyprioten und Einwanderer zu verzeichnen. Auch Chrysostomos, der mächtige Erzbischof der Insel, schloß sich den Reihen derjenigen an, die Christofias’ Rücktritt fordern. Der für seine extrem nationalistische Haltung in der Zypernfrage bekannte Chrysostomos beherrscht ein unbesteuertes kirchliches Wirtschaftsimperium, das im Besitz von Hotels, Zementfabriken und der größten Brauerei der Insel ist, und steht zudem im Verdacht, den zypriotischen Zweig der griechischen Neonaziorganisation »Chrysi Avgi« zu unterstützen.

* Aus: junge Welt, 9. August 2011


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